Aktuell treiben vor allem die infolge des Ukraine-Kriegs gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise, globale Materialverknappung sowie durch die Corona-Pandemie weiterhin gestörte Lieferketten die Preise auf breiter Front in die Höhe. Ein Ende des Preisauftriebs ist nicht in Sicht. Im Gegenteil!
Betroffen von dieser Entwicklung sind alle: Auf Ebene der volkswirtschaftlichen Stabilitäts- und EZB-Währungshüter läuten inzwischen die Alarmglocken in voller Klangstärke. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht steht inzwischen jedes Unternehmen – bei Industrie wie Handel und Dienstleister – vor der Frage, wie steigende Material- und Vorleistungskosten in steigenden Preise an die Abnehmer weitergegeben werden können.
Dabei lassen Unternehmens-Befragungen keine Zweifel an dem für Stabilitätsökonomen erschreckenden Schluss, dass es aus Sicht der Betriebswirtschaft längst nicht mehr um das Ob von Preiserhöhungen geht, sondern ausschließlich um das Wie: Wie kann ich als Unternehmen xyz meine Preise erhöhen, ohne dabei meine Kunden zu verärgern und Wettbewerbs- und Absatzeinbußen zu erleiden?
Zu den Erfolgsfaktoren des Systems der freien und sozialen Marktwirtschaft gehört es, dass auf Dauer keine Bedarfe unentdeckt bleiben. So auch in diesem Fall. Die Frage stand im Raum: Wie kann ich in Zeiten der Inflation Preiserhöhungen am Markt geräuschlos durchsetzen?
Die Antwort liefert Pricing-Experte Sebastian Voigt (Beratung Axel Springer hy) im DUP Magazin: „Selten war die Notwendigkeit, die Verkaufspreise den gestiegenen Kosten nachzuziehen, so offensichtlich wie heute.“ Es steht außer Zweifel, dass in Zeiten steigender Energie- und Rohstoffpreise und steigender Inflation Unternehmen im Prinzip keine Wahl haben, höhere Kosten früher oder später an Kunden weiterzugeben. Selbst wenn es andere Möglichkeiten gäbe, um gestiegene Kosten vielleicht erst einmal auszugleichen, zum Beispiel durch Produktivitätssteigerungen, hält Voigt es für unerlässlich, dass Unternehmen sich mit der Frage danach aktuell auseinandersetzen.
Die Begründung ist einleuchtend: „Wenn ich normalerweise in einem Umfeld mit niedrigen zweistelligen Gewinnmargen operiere, dann können die aktuellen Kostensteigerungen diese ganz schnell komplett auffressen und mein komplettes Geschäft unprofitabel machen. Im März 2022 sind die Preise im Schnitt um gut sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, aber gerade produktionsintensive Branchen und Unternehmen sahen noch deutlich höhere Kostenanstiege. Der Ölpreis zum Beispiel hat sich binnen zwölf Monaten etwa verdoppelt, Containerfrachtraten ebenso, Metalle wie Nickel oder Aluminium haben sich im Preis vervielfacht, Lithium ist profitabel nicht mehr zu beschaffen. Wer mit solch einschneidenden Kostensteigerungen arbeiten muss, für den sind Preisanpassungen in der Tat aktuell unerlässlich.“
Daraus ist gerade aus Stabilitätssicht für Ökonomen die Schlussfolgerung ebenso unerlässlich wie brisant: Die deutsche Wirtschaft befindet sich aktuell in einer volkswirtschaftlichen Situation, in der die Inflation die Preissteigerungen nährt, und die Preissteigerungen wiederum die Inflation.
Dieser inflationäre Prozess läuft umso „geschmeidiger“ ab, je weniger Widerstand die Nachfrage den Preisforderungen der Produzenten entgegensetzen. Wenn es also für den „Preistreiber“ kein größeres unternehmerisches Risiko ist, die Preise zu erhöhen und damit eventuell Abnehmer in die Arme der Konkurrenz zu treiben.
Was aber umso risikoloser und unwahrscheinlicher ist, wenn alle Wettbewerber im gleichen „Kosten-/Preis-Boot“ sitzen. Das betriebswirtschaftliche Problem – Wie kommuniziert man Preissteigerungen richtig und bis zu welchem Grad sind Anpassungen akzeptabel? – verschwindet dann von selbst. Denn die Nachfrageseite hat in Zeiten inflationärer Selbstbeschleunigung kaum Alternativen bei der Wahl der Produzenten, siehe Preisentwicklung bei Energie und Rohstoffen.
Laut einer Umfrage von hy haben etwa zwei Drittel aller Teilnehmer bereits erfolgreich höhere Preise in 2022 umgesetzt. „Wer darauf wartet, seine Preisstrategie erst dann anzupassen, wenn sich die Lage wieder etwas beruhigt hat, der wird vermutlich deutlich mehr Gegenwehr bei seinen Kunden spüren“(Voigt). Mit anderen Worten: Wer zu spät kommt, den straft das Leben.
Zu Ende gedacht, kann das für die deutschen Unternehmen aktuell aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht nur heißen, die Gunst der Stunde zu nutzen, und möglichst bald und möglichst „erträgliche“ Preiserhöhungen durchzuführen. Sollten die Abnehmer aufbegehren, bestünde laut Voigt immer noch die Möglichkeit für den Anbieter, sich „zu fragen, ob der Vertrag profitabel bedient werden kann oder nicht gegebenenfalls gekündigt werden sollte, um sich stattdessen auf (lukrativere) andere Verträge und Kunden zu konzentrieren. Dieses Vorgehen ist aktuell häufiger, als man denkt.“
Daraus kann der erfahrene Makroökonom nur den einen Schluss ziehen: Setzt sich in den Unternehmen erst mal auf breiter Front Inflationsmentalität durch, ist eine Selbstbeschleunigung der Preiswelle kaum noch aufzuhalten. Wie stark, hängt natürlich von der Branche, der Kundenbeziehung und der Marktmacht von Anbieter und Kunde ab. Doch je länger der Inflationsprozess anhält und je stärker die Inflationsmentalität um sich greift, desto größer ist die Gefahr der Inflationsbeschleunigung durch sich selbst erfüllende Erwartungen.
Der Widerstand gegen fortgesetzte Preiserhöhungen nimmt auf Seiten der Nachfrage im Verlaufe des Beschleunigungsprozesses ab. Oder, wie Berater Voigt es formuliert: „Wichtig ist zu wissen, dass der Fakt, dass eine Preiserhöhung erfolgt, bereits zu Diskussionen führen wird. Die Höhe der Preiserhöhung ist hier oftmals nachrangig. Oder technisch gesprochen: Die Preiselastizität ist beim ersten Cent der Preisanpassung am höchsten und nimmt danach ab.“
Vor diesem Hintergrund ist für die EZB als Hüter der Stabilität also höchste Gefahr im Verzug. Es gilt so rasch als möglich zu handeln, um die sich aufschaukelnde Inflationsmentalität in der Wirtschaft zu brechen. Die Leitzinsen müssen noch weiter angehoben werden, ein klares Bekenntnis der EZB zur Priorisierung der Inflationsbekämpfung ist dringend erforderlich. Steckt erst einmal in den Köpfen des Managements die Erwartung drin, es sei besser mit Preisanhebungen heute auf erwartete Kostensteigerungen von morgen zu reagieren, treten diese Kostensteigerungen morgen mit Sicherheit ein. Das ist die Stunde der Preis-Trittbrettfahrer. Wehret den Anfängen!
So richtig es war, dass die EZB 2021 mit ihrer Antwort auf die externen Kostenfaktoren bei Energie- und Rohstoffen aus Wachstumsgründen abgewartet hat, wie sich die Corona geschwächte Wirtschaft verhält, so richtig ist es jetzt, ein kräftiges Zinszeichen zu setzen, analog zur Fed in den USA.
Wie schon Feldmarschall Illo zum Kroaten General Isolani in Schillers Drama Wallenstein sagte: „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt“.