Tichys Einblick
Autoindustrie im Spagat: VW vs. BMW

BMW baut seine Produktion im Ausland aus – ohne Arbeitnehmer-Widerstand

BMW expandiert seine Produktion in China und Ungarn – und die Belegschaft in Deutschland hält still. Bei VW wäre das undenkbar, bei BMW hat das Tradition.

Ein BMW X3 M auf der Chengdu Motor Show 2021

IMAGO / VCG

Halloween ist zwar ein paar Tage her (und das Christkind steht schon vor der Tür), die Meldungen aus der deutschen Automobilindustrie erinnern in ihrer Bandbreite jedoch stark an das Spektrum von Wahlmöglichkeiten, welche die kleinen Gespenster den Erwachsenen an der Haustüre lassen: Süßes oder Saures?  Shakespeare hätte gesagt: „Was ihr wollt!“

Im Mittelpunkt der Meldungen standen zwei Leuchttürme der Branche: VW auf der einen Seite, BMW auf der anderen. Beim Volkswagenkonzern tagelang Schlagzeilen über Personal-Querelen auf offener Bühne in der Führung darüber, wer im Konzern das Sagen hat: Vorstand und Eigentümer oder Betriebsrat und Belegschaft wie seit Gründung 1937. Konkret in personam: Herbert Diess oder Daniela Cavallo, VW-Vorstandsvorsitzender CEO oder Betriebsratsvorsitzende?

Der Streit hätte VW-Chef Herbert Diess beinahe den Kopf gekostet, es stand neudeutsch „Spitz auf Knopf“!

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Behalten durfte der VW-Chef seinen Posten nur deshalb, weil der Arbeitnehmerseite und der Wolfsburger Belegschaft der Bau eines völlig neuen Werkes in Wolfsburg in Nähe der alten Fabrik versprochen wurde. Dort sollen ab 2025 Elektroautos gebaut werden zur Ergänzung und Absicherung der alten Verbrennerarbeitsplätze. Denn im Werk Wolfsburg, mehr als 6 Quadratkilometer groß, arbeiten bisher rund 60.500 Beschäftigte, die die rein fossilen Verbrenner-Modelle Golf, Golf Sportsvan, Tiguan und Touran bauen, kein einziges Elektroauto, wie sie Zeitgeist und Politik fordern.

Der Betriebsfrieden war mit dieser Standortentscheidung wieder hergestellt – vorerst.

Soviel zum Sauren. Ganz anders bei BMW. Auch dort fielen, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, in den letzten Monaten wesentliche Standortentscheidungen, aber völlig geräuschlos, ohne Auseinandersetzungen mit dem Betriebsratschef Manfred Schoch und den Belegschaften. 

Und das, obwohl die BMW Standortentscheidungen neue Werke betrafen, die im Ausland gebaut werden, nicht in Deutschland oder im BMW-Kernland Bayern.

Zum einen baut BMW eine neue Autofabrik in Debrecen in Ungarn. Dort soll ab 2025 die Neue Klasse anlaufen, eine Autogeneration mit völlig neuer Autoarchitektur und einem symbolträchtigen Namen. Denn schon einmal stand eine Neue Klasse für eine visionäre Neuausrichtung von BMW. Nach der Beinahe- Pleite von BMW im Jahre 1959 und dem anschließenden rettenden Engagement von Herbert Quandt gab BMW den erfolgreichen Modellen 1500 und 1800 in den 60er-Jahre den Namen „Neue Klasse“. 

Die Neue Klasse von damals war für BMW vor allem eines: große Klasse. Denn der von 1962 an produzierte Wagen gilt als „Gamechanger“ – für das Unternehmen wie auch für das Segment der sportlichen Mittelklasselimousinen.

Die Neue Klasse aus Ungarn soll laut CEO Oliver Zipse das Bekenntnis von BMW  zum Ziel einer vollständigen Klimaneutralität über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bis spätestens 2050 spiegeln – und macht dies auch an dem symbolträchtigen neuen Namen Neuen Klasse fest. Sie hat eine völlig neue Fahrzeugarchitektur und ist ausschließlich für Elektroautos reserviert. Erstes Modell soll wohl eine Limousine im Format des 3ers werden, Gegenstück zu Teslas Model 3. 

Und die erstaunliche Nachricht dazu: Der BMW-Betriebsrat hat dieser Standortentscheidung voll zugestimmt.

Die jüngste Meldung betrifft die Produktion des BMW X5. BMW plant, den SUV X5 , der bislang ausschließlich in Spartanburg (South Carolina, USA) gebaut wurde, zusätzlich auch beim Joint Venture Partner Brilliance in China zu bauen. Die SUV Modelle X1 und X2 werden in Deutschland gebaut.

Auch diese Verlagerungsentscheidung wurde vom BMW Betriebsrat voll mitgetragen.

Automobil-Report Deutschland Nr. 12/2021
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Damit folgt BMW nach eigenen Angaben in der Produktion der Nachfrage. Darüber hinaus möchte BMW vermeiden, in etwaige handelspolitische Spannungen zwischen den USA und China hineingezogen zu werden. Zollschranken zu Lasten der Erträge können so vermieden werden.

Der Lokalisierung der Produktion und der genauen Anpassung an chinesische Kundenbedürfnisse kommt auch für VW eine zunehmende Bedeutung zu. Die Absatzprobleme, die das vollelektrische Model i4 aktuell VW bereitet, das komplett in Wolfsburg entwickelt und designt wurde, sprechen Bände.

China ist auch für BMW inzwischen der größte Einzelmarkt des Konzerns, ähnlich wie bei VW und Daimler. Von den knapp 2,5 Millionen jährlich produzierten Autos verkauft BMW inzwischen jedes Dritte in China. Bei VW ist es inzwischen fast jedes Zweite.

Warum klappt bei BMW reibungslos mit Zustimmung des Betriebsrates, was bei VW kaum vorstellbar wäre?

Diese Art der Unternehmensführung im Konsens zwischen Konzernleitung und Arbeitnehmerschaft hat bei BMW Tradition. Begründet wurde sie 1961 von dem legendären Betriebsratsvorsitzenden Kurt Golda, der ab 1970 im Quandt-Vertrauten Eberhard von Kuenheim einen kongenialen Partner als Vorstandsvorsitzenden fand. Das gemeinsame Oberziel einer erfolgreichen, allen Partnern gerecht werdenden, sozialen und austarierten Unternehmensentwicklung ohne offenen Konflikte wurde ab 1987 von Golda-Assistent und -Nachfolger Manfred Schoch bis heute unverändert beibehalten und ausgebaut. Und erwies sich in allen Krisen und Herausforderungen als stabil und tragfähig. 

Was den BMW-Betriebsratsvorsitzenden Manfred Schoch angesichts des andauernden Konfliktes zwischen Arbeitnehmern und Konzernchef Herbert Diess zu dessen kaschierter Niederlage beim jüngsten Duell mit dem VW-Betriebsrat einem Interview mit der Automobilwoche zu der Aussage veranlasste: “Wenn ein Fußballtrainer nach einem 0:3 vom Platz geht, hat er krachend verloren!“

Solche Verlierer hat es bei BMW seit 1970 nicht mehr gegeben.

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