Tichys Einblick
Wegen der Erdgaspreise

AdBlue wird knapp und entsprechend teuer – stehen bald LKWs still?

Die Lieferketten kommen nicht zur Ruhe. Jetzt wird AdBlue knapp – ein Zusatzstoff, ohne den viele Dieselfahrzeuge und die meisten LKWs nicht fahren. Die Preise sind in den vergangenen drei Monaten um mehrere hundert Prozent gestiegen.

Tankstutzen eines LKW für Diesel und AdBlue

IMAGO / Manfred Segerer

„Die Nachfrage ist mindestens zehnmal so hoch wie zu normalen Zeiten“, berichtet ein Vertriebsmitarbeiter eines mittelständischen Herstellers von AdBlue am Telefon. Inzwischen kämen sogar Polen oder Tschechen nach Deutschland, um hier den Diesel-Zusatzstoff zu kaufen und in Osteuropa zu höheren Preisen zu verkaufen, behauptet er. Hierzulande seien die Preise zwar geringer als in anderen Ländern, aber sie hätten sich dennoch um 300 oder 400 Prozent innerhalb von drei Monaten erhöht, berichtet der Mann. „Der Erdgaspreis müsste sinken, damit wir AdBlue wirtschaftlich produzieren können”, sagt er und fügt hinzu: “AdBlue könnte knapp werden.” Das sei aber schwer zu prognostizieren.

AdBlue ist eine Bezeichnung für verdünnten Harnstoff, der im Abgassystem von Dieselfahrzeugen giftige Stickoxide abbaut. Ohne AdBlue fahren viele Dieselfahrzeuge nicht, weil das eine eingebaute Sensorik verhindert. Laut dem Bundesverband Güterkraftverkehr Entsorgung und Logistik wären rund 90 Prozent aller LKWs betroffen. Viele AdBlue-Hersteller haben die Produktion ganz oder teilweise eingestellt, warnte der Verband bereits im Oktober.

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Ob LKWs tatsächlich stillstehen müssen, ist aber unklar. Der Branchenverband Fuels und Energie hält die Versorgungslage für „angespannt”, eine Versorgungslücke sei „uns aktuell aber nicht bekannt“, sagt ein Sprecher auf TE-Anfrage. Auch der Logistikkonzern Dachser berichtet von einer generellen Verknappung von AdBlue am Markt. Aber: „An unseren Betriebstankstellen sind aktuell noch keine größeren Engpässe und Lieferverzüge in Hinblick auf AdBlue eingetreten“, erklärt ein Sprecher auf TE-Anfrage. Trotzdem rät Dachser seinen Betriebstankstellen und Transportunternehmern, sich bereits proaktiv mit AdBlue zu bevorraten.

Der spanische Logistikverband Fenadismer will von Branchenunternehmen erfahren haben, dass der AdBlue-Preis in dieser Woche um weitere 50 Prozent steigen wird. Die höheren Preise bedeuteten Zusatzkosten von 1000 Euro pro LKW im Jahr, wie der Verband in einer Pressemitteilung schreibt. Außerdem rechnet der Verband damit, dass Tankstellen mit der Rationierung beginnen würden.

Grund für die AdBlue-Knappheit sind die extrem hohen Erdgaspreise. Die chemische Industrie stellt den Diesel-Zusatzstoff aus Ammoniak und Kohlendioxid her. Ammoniak entsteht wiederum aus Erdgas (Methan), Stickstoff und Wasserstoff. Chemiekonzerne wie BASF oder der größte deutsche Hersteller SKW Piesteritz haben die Ammoniak-Produktion gedrosselt, die sich bei den um ein Vielfaches gestiegenen Erdgaspreisen nicht mehr rentiert. Auch Düngemittel sind wegen des Ammoniak-Mangels knapp und extrem teuer geworden (TE berichtete).

In Medien-Kommentaren wurde die Schuld an den hohen Gaspreisen oft Wladimir Putin gegeben. Der russische Präsident habe über den Konzern Gazprom die Gaslieferungen nach Europa reduziert, behauptete etwa die Bild-Zeitung. Dem widersprach aber der Chef des Gashandelskonzerns VNG. „Russland kommt seinen Lieferverpflichtungen nach“, sagte Ulf Heitmüller der Mitteldeutschen Zeitung. „Nach unseren Erkenntnissen gibt es von russischer Seite keine Verknappung des Angebotes, um etwa gezielt Nord Stream 2 zu pushen.” Grund sei vor allem die gestiegene Gasnachfrage seit Ende des Lockdown – besonders aus China.

Der Verband der Chemischen Industrie hält indes weitere Preissteigerungen bei AdBlue für „nicht unwahrscheinlich“. Wie genau sich die gedrosselte Ammoniak-Produktion auf die Verfügbarkeit von AdBlue auswirken werde, sei aber schwer abzuschätzen. In der vergangenen Woche hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer im Handelsblatt angekündigt, die Forderung der Industrie nach einem Runden Tisch zu unterstützen. „Wir haben die Lage genau im Blick und nehmen die Warnungen der Logistiker sehr ernst.“

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