Tichys Einblick
Teil 1

Brückeneinsturz in Genua: alle Fragen offen

Autostrade per l’Italia gehört zum Infrastrukturkonzern Atlantia. Den kontrolliert die Unternehmerfamilie Benetton. Das tauchte in den großen italienischen Medien selten auf, Benetton ist Aktionär in der Zeitungsgruppe der Repubblica, L’Espesso und La Stampa.

This general view taken on August 15, 2018, shows abandoned vehicles on the Morandi motorway bridge the day after a section collapsed in the north-western Italian city of Genoa. - At least 38 people were killed on August 14, when the giant motorway bridge collapsed in Genoa in northwestern Italy. The collapse, which saw a vast stretch of the A10 freeway tumble on to railway lines in the northern port city, was the deadliest bridge failure in Italy for years, and the country's deputy transport minister warned the death toll could climb further.

VALERY HACHE/AFP/Getty Images

Die Bilder sahen schon sehr nach Apokalypse aus: Tausende von Tonnen an Beton und Stahl in Trümmern auf dem Boden, in einem Fluss über Eisenbahnstrecken. Mit abgestürzten Autos und Lastwagen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe die Brücke querten und aus 40 m Höhe abstürzten. Hollywood hätte ein Inferno nicht besser inszenieren können. Die 43 Opfer des Brücken Einsturzes von Genua sind mittlerweile in einer Zeremonie unter großer Anteilnahme im ganzen Land beigesetzt worden.

Wie nicht anders zu erwarten, tauchen täglich neue Informationen über den Zustand der Brücke und vor allem über die Ursache des Einsturzes auf. Viele muss man mit allergrößter Vorsicht genießen: Einige vermuten tatsächlich absichtliche Sprengungen der Brücke vor dem Hintergrund eines Mafia-Machtkampfes hinter den Kulissen, andere die Ursache im himmlischen Donnerwetter, das über Genua niederging. Kurz vor dem Einsturz haben Zeugen einen Blitz gesehen, der in einen Brückenpfeiler gefahren ist. Doch bei ordentlichem Blitzschutz könne ein Gewitter einer Brücke nichts anhaben, versichern Brückenexperten. Es fehlen bisher noch die Außerirdischen als Auslöser der Katastrophe.

Im Stammland der Mafia taucht natürlich sofort die Vermutung auf, kriminelle Organisationen hätten für zu schlechten Beton beim Bau gesorgt. Das aber lässt sich bei den Untersuchungen der Betontrümmer nachweisen, und Antonio Brencich, Professor für Bauwesen an der Universität Genua, schließt Baufehler oder minderwertiges Material vehement aus. Er sagte in einem Interview mit dem römischen Korrespondenten der FAZ auch, dass es ein ständiges Überwachungssystem der Brücke gegeben habe, und genügend Geld für ständige Instandhaltungsmaßnahmen zur Verfügung stünde.

Er kann sich am ehesten vorstellen, dass eines der vier Halteseile gebrochen ist. Der GAU einer solchen Hängebrücke, denn dann gerät das System von Gewicht und Gegengewicht der Fahrbahnteile, das wie eine Art Schaukel am Pfeiler hängt, aus den Fugen.

Ziemlich sicher scheint zu sein, dass die Spannseile der Brücke stark vom Rost befallen waren. 10-20 % des Querschnittes seien verrostet, habe eine Untersuchung ergeben. Die wurde am 1. Februar von sieben Ingenieuren einer technischen Kommission diskutiert. Wie das italienische Magazin L’Espresso exklusiv berichtet, seien fünf Ingenieure vom italienischen Staat, zwei vom Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia gekommen. Das Ministerium und der Autobahnbetreiber wussten über den kritischen Zustand der Stahlseile also Bescheid, unternahmen jedoch – nichts.

Ebenso war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, dass die Festigkeit von Betonstrukturen fragwürdig sei. Doch weder Ministerium noch die Betreibergesellschaft haben daran gedacht, den Verkehr einzuschränken oder gar schwere Fahrzeuge umzuleiten, um so Last von der Brücke zu nehmen. Beide scheuten wohl auch davor zurück, das wichtigste Nadelöhr im europäischen Fernverkehr von Norden und nach Frankreich einzuengen oder gar zu schließen. Umleitungsmöglichkeiten gibt es im bergigen Umland Genuas kaum.

Der Prüfbericht wurde vom Architekten Roberto Ferrazza und Professor Antonio Brencich unterzeichnet. Brencich hatte allerdings schon wiederholt den kritischen Zustand der Brücke angeprangert und 2016 kritisiert, dass die Stahlseile nicht mit Röntgenstrahlen durchleuchtet sowie keine Bohrproben aus dem Beton entnommen wurden. Diese beiden Herrschaften wurden jetzt zum Präsidenten und Expertenmitglied jener Regierungskommission ernannt, die das Unglück untersuchen soll. »Die Kontrollierten kontrollieren also sich selbst«, bewertet die Neue Zürcher Zeitung die merkwürdige Konstellation.

Währenddessen bemerkten Feuerwehrleute bei ihren Räumarbeiten verdächtige Geräusche aus den Resten der Brücke. Sie stellten aus Sicherheitsgründen sofort ihre Arbeiten ein und verboten Anwohnern, Gegenstände aus ihren evakuierten Häusern unter der Brücke zu holen. Zu groß ist die Angst, dass weitere Teile der Brücke einstürzen.

Der italienische Verkehrsminister Danilo Toninelli hatte die Führung der Betreibergesellschaft zum Rücktritt aufgefordert. Eine ziemlich überstürzte und rasche Ankündigung des Ministers von der Anti-Establishment-Partei Cinque Stelle, verbunden mit der Androhung der Kündigung der Konzession.

Autostrade per l’Italia gehört zum Infrastrukturkonzern Atlantia. Der wiederum wird von der italienischen Unternehmerfamilie Benetton kontrolliert. Das allerdings tauchte in den großen italienischen Medien nur selten auf, Benetton ist Aktionär in der Zeitungsgruppe der Repubblica, L’Espesso und La Stampa. Die Modewelt, mit der die Unternehmerfamilie ursprünglich ihr Geld verdient hat, macht offensichtlich nicht mehr so viel Spaß. Sie betreibt mittlerweile die Hälfte des italienischen Autobahn-Netzes, machte damit 3,9 Milliarden Umsatz, davon 2,4 Milliarden Gewinn, wie das die Italien lebende deutsche Journalistin Petra Reski detailliert auflistet: »Die Autobahnen sind zum Bankautomaten der Benettons geworden.«

Sie weist auch darauf hin, dass aufgrund der Verträge mit merkwürdigen Klauseln, die der Staat in den 1990er Jahren mit den Benettons geschlossen hat, keine Pläne über Erhaltungsmaßnahmen vorgelegt werden müssen. Diese Klausel trifft laut Reski auch auf die Brücke von Genua zu. »Und nicht nur das: Wenn das Autobahnteilstück kontrolliert wird, sind das Ingenieure, die vom Unternehmen selbst benannt und bezahlt werden – keine neutralen Sachverständigen. Der genaue Inhalt der Verträge zwischen den Benettons und dem italienischen Staat ist übrigens geheim.«

Als bekannt wurde, dass den Benettons die Betreiberlizenz für ihre Autobahnen entzogen werden könnte, brach der Aktienkurs ihres Autobahnbetriebs Atlantia ein.

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