Eine kleine Idee für den Ampel-Fanshop: ein Krisen-Kalender. Jeder Monat bildet einen anderen Bereich ab, in dem es in Deutschland nicht klappt. Ein Monat könnte der Bahn gewidmet werden. Sie ist die Hoffnung in der Verkehrswende. Wenn alle Pendler umsteigen, retten wir das Klima und die Mobilität. So der grün-linke Wunsch. In der Realität ist das Netz überlastet und marode. Das macht wiederum neue Baustellen nötig, was die Überlastung steigern wird. Einen Vorgeschmack darauf hat das Neun-Euro-Ticket gegeben. Aber auch ohne große Umstiegswelle häufen sich die Verspätungen der Bahn.
Volkswirtschaftlich ist dieser Erfolg indes vergiftet. Derzeit sind Frachtkapazitäten weltweit knapp: auf der Straße genauso wie auf dem Wasser oder in der Luft. Deswegen kann DB Schenker deutlich höhere Preise nehmen. Was dem Staatsunternehmen die Kassen klingeln lässt, befördert also gleichzeitig die Inflation. Nun ließe sich dieser zusätzliche Umsatz nutzen, um mehr Verkehr auf die Schiene zu holen. Doch so einfach ist auch das nicht. Aus mehreren Gründen.
Zwar bemüht sich Bahn-Chef Richard Lutz auf der Bilanzpressekonferenz um Aufbruchstimmung: „Die Trendwende ist gelungen“, verkündet er mit dem Gewinn im Rücken. Doch da beschwört er mehr die persönliche Trendwende als die seines Unternehmens. Denn der neue Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat ihn ins Visier genommen, macht ihn verantwortlich für tiefer liegende Probleme der Bahn, die der Gewinn jetzt nur verdeckt. Zwar ist die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr im ersten Halbjahr auf 59 Millionen gestiegen, das sind aber immer noch 13 Millionen weniger Fahrgäste als vor der Pandemie. Der Rekord von 725 Millionen Fahrgästen im Nahverkehr lässt sich relativ leicht auf das Neun-Euro-Ticket zurückführen. Was nach dessen Auslaufen bleibt, ist abzuwarten.
Das marode Netz verhindert ein weiteres Wachsen des Verkehrs auf der Schiene. Die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) und die Bahngewerkschaft EVG sprechen sich schon jetzt gegen eine Fortführung des Neun-Euro-Tickets aus: „Die Belegschaft hat die Belastungsgrenze erreicht und teilweise überschritten“, sagt EVG-Vizechef Martin Burkert. Mit dem Ticket seien keine Pendler gewonnen worden, sondern Reisende. „Das tut dem System nicht gut, weil es sowieso schon auf Verschleiß gefahren wird. Jetzt sind wir zusätzlich noch völlig überlastet“, sagt GdL-Chef Claus Weselsky im RBB-Inforadio. Derzeit setzt die Bahn nach eigenen Angaben jeden Tag 51.000 Züge ein – mehr gehe nicht.
„Qualität und Pünktlichkeit sind derzeit nicht akzeptabel“, räumt Lutz auf der Pressekonferenz selbst ein. Das Netz sei überaltert und störanfällig. 30 Prozent der Fernzüge fahren sechs Minuten oder mehr Verspätung ein, sagt Lutz. Ein Jahr davor waren es nur 20 Prozent. Die Bahn wolle zwar das Netz sanieren und ausbauen, verspricht der Chef. Doch das beginnt frühestens in zwei Jahren. Außerdem reicht das Geld nicht aus, das der Bund dafür bereit stellt, kritisiert die EVG.
Die Bahn sei ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, folglich müsse es eine gesellschaftliche Aufgabe sein, das Netz zu pflegen – statt diese Aufgabe zu einer Sparte zu machen, die Gewinne abwerfen müsse. Wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung berichtete, waren brüchige Betonschwellen der Auslöser für den tödlichen Unfall in Burgrain bei Garmisch.
Solche maroden Bahnschwellen gibt es all überall. So hat die Bahn jüngst Strecken im Harz gesperrt, in Berlin und in Bayern. Ferienziele wie Thale sind vorerst ganz vom Netz genommen; wer nach Wernigerode will, muss einen Umweg über Goslar nehmen. An 42 Stellen müsse die Bahn jetzt schon langsamer fahren, berichtet die Süddeutsche Zeitung. 200.000 Schwellen seien insgesamt betroffen, meldet die Bahn. Die EVG geht sogar von einer Million maroder Schwellen aus.
Und was plant die Politik? FDP und Grüne möchten das profitable Gütergeschäft auslagern. Es sei ein „Fremdkörper“ in der Bahn. Warum Privat- und Güterverkehr kein Ganzes ist, das zusammen nur mit einem funktionierenden Schienennetz funktionieren kann und dieses daher pflegt und ausbaut? Die gelb-grüne Antwort auf diese Frage dürfte der gleichen Logik entstammen, in der Gas verstromt wird, Gas fehlt, aber Atomkraftwerke vermeintlich nicht gegen Gas-Knappheit helfen. Aber das ist ein anderer Monat im Krisenkalender der Ampel. Angesichts der Fülle an Krisen könnte das aber auch ein Wochenkalender werden.