Nichts ist schlimmer für Prognostiker, als wenn ihre Prognosen partout nicht in Erfüllung gehen wollen, obwohl die Rahmenbedingungen sich doch prognosegemäß verhalten haben und das doch erfordert hätten. Ein schlimmer Zustand.
Für die deutschen Konjunkturprognostiker endet im Augenblick eine solche schwere Zeit. Da hat die Zunft unisono seit Frühjahr 2022 als Folge des Ukraine-Krieges, der Verknappung von Rohstoffen und vor allem als Folge explodierender Energiepreise mit all ihrer inflationären Kaufkraftvernichtung vor der im Herbst einsetzenden Rezession gewarnt. Vergeblich! Die Rezession blieb aus!
Im Epizentrum des Abschwungs sollte erwartungsgemäß die Automobilindustrie stehen, da hier alle negativen Einflussfaktoren aus dem außen- wie binnenwirtschaftlichen Umfeld kumulierten. Insbesondere der inflationäre Kaufkraftentzug und die zunehmende Verschlechterung der Verbraucherstimmung müssten in dieser Schlüsselindustrie nach Meinung der Experten deutliche Absatz- und Beschäftigungseinbrüche nach sich ziehen. So war es früher.
Und was geschah? Die im August eingesetzte Erholung der Autoindustrie hatte auch im Oktober 2022 noch Bestand. Das Problem der monatelang fehlenden Vorprodukte hat sich weiter reduziert, lange bestellte Autos kamen endlich bei den Kunden an. Gewinner am Markt waren überdies die in der grünen Politik verpönten Plug-in-Hybride. So wurden im Oktober in Deutschland mit 208.642 deutlich mehr Pkw neu zugelassen (+ 16,8 Prozent) als im Vorjahr. Das Plus signalisiert zwar Erholung, ist aber insofern irreführend, denn es ist das nach 2021 zweitniedrigste Oktober-Ergebnis aller Zeiten.
Auch kumuliert lagen die Neuzulassungen 2022 bis Oktober 5,5 Prozent unter Vorjahr. Es sind die niedrigsten Neuzulassungen nach zehn Monaten seit der Wiedervereinigung. Verglichen mit dem entsprechenden Zeitraum vor der Pandemie beträgt das Minus sogar 28 Prozent.
Aus konjunktureller Sicht ist das Niveau zwar schlecht, eine zusätzlich rezessive Entwicklung blieb indessen bisher aus. Laut Automobilwoche leidet die Branche vorerst weiter unter einer Angebotskrise, die nur langsam zu Ende gehe. Trotz Erholungstendenzen bei Zulassungen und Produktion dominieren weiterhin Chipmangel und fehlende Vorprodukte die aktuelle Situation.
Gleichwohl vermeldet der Verband der Automobilindustrie (VDA), dass die inländische Pkw-Produktion gegenüber dem Vorjahr im Oktober sogar um 30 Prozent gesteigert werden konnte und nach zehn Monaten um zehn Prozent höher liegt als im Vorjahr – dies ist aber immer noch 30 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2019.
Auch die Konjunkturerwartungen der Experten für die nächsten Monate sind für die Autohersteller nicht gerade „rezessiv“. Denn der Auftragsbestand ist infolge der niedrigen Neuzulassungen früherer Monate weiterhin sehr hoch und wird nur langsam abgebaut. Kurzum: Für die kommenden Monate ist völlig konträr zum sonstigen Konjunkturbild eher mit einer weiteren Erholung bei Produktion und Neuzulassungen zu rechnen statt mit einem Nachfrageeinbruch. Ein vollständiger Abbau der überhöhten Auftragsbestände bis Anfang kommenden Jahres ist nicht zu erwarten.
Die Automobilwoche rechnet auch im November wieder mit einer zweistelligen Wachstumsrate gegenüber dem Vorjahr. Für das Gesamtjahr werden Neuzulassungen von 2,52 Millionen Pkw erwartet. Damit würde das Vorjahresergebnis um knapp vier Prozent verfehlt, es kann aber auch besser werden. „Das endgültige Ergebnis wird ausschließlich durch die Verfügbarkeit bestimmt werden.“
Für die Konjunkturauguren mag es dennoch tröstlich sein, dass es auch stark negative Indikatoren gibt, die die kommende Rezession in der Autoindustrie wie in der gesamten Volkswirtschaft anzeigen: der Index der Geschäftserwartungen in der Autoindustrie des Ifo-Instituts. Die Geschäftserwartungen der Autoindustrie rauschen aktuell in den Keller. Der – unbegründete – Optimismus bei vielen Herstellern und Autohändlern vom Sommer ist profundem Pessimismus gewichen.
Das belegt der aktuelle Ifo-Geschäftsklimaindex. Der Index für die Geschäftserwartungen von Autoherstellern und Zulieferern in den kommenden sechs Monaten rauschte von minus 6,3 Punkten im September auf minus 35,3 Punkte. „Die Sorge um eine ausfallende Nachfrage trifft nun auch die Autohersteller und ihre Zulieferer“, sagt Oliver Falck, Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.
Schon seit geraumer Zeit berichten Händler von ausbleibender Kundschaft, halten sich die Kunden beim Kauf spürbar zurück, sowohl Privat- als auch Firmenkunden (Automobilwoche). Dies entspricht der Lebenserfahrung, dass der Krieg, die Preissteigerungen und die Energiekrise bei den Autokäufern zu einer extremen Verunsicherung geführt haben. „Die Leute haben gerade andere Sorgen, als sich ein Auto zu kaufen.“ Hinzu kommt zu der Sorge des OB eines Neukaufs die Frage des WAS eines Neukaufs. Welches Auto soll es sein, ein Elektroauto oder wieder ein Verbrenner, dessen Tage doch gezählt sein sollen? Oder nicht lieber doch abwarten, bis eFuels am Markt sind?
Die Konjunkturprognostiker können also aufatmen, so ganz falsch liegen sie mit ihren Rezessionserwartungen nicht. Störfaktoren haben nur das normale Konjunkturschema überlagert – in diesem Fall positiv. Die sich ankündigende negative Entwicklung aus der Autoindustrie wird spätestens im ersten Quartal 2023 negativ auf die Gesamtwirtschaft zurückstrahlen, so wie das in allen 6 Konjunkturzyklen der Nachkriegszeit gewesen war. Sonderfaktoren wie zuvor unbekannte Angebotsengpässe haben diesmal den Abschwung nur verzögert, außer Kraft gesetzt haben sie ihn nicht.