Tichys Einblick
Automobil-Report International Oktober 2021

VW will in Deutschland Mitarbeiter entlassen und Autos aus China importieren

Zehntausende Autos vom Typ ID.6 sollen in China hergestellt und nach Europa importiert werden. Zwar ist VW heute schon einer der größten Hersteller in China; über die Hälfte der VW-Produktion ist in China. Aber der Import nach Europa wäre ein absolutes Novum in der Konzerngeschichte.

In der Gläsernen Manufaktur in Dresden produziert Volkswagen seit Jahresbeginn den vollelektrischen ID.3

IMAGO / Sylvio Dittrich

Es ist eine Sensation, wenn die Meldungen des Springer-Dienstes BI stimmt: Zehntausende Autos vom Typ ID.6 sollen in China hergestellt und nach Europa importiert werden. Zwar ist VW heute schon einer der größten Hersteller in China; über die Hälfte der VW-Produktion ist in China. Aber der Import nach Europa wäre ein absolutes Novum in der Konzerngeschichte.

Damit reagiert der Konzern offensichtlich auf die extremen Kostensteigerungen in Deutschland und die Verschärfung der Energiekrise, die sich wegen schnell steigender Preise zu einer Industriekrise auswachsen kann. VW-Chef Diess hatte schon vor rund zwei Wochen angekündigt, dass der Konzern rund 30.000 Arbeitsplätze in Deutschland abbauen will – und dann dementiert. Weitere 7.000 Stellen stehen bei AUDI auf der Kippe. Aber offensichtlich verschärft sich die Krise. Bemerkenswert: VW ist ein halbstaatliches Unternehmen; über das VW-Gesetz verfügt Niedersachsen über maßgeblichen Einfluss trotz einer Minderheitsbeteiligung und stellt den Aufsichtsratsvorsitzenden. Diese Funktion wird vom jeweiligen Ministerpräsidenten ausgeübt.

Traditionell verfügt VW über eine tiefe Wertschöpfung in Deutschland, um möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern. Auch der Betriebsrat hat bei VW eine Sonderstellung: Finanziert wurde der Aufbau des VW-Werkes einst in Wolfsburg aus dem beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen, das in die nationalsozialistische „Deutsche Arbeitsfront“ überführt worden war. Historisch stellt die starke Rolle des Betriebsrats eine Art Wiedergutmachung dar. Doch diese tiefe Verankerung scheint VW nicht vor der Krise zu retten. Nach der Corona-Krise geht nun die Angst vor einer neuen internationalen Krise um – nämlich der Energiekrise. In der aktuellen Statistik schlägt sie sich zwar noch nicht nieder, aber ihr Schatten ist schon deutlich erkennbar. Die kommende Ampel-Koalition will durch geplante weitere Energiepreissteigerungen Diskussionen über den Wegfall der Pendlerpauschale und Steuererhöhung für Diesel den Autoabsatz in Deutschland weiter schwächen.

Speziell für die Autoindustrie droht also die Krise nach der Krise: Nach kurzer Erholung von den Corona-Lockdowns steht die internationale Automobilindustrie Anfang Herbst 2021 voll im Zeichen der Halbleiterkrise. Fehlende Speicherchips behindern in immer mehr Branchen, vor allem bei immer mehr Vorlieferanten in der Wertschöpfungskette, die Produktion: Ausfälle beim 3-Tier-Spezialisten führen zu Ausfällen beim 2-Tier-Lieferanten und dann beim 1-Tier-Systemlieferanten, der dann am Ende der Kette die Hersteller nicht mehr beliefern kann. Die Pipeline ist leer, alle verfügbaren Vorratsläger sind geräumt, die Stellplätze für halbfertige, noch nicht verkaufbare Automobile dagegen prall gefüllt. 

Bei immer mehr Herstellern stehen die Bänder still, oder bestehende Werkschließungen werden verlängert, Kurzarbeit kehrt auf breiter Front zurück. Gefertigt werden nur noch hochwertige Fahrzeuge mit hohen Gewinnmargen, keine Massenware mehr. In diese angespannte Situation stößt völlig unerwartet eine aufkommende Energiekrise, begleitet von einem heftigen Preisschub an den internationalen Erdöl- und Gasmärkten. Die Erdölpreise verdoppeln sich auf 85 Dollar/Brent, die Erdgaspreise verdreifachen sich.

Die Zutaten für eine Krise sind also angerichtet: stark steigende Preise für Energieträger jeder Art, wütende Bürger und hektisch reagierende Regierungen. Schon werden in vielen Ländern Energie-Subventionspakete geschnürt, um den Bürgern den Kaufkraftentzug verschmerzbar zu machen. In China wird energieintensiven Produktionen, zum Beispiel für Magnesium, der Strom zugunsten der privaten Haushalte entzogen. Mit der Folge, dass die Aluminium-Produktion ausfällt, von der wiederum die Automobilherstellung abhängt. 

Die Energiekrise schreitet global voran. Und in Deutschland ist überdies eine Regierung im Anmarsch, die sich einen Kosten und Energiepreis treibenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Dekarbonisierung auf die Fahne geschrieben hat. Die Rekordpreise für Gas, Öl, Strom und Treibstoff bewirken einen Kaufkraftentzug  – und treffen auch die Automobilnachfrage.  

Und einen schnell wirkenden Impfstoff gegen die Energieknappheit gibt es auch nicht. Selbst wenn die jetzigen Krisensymptome und Teuerungswellen im Frühjahr 2022 wieder abklingen sollten, könnten die Turbulenzen auf den Energiemärkten erst der Anfang einer chronischen Belastung für Bürger und Unternehmen in Deutschland und weit darüber hinaus sein. Keine guten Rahmenbedingungen für den Start einer neuen Regierung.

Aktuelle Lage des Autoweltmarktes (Quelle: VDA, ACEA)

Die Erholung der Weltautomobilkonjunktur kam im Sommer 2021 abrupt zum Stillstand, der Absatz liegt im Frühherbst global wieder deutlich unter Corona-Krisenniveau. Der Halbleitermangel sorgt weiterhin für Rückgänge auf allen internationalen Automobilmärkten. 

Quelle: VDA

Die internationalen Automobilmärkte mussten im September durch die zunehmende Belastung der Lieferketten durch den Mangel an Speicherchips und auch wegen der aufkommenden Teuerungswelle bei Benzin und Diesel erneut erhebliche Rückgänge hinnehmen.

Dazu im Einzelnen:

Der Absatz von Benzinfahrzeugen ging um 35,1 Prozent auf 855.476 Einheiten zurück, wobei ihr Anteil von 47,6 Prozent im dritten Quartal 2020 auf 39,5 Prozent des Marktes in diesem Jahr zurückging. 

Diesel, einst deutscher Exportschlager, hatte es noch schwerer. Sein Marktanteil sank im gleichen Zeitraum um mehr als 10 Prozentpunkte von 27,8 Prozent auf 17,6 Prozent.  Die Zulassungen neuer Diesel-Pkw haben sich in der gesamten EU-Region von 769.922 verkauften Einheiten im letzten Jahr auf 381.473 im dritten Quartal 2021 mehr als halbiert.

Neuzulassungen in Europa nach Herstellern

Die Absatzschwäche in Europa traf alle Hersteller, je nach Marktposition allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Lediglich Smart erzielte einen kleinen Zuwachs. 

Ausblick 

Eine rasche Besserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Automobilindustrie ist nicht in Sicht. Dafür sind vor allem Investitionen notwendig. Kapital dafür ist reichlich vorhanden! VW allerdings scheint einen anderen Weg gehen zu wollen: Import statt Export, was massiven Stellenabbau zur Folge hätte.

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