Unter einer Brücke im Stadtteil Treptow-Köpenick durchbohrten Bauarbeiter 2019 zwei 110-Kilovolt-Leitungen. Daraufhin fiel in mehr als 30.000 Haushalten der Strom aus – mitten im Winter. Ampeln gingen aus, Straßenbahnen blieben stehen, kein Handyempfang mehr, kein Internet. Heizkraftwerke liefen nicht mehr, Aufzüge blieben stecken, in Pflegeheimen versagten Beatmungs- und Dialysegeräte. 30 Stunden später war der Ausnahmezustand vorbei – Berlin schlug sich gut. Und doch: Was in einem Stadtteil noch bewältigt werden konnte, kann in größeren Dimensionen schnell unkontrollierbar werden.
Mit dieser Möglichkeit beschäftigt sich der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf seiner Website. In einem Beitrag wird das Szenario eines großflächigen Stromausfalls durchexerziert. „Schon die ersten 24 Stunden ohne Strom bringen das Leben, wie wir es kennen, zum Stillstand. Telefon und Internet fallen aus, U- und S-Bahnen bewegen sich nicht mehr, Flugzeuge bleiben am Boden. Verkehrschaos auf den Straßen, kein Bargeld mehr aus dem Automaten. In den Supermärkten laufen die Registrierkassen noch etwa 30 Minuten mit Notstrom, danach sagen sie keinen Piep mehr.“
Für solche Szenarien seien die Menschen gar nicht gewappnet „Die Mehrheit der Gesellschaft tut nichts“, sagt Wolfram Geier vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Andere Experten beklagen, Deutschland sei auf einen Blackout „überhaupt nicht vorbereitet“. „Man muss der Bevölkerung klarmachen, dass ein Blackout möglich ist, dem man sich nicht einfach entziehen kann, weil eine sehr große Fläche betroffen sein wird“.
Der GDV greift das Szenario freilich nicht aus der Luft. Experten sehen die Risiken für das Stromnetz wachsen: Albrecht Broemme, langjähriger Präsident des Technischen Hilfswerks, warnt vor Hackerangriffen auf die Energie-Infrastruktur des Landes. Auch Terror oder Extremwetter könnten die Netzstabilität nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas gefährden. Im eng miteinander verknüpften europäischen Stromnetz kann schon eine Störung reichen, um einen halben Kontinent weiter Schweres zu verursachen. „Ein Störfall in Kopenhagen kann dazu führen, dass in Barcelona das Licht ausgeht.“ Dies sei mehrmals bereits nur knapp verhindert worden.
Und dank E-Mobilität, elektrischer Wärmepumpen und Wasserstoffproduktion dürfte der Energiehunger in den kommenden Jahren noch deutlich steigen. Gravierende Stromausfälle hat es in Deutschland bislang nicht gegeben, aber die Zahl der Eingriffe der Netzbetreiber zur Stabilisierung des Stromnetzes ist deutlich höher als vor Beginn der Energiewende. Die Warnungen sind eindeutig. Dass der Blackout kommt – für Albrecht Broemme ist das nur eine Frage der Zeit. Und dann komme er mit voller Wucht: Der Katastrophenschützer prognostiziert, „halb Europa“ werde dann „für vier bis sechs Wochen ohne Strom sein“.
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