Das Bau-Gewerbe steht vor Herausforderungen: Die hohen Zinsen und Bau- sowie Investitionskosten machen es für Unternehmen unattraktiv, neue Gebäude zu errichten. Im Ergebnis lohnt es sich für die Firmen kaum mehr, neue Projekte zu starten. Dabei hat sich die Bundesregierung zum Ziel gemacht, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, um der Wohnungsnot entgegenzusteuern. Dieses Ziel kann sie aber nur erreichen, wenn es auch Firmen oder Personen gibt, die diese Wohnungen errichten möchten. Das tuen aber immer weniger, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Im letzten Jahr gab es nämlich rund 42 Prozent weniger Bauvorhaben von Privatpersonen und 20 Prozent weniger von Unternehmen.
Diese Zurückhaltung schlägt sich auf eine sinkende Zahl an Genehmigungen nieder: Deutschland hat im letzten Jahr fast 100.000 Wohnungen weniger genehmigt als im Jahr zuvor – und somit nur knapp 260.000 Einheiten. So wenige Genehmigungen gab es zuletzt im Jahr 2012. Der Verband „Deutsches Baugewerbe“ zeigt sich über diese Entwicklungen besorgt: „Die fehlenden Baugenehmigungen werden zu fehlenden Wohnungen in den kommenden Jahren führen und den Markt noch weiter aufheizen.“ Die Auftragsbestände seien bereits in den vergangenen zwei Jahren kontinuierlich abgebaut worden, meint der Verband: „Den Unternehmen geht zusehends die Arbeit aus.“
Ebenso verhält es sich mit dem Bau von Büros und Verwaltungsgebäuden: So wurden 2022 weniger als 1.600 Büroimmobilien fertiggestellt. Das sind rund 14 Prozent weniger als 2019 – also vor der Corona-Pandemie. Das deutet laut dem Statistischen Bundesamt darauf hin, dass weniger Büros und Verwaltungsgebäude gebaut werden, weil mehr Leute im Homeoffice arbeiten und entsprechend die Nachfrage sinkt. Aber das ist nicht der einzige Grund:
Weniger Büros als 2022 wurden bisher nur 2010 gebaut. Die Ursache war damals, dass es wegen der Finanzkrise eine geringere Nachfrage an Immobilien gab. Im Gegensatz zu heute konnte die Bausparte allerdings davon ausgehen, dass es ab 2011 wieder bergauf gehen würde (https://www.mittelstandswiki.de/2009/01/dramatischer-einbruch-in-der-bauwirtschaft-der-eu/). In der aktuellen Baukrise sieht das jedoch anders aus, denn voraussichtlich werden in den kommenden Jahren noch weniger Büro-Gebäude entstehen: Im letzten Jahr genehmigten die „Bauaufsichtsbehörden“ gerade einmal den Bau von 1.665 Büros und Verwaltungsgebäuden. Das sind rund 17 Prozent weniger als 2022. Diese Zahl zeigt, wie es sich mit der Planung der Immobilien-Unternehmen verhält: Zurückhaltend. Und nur, weil diese Projekte genehmigt sind, heißt das noch nicht, dass sie auch tatsächlich umgesetzt werden. Das gilt insbesondere angesichts der zahlreichen Firmen, die aktuell pleite gehen: 81 von je 10.000 Unternehmen im Bau-Gewerbe meldeten im vergangenen Jahr eine Insolvenz an, wie die Tagesschau berichtete. Die „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.“ (ARGE) warnt schon länger vor einem „Seneca-Effekt“, also einem Systemkollaps, bei dem vorhandene Baukapazitäten drastisch abgebaut werden: „Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Abbau von Kapazitäten sechsmal schneller erfolgt, als deren Wiederaufbau erfolgen kann“, sagen sie.
Einen noch stärkeren Rückgang als beim Neubau von Büroflächen gibt es bei Handelsgebäuden, also solchen mit Ausstellungs- oder Verkaufsflächen. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 hat das Immobilien-Gewerbe gut ein Viertel weniger solcher Bauten fertiggestellt: 2022 wurden demnach nur 887 Handelsgebäude neu gebaut. Das ist ein neuer Tiefstand. Entsprechend gingen auch die neugebauten Handelsflächen zurück – um fast ein Drittel.
Das Baugewerbe erbringt mehr als sechs Prozent der gesamten Wertschöpfung in Deutschland, wie das Wirtschaftsministerium schreibt. Entsprechend trägt es zum wirtschaftlichen Wachstum der Bundesrepublik bei und schafft neue Arbeitsplätze. Aber diese Sparte hat es derzeit nicht leicht: Die Baupreise und Zinsen steigen, während die finanziellen Förderungen ausbleiben. So waren die Baupreise für Büro-Immobilien im letzten Jahr durchschnittlich fast 9 Prozent höher als im Jahr davor. Nachdem diese Preise zuvor bereits um rund 18 Prozent gegenüber 2021 gestiegen sind. Beim Neubau von Handelsräumen mussten die Unternehmen mit einem Preisanstieg von rund einem Fünftel noch tiefer in die Kasse greifen – teurer war es laut dem Statistischem Bundesamt noch nie. Laut ARGE muss die Ampel handeln: Sie fordern vor allem finanzielle Anreize und einen Abbau von bürokratischen Hindernissen von der Bundesregierung. Sonst würde das Potential im Bau-Gewerbe auf 200.000 Wohnungen pro Jahr – oder gar weniger – sinken. Das wäre dann nur die Hälfte des eigentlichen Ziels der Ampel.