Für die deutsche Autoindustrie sieht die Lage immer düsterer aus. , der wichtigsten deutschen Branche, beginnt sich einzutrüben. Die meisten Experten aus der Ökonomen-Zunft beurteilen die neuesten Konjunkturindikatoren für die wichtigste deutsche Industriebranche sehr skeptisch, es „riecht“ nach Rezession:
- Das Ifo-Geschäftsklima, der konjunkturelle Frühindikator der deutschen Wirtschaft, sinkt seit drei Monaten in Folge;
- die Auftragseingänge in der Industrie brachen im August um 7,7 Prozent, die Industrieproduktion um vier Prozent gegenüber dem Vormonat ein;
- ebenso die Exporte, die zuvor 15 Monte in Folge gestiegen waren;
- lediglich der Arbeitsmarkt setzte seinen Besserungstrend unbeeindruckt fort – ist aber bekanntlich ein Spätindikator, reagiert also auf Konjunkturwenden als letzter.
Losgelöst von möglichen sommerlichen Einflüssen wie Werksferien etc. ist bedenklich, dass sich der Abwärtstrend in der Autoindustrie auch nach der Sommerpause im September fortgesetzt hat. Der weltweite Chip-Mangel und seine Folgen hat alle Corona-Erholungseuphorie verdrängt und durchzieht wie ein roter Faden alle Branchendaten.
Die Auguren sind skeptisch geworden. Das offenbart auch eine aktuelle Ifo-Umfrage bei den deutschen Autoherstellern und ihren Zulieferern, die im September einen empfindlichen Stimmungseinbruch feststellte. Der entsprechende Index stürzte von 32,0 auf 13,2 Punkte. Im Juli waren es noch 52,9 Punkte.
Produktionseinbruch
Nachfolgend soll abweichend vom üblichen Kontext zunächst anhand von Wirtschaftsschlagzeilen die Dramatik der Lage beschrieben werden.
Schlagzeilen zur Chipkrise
(Quelle, soweit nicht anders vermerkt: Automobilwoche)
- Autozulieferer in Not: „Es ist fünf nach zwölf“
- Chipmangel bremst die Autoindustrie noch lange (FAZ, 09.09.2021)
- Toyota kappt Produktionsziel wegen Chipmangels
- Chipmangel schmerzt enorm: Skoda kann dieses Jahr 100.000 Autos nicht bauen
- Spritpreis steigt seit Monaten: Benzin so teuer wie seit sieben Jahren nicht mehr
- Chipmangel: Skoda drosselt Produktion in zwei Werken
- Mitgliederversammlung der VW-Partner: „Auswirkungen der Halbleiterkrise dramatisch“
- Wegen fehlender Halbleiter: VW verlängert Kurzarbeit in Wolfsburg
- Chipmangel belastet das Geschäft: Hella streicht Jahresprognose zusammen
- Lieferengpässe bei Herstellern: Auch Autovermieter heben Preise an (ntv, 25.09.21)
- Ifo-Institut: „Flaschenhals wird immer enger“: Rekordzahl von Unternehmen klagt über Materialmangel
- abatte sinken: Chipmangel macht Neuwagen für Kunden teurer
- Ford-Chef Farley bei E-Werke-Ankündigung: Halbleitermangel dauert bis Ende 2022 an
- Kurzarbeit und weniger Produktion: Chipmangel bringt weitere Ausfälle im VW-Stammwerk
- EXKLUSIV – „Ausnahmesituation wegen Chipmangels“: Opel schließt Eisenach bis Jahresende
- Ende der Chipkrise nicht in Sicht: Ford in Köln verlängert Shutdown bis Ende Oktober
- Lieferkrise: Japans Autobauer werden pessimistischer
- „Elf Millionen weniger Neuwagen“: Einbruch in Autoproduktion verschärft sich (ntv, 01.10.21)
- Chipmangel führt zu Lieferchaos – Partner rüsten nach: Unfertige Autos plagen den Handel
- Ifo-Barometer bricht ein: Stimmung in Autoindustrie wegen Lieferengpässen frostig
- Conti-Chef rechnet mit Chipmangel bis ins kommende Jahr
- Chipmangel: Volvo-Absatz sinkt um 30 Prozent
- Chipkrise verschärft sich im dritten Quartal: Absatz von Mercedes bricht ein
- Chipmangel: Skoda drosselt Produktion bis Jahresende
- Chipmangel: Volvo-Absatz sinkt um 30 Prozent
Ein Viertel weniger Neuzulassungen
Wie befürchtet brachen die Neuzulassungen am deutschen Pkw-Markt im September 2021 aufgrund fehlender Halbleiter weiter ein, die Chipkrise sorgt für historisch niedrige Marktdaten. Für das Gesamtjahr wird das niedrigste Zulassungsergebnis seit der Wiedervereinigung erwartet. In optimistischer Variante hängt auch für 2022 die Neuzulassungsentwicklung nur von der Verfügbarkeit der Chips ab. Wenn die Konjunktur in negativer Rückkoppelung bis dahin nicht abwärts zeigt.
Im September 2021 wurden in Deutschland 196.972 Pkw neu zugelassen; dies entspricht einem Rückgang von 25,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat (Januar bis September: 2 Millionen Pkw, -1,2 Prozent gegenüber Vorjahr).
- Seit der Wiedervereinigung ist es sowohl für einen September als auch für die ersten neun Monate das niedrigste Neuzulassungsergebnis.
- Verglichen mit dem entsprechenden Zeitraum der fünf Jahre vor der Covid-19-Krise beträgt das Minus fast 23 Prozent.
Bei den privaten Zulassungen gab es im September ein Minus von 25,4 Prozent, der Marktanteil stieg leicht auf 36,2 Prozent. Es ist der höchste Privatkundenanteil in einem September seit 2011. Die gewerblichen Neuzulassungen verzeichneten mit minus 25,9 Prozent ein ähnliches Ergebnis. Nach neun Monaten liegen sie gut drei Prozent im Plus, während die privaten Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast neun Prozent im Minus liegen.
Alternative Antriebe fast bei 50 Prozent – Elektroanteil abermals mit neuem Höchstwert
Alternative Antriebe sind weiter auf dem Vormarsch und erreichten in Summe im September einen Marktanteil von 48,2 Prozent. Der bisherige Höchststand lag im Vormonat bei 46,8 Prozent, 19 Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. Die Elektro-Neuzulassungen stiegen im September um 37 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat auf 56.550 Einheiten. Der Anteil von E-Pkw an den gesamten Neuzulassungen betrug somit 28,7 Prozent. Damit wurde der bisherige Höchstwert aus dem August deutlich übertroffen.
Der Zuwachs fiel bei Batterie-Elektro-Pkw (BEV) mit +58,8 Prozent und 33.655 Neuwagen am höchsten aus. Ihr Anteil betrug 17,1 Prozent. Das ist der höchste bisher beobachtete Marktanteil. Volumenmäßig ist dies allerdings nur das zweithöchste Ergebnis. Der bisherige Höchstwert aus Dezember 2020 liegt bei 43.671 Neuzulassungen. Damit lagen reine E-Mobile erstmals deutlich vor den Plug-In-Hybriden.
Plug-in-Hybride erreichten mit 22.842 Neuzulassungen ein Plus von +13,5 Prozent und einen Marktanteil von 12,8 Prozent. Sie übertrafen damit das bisherige Rekordergebnis von Dezember 2020 (12,6 Prozent). Der Hybridanteil einschließlich der Plug-in-Hybride betrug bei 60.159 Neuzulassungen 30,5 Prozent (+11,3 Prozent). Deutsche Hersteller dominieren in Deutschland den Absatz von Elektroautos und Plug-in-Hybriden. Das beliebteste E-Auto kommt aber aus den USA.
Die deutschen Autohersteller sind bei den Neuzulassungen von Elektroautos und Plug-In-Hybriden führend. In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 kamen alleine 45 Prozent der angemeldeten Elektroautos von den vier Marken VW, Mercedes, BMW und Audi. VW liegt dabei mit 84.300 Neuzulassungen vorne, dahinter folgt Mercedes mit gut 52.300 vor BMW mit 41.400 und Audi mit 37.900. Erst auf Rang fünf folgt mit rund 26.000 Fahrzeugen Tesla als erster Importeur.
Das Tesla Model 3 ist das beliebteste reine E-Auto. Das am häufigsten neu zugelassene Batterie-Elektroauto war in den ersten neun Monaten das Tesla Model 3, auf das mit knapp 24.000 Exemplaren fast alle Neuzulassungen der Marke entfielen. Dahinter folgen die Volkswagen-Modelle Up und ID.3 mit 21.900 beziehungsweise 21.500 Neuzulassungen.
Bei rein batteriebetriebenen Elektroautos in Summe liegt Volkswagen mit 54.400 vorne. Dahinter folgen mit Tesla (26.000), Hyundai (18.800) und Renault (18.000) allerdings Importeure. Bei Plug-in-Hybriden ist die Rangfolge dagegen Mercedes (44.800), BMW (30.700), VW (29.900), Audi (28.600).
Verbrenner auf dem Rückzug
Die Neuzulassungen der Benziner gingen gegenüber dem Vorjahr um minus 41,4 Prozent zurück, ihr Anteil betrug im September 2021 35,9 Prozent. Gegenüber dem Vorjahresmonat bedeutet dies einen Rückgang um fast zehn Prozentpunkte.
Die reinen Diesel-Pkw kamen nur noch auf circa 31.300 Neuzulassungen und büßten gegenüber dem Vorjahresmonat fast 54 Prozent ein. Der Marktanteil fiel auf 15,9 Prozent (zum Vergleich September 2020: 25,6 Prozent). Es ist der niedrigste Marktanteil in einem Monat seit März 1998 (Quelle: KBA).
Besonderheiten in der Marktentwicklung nach Herstellern
Im Einzelnen zeigt der deutsche Markt im September folgende Besonderheiten:
- Tesla weiter auf dem Vormarsch: Bei einem Gesamtmarktrückgang von 25,7 Prozent gelang es Tesla mit einem Zuwachs von 158 Prozent seinen Platz unter den Top 15 zu verbessern. Mit einem Marktanteil von vier Prozent belegte Tesla Platz 10 im Marken-Ranking. Allerdings sind die Neuzulassungen von Tesla recht sporadisch. Nach neun Monaten liegt die Marke mit einem kumulierten Marktanteil von 1,3 Prozent auf Platz 21.
- Opel mit höchstem Marktanteil seit 24 Monaten: Opel verlor nur 1,2 Prozent und kam mit einem Marktanteil von 6,7 Prozent auf Platz 4 der Hersteller. Es ist der höchste Marktanteil der Rüsselsheimer seit September 2019.
- Die stärksten Verluste mussten Ford (minus 51,3 Prozent), Mercedes (minus 49,8 Prozent) und Skoda mit minus 47,5 Prozent hinnehmen.
- VW bleibt Nummer eins: Eindeutige Nummer eins mit einem Marktanteil von 15,7 Prozent blieb VW. Es ist aber der niedrigste Marktanteil für die Wolfsburger seit September vergangenen Jahres. Die Nummer zwei, BMW, kam auf einen Marktanteil von 8,4 Prozent. Den dritten Rang belegte Mercedes (7,0 Prozent) vor Opel und Hyundai mit 5,3 Prozent.
Nach neun Monaten und einem Gesamtmarktrückgang von 1,2 Prozent haben Ford (minus 29,5 Prozent), Mercedes (minus 19,9 Prozent) und Renault mit minus 10,2 Prozent die höchsten Verluste der Top 15 eingefahren. Die höchsten Gewinne verbuchen Opel (plus 27,6 Prozent) sowie bei Hyundai (plus 10,9 Prozent) und Seat mit plus 7,3 Prozent.
Branche erneut auf Talfahrt
Laut VDA gingen die Aufträge aus dem Inland im September zurück und lagen um 23 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Der Zuwachs gegenüber dem Zeitraum Januar bis September 2020 schrumpft damit auf nur noch 3 Prozent. Das Auslandsgeschäft gab im September ebenfalls nach: Hier verbuchten die deutschen Hersteller 19 Prozent weniger Bestellungen als im Vorjahresmonat. Seit Januar gingen jedoch immer noch 12 Prozent mehr Aufträge aus dem Ausland ein.
Mangels Produktion ging der Export im September ebenfalls zurück. Es wurden 154.400 Pkw (minus 43 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat) dem Ausland zugeteilt. Im bisherigen Jahresverlauf wurden knapp 1,8 Millionen Pkw an Kunden aus aller Welt ausgeliefert (minus 1 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres).
CO2-Ausstoß sinkt weiter deutlich
Eine positive Meldung am Schluss: Die Verschiebungen zu den alternativen Antrieben haben deutliche Spuren beim CO2-Ausstoß der neu zugelassenen Pkw-Flotte hinterlassen. Von Mai bis Dezember vergangenen Jahres war er kontinuierlich gesunken und lag im Dezember bei 117,1 Gramm pro Kilometer. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres lag er durchschnittlich bei knapp 125 Gramm pro Kilometer. Wie im August schlugen auch im September die hohen Anteile der alternativen Antriebe nochmals durch. Der CO2-Ausstoß sank auf den Tiefststand von 111,6 Gramm pro Kilometer. Vor einem Jahr – in dieser Zeit hat sich der Anteil alternativer Antriebe um über 19 Prozentpunkte erhöht – lag er noch bei 134,3 Gramm pro Kilometer.
Ausblick 2021/22
Die ursprüngliche Marktprognose (vor der Chipkrise) für 2021 von 3,1 Millionen Neuzulassungen ist nicht mehr haltbar. Im Gegenteil, der Abwärtstrend setzt sich fort: 2020 waren Corona-bedingt lediglich noch 2.917.678 Pkw neu zugelassen worden (minus 19,1 Prozent). Selbst dieses Marktvolumen dürfte im laufenden Jahr verfehlt werden. Für das Gesamtjahr 2021 sind inzwischen höchstens 2,7 Millionen Neuzulassungen in Deutschland wahrscheinlich (minus 7,5 Prozent gegenüber 2020), da die heimischen Lieferausfälle durch Importe nicht kompensiert werden können – die Chipkrise ist global. Das mittlere Ergebnis der Jahre 2015 bis 2019 würde damit um mehr als 21 Prozent verfehlt. Es wäre das niedrigste Jahresergebnis seit der Wiedervereinigung. Der Nachholbedarf nimmt also weiter zu!
Ob sich der Markt im Jahr 2022 wieder erholen kann, ist ungewiss. Das hängt davon ab, wann die Chip-Produktion wieder hochgefahren werden kann – und in welcher nationalen Autoindustrie die Chips dann landen. Aus heutiger Sicht ist nur gewiss, dass die Engpässe bei der Halbleiterproduktion technisch wie politisch bis weit in das Jahr 2022 hinein andauern. Wann die Autohersteller global wieder auf Normalniveau produzieren können, ist weiter nebulös. Und selbst bei baldiger Chip-Produktionsaufnahme bestehen die Engpässe fort, denn es müssten zusätzliche Produktionsmengen von Halbleitern zur Verfügung stehen, um den hohen aufgelaufenen Auftragsbestand abzubauen.
Rückkehr auf Vor-Corona-Niveau womöglich Ende 2022
Mut machen kann sich die Branche nur mit der längerfristigen Zukunftsperspektive. Denn selbst ein Zulassungsvolumen von knapp über 3 Millionen im Jahr 2022 läge immer noch elf Prozent unter dem Mittel der Jahre 2015 bis 2019. Der aufgestaute Nachholbedarf wird damit weiter in die Zukunft verschoben.
Quellen: VDA, KBA, Automobilwoche
Dr. Helmut Becker war Mitglied des Sachverständigenrates („Fünf Weise“), begleitete 24 Jahre als Chefvolkswirt den Expansionskurs der BMW AG und war Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Business Economists (VDBE). Mit seinem Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) berät er Unternehmen, Banken, Dienstleister in strategischen, gesamtwirtschaftlichen, wirtschaftspolitischen und automobilspezifischen Fragen.