Tichys Einblick
Düsteres Branchenbild

Schlüsselbranchen auf Talfahrt – Schlechtes Omen für die deutsche Volkswirtschaft

Die beiden Zugpferde der deutschen Industrie – Autoindustrie und Maschinenbau – sind auf dem Weg, die gesamte deutsche Wirtschaft herabzuziehen. Das legen Prognosen der Branchenverbände nahe.

Produktionsanlage der D+L Group im Erzgebirge in Großrückerswalde

IMAGO / Sylvio Dittrich

Das Schicksal der deutschen Wirtschaft wird im Wesentlichen von zwei Branchen bestimmt: der Autoindustrie (21,6 vH) und dem Maschinenbau (12,9 vH). Beide Schwergewichte machen rund ein Drittel der gesamten Produktionsleistung der deutschen Industrie aus. 

Was früher traditionell für die USA galt, nämlich wenn die US-Wirtschaft den konjunkturellen Schnupfen hat, bekam Europa regelmäßig die Grippe, gilt sinngemäß heute auch noch für diese beiden Industriezweige: Schwächt sich die Konjunktur hier deutlich ab, rutscht die Volkswirtschaft mehr oder weniger stark in die Rezession ab, meistens mehr.  

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Die Anzeichen, dass die konjunkturelle Talfahrt dort mittlerweile eingesetzt hat, mehren sich. So vermeldet das Ifo-Institut als Ergebnis seiner monatlichen Befragung im August: „Lage der Autobranche wird schlechter.“ Die Lage in der deutschen Autoindustrie hat sich danach stark verschlechtert. Vor allem bei den zahlreichen kleinen und mittleren Zulieferern hat sich die Stimmung deutlich stärker eingetrübt als bei den wenigen Autoherstellern. Der Grund liegt auf der Hand: Die Hersteller ebenso wie die großen Zulieferer sind weltweit tätig und hängen nicht allein vom deutschen Markt ab. Im Gegensatz zu den Zulieferern, die auf den Inlandsabsatz an einen oder zwei Hauptabnehmer auf der Endstufe der Wertschöpfungskette konzentriert sind.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bestätigt das sich verdüsternde Branchenbild durch eine unerwartet kräftige Minus-Korrektur seiner Prognose für den deutschen Markt, aber auch für die USA und Europa, die wichtigsten globalen Absatzregionen für die deutsche Autoindustrie nach China (VDA Pressemitteilung 2.September 2022). 

Insider wissen, dass der VDA in den vergangenen Jahrzehnten für die Autoindustrie die Institution war, deren Prognosen eine außerordentlich hohe Qualität, weil Treffsicherheit hatten. Kurz: Auf die VDA-Prognosen konnten sich Medien und Analysten in der Vergangenheit verlassen, sie waren solide und auf breiter Grundlage mit allen Experten der Branche intern erarbeitet und abgestimmt.

Der VDA hat nun seine Marktprognosen für den Weltmarkt sowie die Märkte China, USA, Europa und Deutschland angepasst und mit Ausnahme von China ungewohnt stark nach unten korrigieren müssen:

Die aus Klimagründen notwendige Absenkung der globalen CO2-Emissionen auch im Verkehrssektor ist also voll im Gange – allerdings aus anderen Gründen, als von grünen Umweltaktivsten angestrebt: nicht durch staatlichen Zwang, sondern freiwillig aufgrund der Anpassung des Marktes an die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

VDA-Präsidentin Hildegard Müller nennt viele Gründe für die korrigierten Prognosen: die Folgen der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Beides bedingt gestresste Lieferketten, einen Mangel an Vor- und Zwischenprodukten (insbesondere Halbleiter) sowie steigende Rohstoff- und Energiekosten – und damit eine Produktion und Marktbelieferung nur unter gestörten Bedingungen. Die Lage entspanne sich leider deutlich langsamer als zunächst angenommen. Dazu kommen eine hohe Inflation und die Zinswende, die den finanziellen Spielraum der Menschen zunehmend einschränken. Das Ergebnis: ein historischer Tiefststand bei den Neuwagenkäufen!

Wachstums-Zenit überschritten
Der deutsche Automarkt wird dauerhaft schrumpfen
Als Hauptgrund für die starke Abwärtskorrektur auf dem deutschen Markt nennt der VDA ebenfalls, dass die Entspannung der Lieferketten, die für die zweite Jahreshälfte erwartet worden war, sich kaum oder nur weniger stark als bisher angenommen auf der Produktionsseite bemerkbar gemacht hat. So bestimmen weiterhin die schwierige Verfügbarkeit von Vorprodukten und Rohstoffen die Märkte, insbesondere der Halbleitermangel, der nunmehr sogar bis 2024 anhalten soll. Mehr Gewicht dürfte allerdings haben, dass wegen der explosionsartigen Energieverteuerung ab Herbst 2022 die sinkende Kaufkraft und eine zunehmende Verunsicherung der Konsumenten, je näher der Winter rückt, deutliche negative nachfrageseitige Effekte haben wird. 
Nicht nur das Konsumklima, sondern auch die Investitionslaune hat sich weltweit eingetrübt

Der deutsche Maschinenbau kappt seine Prognose für 2023 ebenfalls. Der Maschinenbau Verband (VDMA) verzeichnete im Juli ein deutliches Auftragsminus von insgesamt real 14 Prozent weniger neue Aufträge als ein Jahr zuvor. „Die Investitionslaune hat sich weltweit eingetrübt, was bei den geopolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen nicht verwundert“, so VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers.

Aus dem Inland kamen im Juli 17 Prozent weniger Aufträge, die Bestellungen aus dem Ausland gingen zum Vorjahresmonat um 12 Prozent zurück. Für den Zeitraum von Januar bis einschließlich Juli 2022 ergibt sich den Angaben zufolge in realer Betrachtung eine Stagnation im Auftragseingang, nominal gesehen steht für diesen Zeitraum ein Plus von 8 Prozent in den Büchern. Offensichtlich haben die deutschen Maschinenbauer wenige Probleme, Kostensteigerungen am Weltmarkt weiterzugeben. 

Dafür spricht auch, dass der Auftragsbestand historisch hoch geblieben ist. Daher rechnet der VDMA für die Branche für das laufende Jahr weiterhin damit, dass trotz Lieferengpässen, Fachkräftemangel und steigenden Energiepreisen die Produktion auch 2022 zulegen wird, allerdings mit nur noch auf  plus 1 Prozent gesenktes reales Produktionswachstum. Damit erweist sich der Maschinenbau in einem eingetrübten Konjunkturausblick als Anker der Stabilität für die deutsche Volkswirtschaft.

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