Auch Börsianer lassen sich mitreißen. Seit der Auflösung des französischen Nationalversammlung nach den Europawahlen durch Präsident Emmanuel Macron war ihnen von der überwiegenden Zahl der Medien eingehämmert worden, bei den anstehenden Neuwahlen drohe ein Rechtsruck, der nicht nur die „grande nation“ unregierbar, sondern auch Europa handlungsunfähig machen würde. Nun gab es zwar im gestrigen zweiten Wahlgang einen deutlichen Zugewinn des RN, aber es reicht bei weitem nicht für die absolute Mehrheit. Entsprechend gab es am Montagvormittag sowohl in Paris als auch in Frankfurt jeweils eine kleine Erleichterungsrally. Die Kurse sprangen ein knappes halbes Prozent nach oben.
Aber nun dürften die Investoren wieder schärfer kalkulieren – und das, was sie sehen, ist nichts anderes als das, wovor sie sich vor den Wahlen fürchteten: Turbulenzen bei einer langwierigen Regierungsbildung – nur eben nicht einer Regierungsbildung mit einem Premierminister von rechts, sondern einem von links. Die Schwierigkeiten, mit denen Macron künftig zu tun haben wird, scheinen tendenziell sogar noch größer als die, die er mit dem RN hätte. Gerade hat die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU eingeleitet, aber die Linken – ganz gleich welcher Partei sie angehören – fühlen sich nun als Wahlsieger verpflichtet, möglichst viele ihrer Versprechen umzusetzen. Satt zu sinken, werden die französischen Staatsschulden eher weiter steigen; und die Kommission wird sich als zahnloser Tiger erweisen. Mit welchen Mitteln sollte sie auch Frankreich in die Budgetdisziplin zwingen? Und je weniger sich Frankreich an die Regeln hält, desto weniger werden sich auch andere dazu verpflichtet fühlen.
Für die EU wird sich der 7. Juli deshalb noch als Schicksalstag erweisen. Nicht als Tag, an dem „die Brandmauer gegen rechts“ gehalten hat, sondern als Anfang vom Ende. Denn als nächstes werden Brüssel und Paris versuchen, neben der in Vorbereitung befindlichen Kapitalmarktunion auch eine Fiskalunion zu schaffen. Dann ist das einstmals hochheilige „no-bailing-out“-Prinzip (kein Mitgliedsland haftet für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes) gänzlich hinfällig. Der Euro wird in einen permanenten Verfall gegenüber allen anderen wichtigen Währungen übergehen – erst werden sich die ausländischen, dann auch die inländischen Investoren zurückziehen.
Wer sein Vermögen schützen will, baut Positionen im Euroraum ab und setzt auf wachstumsstarke Märkte mit stabilen, seriösen Regierungen. Dazu können auch Unternehmen mit dem Sitz in Deutschland gehören. Wenn sie den Großteil ihrer Umsätze in Fernost oder Amerika erzielen, sind sie vor dem drohenden Chaos in Europa weitgehend geschützt. Daneben gibt es natürlich auch immer Sondersituationen: An der Ukraine-Politik wird sich auch unter der neuen Konstellation in Frankreich nichts ändern, da kann man also beruhigt an Positionen von Rheinmetall und Hensoldt festhalten.
So oder so, ein bisschen Sicherheitsgold im Depot ist angesichts der insgesamt bedrückenden Aussichten sicher auch nicht verkehrt.