Tichys Einblick
Klientelpolitik à la SPD

Arbeitsminister Hubertus Heil: Gewerkschaftsrettung durch Steuerprivileg

Hubertus Heil will Gewerkschaftsmitglieder steuerlich bevorzugen. Mehr als krasser Klientelismus scheint der SPD nicht einzufallen, um den dahinschmelzenden DGB und sich selbst vor der Wirklichkeit zu schützen.

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In der ältesten deutschen Partei, die derzeit nicht nur eine neue Führung sucht, sondern offenbar auch den letzten Rest ihrer schmelzenden Wählerschaft zu halten versucht, ist unter dem Druck der Lage offenbar einiges möglich. Auch der Rückgriff auf Mittel, die man nicht anders als puren Klientelismus nennen kann.

Hubertus Heil, Arbeitsminister und Mitglied einer Partei, die vor über 150 Jahren als Kern der Arbeiterbewegung entstand, schlägt vor, dass Gewerkschaftsmitglieder einen besonderen Steuerrabatt genießen sollen. „Künftig sollen die Mitgliedsbeiträge an Gewerkschaften tatsächlich steuermindernd wirken, indem sie beispielsweise als Sonderausgaben berücksichtigt werden“, zitiert die FAZ aus einem Papier, das Heil am Freitag vorstellen wird. Die Mitgliedsbeiträge sollen also in der Steuererklärung nicht mehr unter „Werbungskosten“ verbucht werden, wo sie in aller Regel im Pauschbetrag von 1.000 Euro aufgehen, sondern stets gesondert steuerlich anerkannt werden. Das sei ein Ergebnis seines 2018 begonnenen „Bürgerdialogs“, einer Reihe von regionalen Veranstaltungen. Nämlich: Tarifverträge und gewerkschaftliche Gestaltungsmacht zu stärken. 

Strukturkrise
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Zur Erinnerung: Die acht im Deutschen Gewerkschaftsbund vereinten Gewerkschaften verlieren ähnlich wie die SPD kontinuierlich Mitglieder – allein zwischen 2013 und 2018 wurden es 168.000 weniger. Während es heute nicht einmal sechs Millionen DGB-Gewerkschafter gibt, waren es nach der Wiedervereinigung 1991 noch 11,8 Millionen. Die Zahl der Beschäftigten dagegen hat bekanntlich in jüngster Zeit immer wieder neue Rekordstände erreicht. 

Ganz offensichtlich haben immer weniger Arbeiter und Angestellte den Eindruck, dass die DGB-Gewerkschaften eine unverzichtbare Institution sind, in der man als Arbeitnehmer im eigenen Interesse mitmachen muss. In dieser Situation will nun der SPD-Minister mit fiskalischem Zuckerbrot nachhelfen. 

Heils Motiv dürfte eben nicht nur ein sachpolitisches sein, sondern ein machtpolitisches. Es ist wahrlich kein Geheimnis: Die DGB-Gewerkschaften und die SPD haben nicht nur gemeinsame historische Ursprünge, sie – beziehungsweise ihre Vorgänger-Organisationen – schritten jahrzehntelang politisch und gesellschaftlich Seit’ an Seit’. Die Gewerkschaften boten nicht nur dem Malocher-Milieu ein lebensweltliches Biotop, das den Kern der SPD-Wählerschaft ausmachte, sondern ihre Organisationen brüteten auch einen erheblichen Teil der professionellen SPD-Politiker aus. Darunter beeindruckende Urgesteine der alten Bundesrepublik wie den späteren Verteidigungsminister Georg „Schorsch“ Leber. Der „Soldatenvater“ war ursprünglich Maurer und als solcher in der IG Bau-Steine-Erden aktiv.

Kontinuität
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Heute ist es oft umgekehrt: SPD-Politiker, die nie in einem Betrieb gearbeitet haben, werden Mitglieder einer „Industriegewerkschaft“. Im Falle von Hubertus Heil, geboren 1972, studierter Politologe und Soziologe und seit 1998 Bundestagsabgeordneter, ist es die IG Metall. Warum eigentlich? Womöglich ist für Heil und die SPD die Pflege der Institution Gewerkschaften ein Selbstzweck geworden, der deren ursprünglichen Daseinsgrund – Kampf für die Interessen von Arbeitern und Angestellten – überlagert.

Die Gewerkschaften der Gegenwart haben eben wie die SPD selbst längst auch eine andere Agenda als die Interessenwahrung des einst so genannten „kleinen Mannes“. Wer öffentliche Äußerungen von Spitzenfunktionären hört oder auch verfolgt, für oder gegen was und vor allem mit welchen anderen Organisationen die DGB-Gewerkschaften demonstrieren und laut werden, bekommt davon einen Eindruck: Kampagnen für „Weltoffenheit“, Wahlaufrufe gegen Populisten und „für Europa“ (obwohl in Brüssel nicht selten eine Arbeitspolitik gemacht wird, die deutsche Arbeitnehmerrechte unterhöhlt), „Seenotretter nicht weiter kriminalisieren“, „Rüstungswahnsinn stoppen“ https://www.dgb.de/extra/migration . Und immer wieder sind auf Gewerkschaftsveranstaltungen auch Transparente von Antifa-Organisationen zu sehen. 

Kann es irgendjemanden angesichts solcher forcierten und zunehmend bornierten Moralisierung einerseits und der Vergessenheit für die Interessen heimischer Arbeitnehmer andererseits wundern, dass mittlerweile ein Großteil der Arbeitnehmerschaft mit den DGB-Gewerkschaften nichts zu tun haben möchte und gleichzeitig unabhängige Spartengewerkschaften wie die der Lokführer oder der Piloten aufgestiegen sind? Solche Fragen scheinen im DGB und der SPD tabu zu sein. Ebenso wie ein ernsthaftes Nachdenken darüber, warum wohl die beliebtesten Parteien unter Arbeitern längst nicht mehr die SPD, auch nicht die Linke und schon gar nicht die mit dem DGB ebenfalls gut verklüngelten Grünen sind, sondern CDU und AfD. 

Dass die Gewerkschaften nun durch Heils Zuckerbrot (wenn er es denn in der Koalition durchsetzen kann) eine neue Blüte und Mitgliederzuwächse erleben, ist eher unwahrscheinlich. Gestärkt wird wohl vor allem Heils Hausmacht im SPD-Gewerkschaftsklüngel. Wenn SPD und Gewerkschaften die Abkehr der Arbeitnehmerschaft wirklich bremsen wollten, stünde etwas anderes an: Nämlich die Wiederentdeckung der Interessen der Arbeitnehmer, die keine exklusiven Steuerprivilegien für Gewerkschafter, sondern geringere Steuerlast für alle wenig und durchschnittlich Verdienenden wollen. Aber das wäre wie jede Abkehr von einem Holzweg ziemlich unbequem.  

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