Tichys Einblick
Zeitenwende

Autoindustrie absurd – abstürzende Produktion bei hohen Gewinnen

Produktion und Absatz der Autoindustrie brechen regelrecht ein – in allen wichtigen Märkten. Das ließe für die Zukunft der Branche Schlimmes befürchten. Aber im krassen Gegensatz dazu macht die Branche satte Gewinne.

Produktion von Elektrofahrzeugen der Marke Audi bei Volkswagen in Zwickau

IMAGO / Kirchner-Media

Mehr als drei Viertel der Investitionen bei Mercedes sollen künftig in SUVs und Limousinen fließen, sagte Konzernchef Olaf Källenius kürzlich. Der Anteil luxuriöser Modelle wie S-Klasse, EQS, GLS, Maybach, AMG oder G-Klasse am Gesamtabsatz soll bis 2026 um 60 Prozent steigen. Das kündigte Källenius bei einem „Strategy Update“ unter dem Motto „Economics of Desire“ am Donnerstag vor Investoren an der Côte d’Azur an, wie das Handelsblatt berichtet.

Was vor Kurzem am Firmament für den Laien der „Blutmond“ war, ist auf Erden gegenwärtig die Automobilindustrie: Beide stehen für spektakuläre Phänomene, die selbst den (vorgebildeten) Laien immer wieder ins Staunen versetzen.

Worin liegen die Widersprüche für die Autoindustrie im Frühjahr 2022? 

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Die Widersprüche liegen darin, dass gegenwärtig die Autoindustrie auf breiter Front bei Produktion und Absatz regelrecht abstürzt. Und zwar nicht nur auf einem Markt, sondern in fast allen wichtigen Märkten, auch in den USA. Eine Entwicklung, die es so in zurückliegenden Konjunkturkrisen noch nie gegeben hat und die eiegentlich für die Zukunft der Branche Schlimmes befürchten lässt.  

Was wiederum im krassen Gegensatz zur Gewinnsituation der Autobranche steht. Denn trotz weltweiten Volumenseinbrüchen auf ihren Hauptmärkten vermelden alle deutschen Hersteller für das ersten Quartal 2022 neuerliche Rekordergebnisse. Was wiederum zu einer Meldung der Automobilwoche passt, die lautet: „Auftragsstau in Autobranche auf Rekordkurs“ – Ein Mirakel! 

Wie passt das alles zusammen? Ein Blick auf die Fakten könnte Klarheit verschaffen, zunächst auf die Produktions- und Absatzentwicklung auf den wichtigsten Märkten für die deutschen Hersteller:

China

China hat sich in den letzten 20 Jahren zum wichtigsten Absatzmarkt für die deutschen Autokonzerne entwickelt, für Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW ist er der größte Einzelmarkt. In guten Jahren hat der VW-Konzern rund die Hälfte seiner 10 Millionen Jahresproduktion in China gefertigt und verkauft, bei Mercedes-Benz und BMW sind es mittlerweile ein Drittel des Jahresabsatzes. Was früher den USA vorbehalten war, gilt nunmehr noch für China: „Wenn der chinesische Automarkt den Schnupfen hat, kriegen die deutschen Autobauer Gelbfieber, respektive eine Erkältung.“

Bereits in den vergangenen Jahren stockte das früher rasante Absatzwachstum etwas, 2021 sorgte insbesondere die knappe Chipversorgung für Produktionsausfälle. Im Frühjahr 2022 haben die Corona-bedingten drastischen Lockdowns ebenso drastische Auswirkungen auf den Automarkt. Chinas Behörden versuchen seit Wochen, Corona-Ausbrüche in verschiedenen Großstädten mit umfassenden Einschränkungen in den Griff zu bekommen: Die Menschen konnten in einigen Millionenstädten also nicht mehr raus. Wer aber eingesperrt ist, kann keine Autos kaufen. Und er kann auch keine bauen! 

Vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt:
Die Autowirtschaft verändert sich radikal – aber nicht so wie gedacht
Im April 2022 ist der Verkauf von Autos an chinesische Verbraucher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 35,7 Prozent eingebrochen, so laut Meldung des Branchenverbands PCA (China Passenger Car Association). Damit beschleunigte sich die Entwicklung im Vergleich zum bereits schwächeren März nochmals. Zudem scheinen die Händler ihre Lagerbestände abzubauen, denn Angaben des Herstellerverband CAAM (China Association of Automobile Manufacturers) über den Großhandelsabsatz brach der Absatz der Hersteller an die Händler in der Volksrepublik im Jahresvergleich um fast die Hälfte ein. Dass signalisiert einen Lagerbestandsabbau der Autohändler – kein gutes Omen für die deutschen Hersteller. 
Europa

In der Europäischen Union hielt die Marktschwäche an. Der russische Einmarsch in der Ukraine hatte bereits im Februar die Probleme der Autobranche verschärft und bei den Neuzulassungen in der EU für den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik vor 32 Jahren gesorgt. Die Auswirkungen der Lieferausfälle bei Kabelbäumen schlugen erst im März voll zu Buche, als der Absatz um 20,5 Prozent fiel.

Im April 2022 brach der EU-Automarkt abermals um ein Fünftel gegenüber dem Vorjahr ein. Verantwortlich für die Marktschwäche waren Lieferkettenprobleme wegen des Ukraine-Krieges sowie der weiter anhaltende Chipmangel. Nach Meldungen des Branchenverbandes ACEA sanken die Pkw-Neuzulassungen im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 20,6 Prozent auf 684.506 Fahrzeuge. 

Mit Ausnahme des ersten Corona-Jahres 2020, als die Produktion zeitweise europaweit stillstand, war dies der schwächste April seit Beginn der ACEA – Aufzeichnungen. Betroffen waren alle Länder, am meisten jedoch Italien, Frankreich und Deutschland. 

Am stärksten war der Verkaufsrückgang in

Auch in Großbritannien, das nicht mehr zur EU gehört, sanken die Zulassungen um 15,8 Prozent

Fast alle großen Autohersteller gerieten in den Abwärtssog. Besonders betroffen war Marktführer VW mit einem Absatzrückgang 30 Prozent. Ebenso die Opel-Mutter Stellantis mit minus 32 Prozent. Renault schrumpfte um 18 Prozent. Auch die Premiumhersteller BMW und Mercedes-Benz büßten zweistellig ein.

Deutschland 

Auch der deutschere Automobilmarkt litt weiter unter Versorgungsengpässen – nicht an Nachfrage. Der Rückgang der Produktion war jedoch schwächer als noch im Vormonat. Im April 2022 wurden in Deutschland 180.300 Pkw neu zugelassen, 22 Prozent weniger als noch im Vorjahresmonat (per April 806.000 Neufahrzeuge; minus 9 Prozent). Neuwagen sind weiter knapp, verkaufshemmend wirkte sich weiter der Mangel an Vorprodukten in der Produktion aus. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 beträgt der Rückgang in den ersten vier Monaten 32 Prozent. Die Elektro-Neuzulassungen sanken im April ebenfalls um 14 Prozent auf 43.900 Einheiten. Der Anteil von Elektro-Pkw an den gesamten Neuzulassungen lag im abgelaufenen Monat somit bei 24,4 Prozent. Die Neuzulassungen von rein batterieelektrischen Pkw (BEV) gingen um 7 Prozent zurück, die von Plug-In-Hybriden (PHEV) um 20 Prozent. Die Diskussion um eine Beendigung der PHEV-Förderung bei gelichzeitig langen Lieferzeiten zeigt offensichtlich Wirkung.

Der Hype um E-Autos lässt offensichtlich nach. Seit Januar wurden insgesamt 195.400 Elektro-Pkw zugelassen, nur noch ein Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Hinzu kommen Lieferzeiten von inzwischen bis zu über 12 Monaten für einzelne Modelle.

Prognose

Zu diesem trüben Absatzbild im Frühjahr 2022 kommen trübe Jahresprognosen hinzu. Nach neuesten Erkenntnissen des Duisburger CAR-Instituts (Center Automotive Research) fällt der globale Neuwagenabsatz 2022 auf den niedrigsten Wert seit 2011, also auf ein Zehn-Jahres-Tief. Danach werden im laufenden Jahr global nur noch 67,6 Millionen Neuwagen verkauft. Das wären rund eine Million Autos weniger als im ersten Corona-Jahr 2020 und der niedrigste Wert seit 2011. Wichtigster Grund für die Flaute bleiben anhaltende Produktionsprobleme wegen fehlender Zulieferteile.

Auch Deutschland ist davon betroffen. Hier soll der Jahresabsatz mit 2,47 Million um 6 Prozent gegenüber 2021 schrumpfen.

Die Pkw-Produktion in Deutschland fällt auf unter 3 Millionen in 2022, dem Niveau von 1976, zurück. Innerhalb von nur fünf Jahren hat sich damit die Inlandsproduktion von Pkw fast halbiert.

Schlussfolgerung

Müssen diese negativen Zukunftsperspektiven den Herstellern Sorgenfalten auf die Stirn treiben und den Finanzvorständen schlaflose Nächte bereiten?

Mitnichten! Denn:

Eine rasche Änderung der Marktenge ist nicht in Sicht. Für die Hersteller heißt das viel Gutes, für die Autokunden nicht.

Die Geschäftsaussichten für die Autoindustrie bleiben trotz Unterauslastung der Bänder sehr „auskömmlich“. Im Gegenteil: Höhere Gewinne bei niedrigeren Absatzzahlen sind ein Geschäftsmodell, das die Branche letztmalig in den 1960er Jahren erlebt hat. Und die heutige Managergeneration noch überhaupt nicht …

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