Tichys Einblick
40 Prozent Umsatzeinbruch

Unternehmer befürchten „stilles Sterben“ in den Innenstädten

Mit dem weitgehenden Schließen des öffentlichen Lebens streichen die Regierenden auch dem Handel den Umsatz um bis zu 40 Prozent. Nun erwägt die Bundesregierung, Händler zu entschädigen.

imago images / Ralph Peters

In der Berliner Koalition gibt es Überlegungen, möglicherweise auch Einzelhändler zu unterstützen, die unter dem fortgesetzten ‚Lockdown light’ leiden. Da sie anders als Gastronomie und Kultureinrichtungen weiter öffnen dürfen, erhalten sie bisher keine staatlichen Hilfen – obwohl sie Umsatzeinbrüche bis zu 40 Prozent hinnehmen müssen. „Es gibt Signale aus der Politik, dass die staatlichen Hilfen möglicherweise auch auf andere Branchen erweitert werden, wenn sie mindestens 40 Prozent weniger Umsatz haben als im November und Dezember 2019“, sagt Lewin Berner, Geschäftsführer des Schuh-Herstellers Sioux. „Aber es gibt dazu noch nichts Konkretes.“ Bisher sollen nur Gastronomie und Hotellerie 75 Prozent ihres Umsatzes ersetzt bekommen, den sie für November und Dezember des Vorjahres verbuchten. Die so genannte Novemberhilfe wird voraussichtlich erst im Januar bei den Unternehmern ankommen. Grund: Softwareprobleme bei den zuständigen Stellen.

Auch Lieferanten von Gaststätten und Hotels können Hilfen erhalten, falls sie mindestens 80 Prozent ihres normalen Umsatzes mit Unternehmen der Branchen erlösen, die jetzt von der Schließung betroffen sind. Allerdings war die so genannte „Novemberhilfe“ Ende November bei den meisten Unternehmen noch nicht angekommen. Die „Dorint“-Hotelkette reichte deshalb Verfassungsbeschwerde ein: Bisher sei für die gesamte Gruppe von 60 Hotels gerade eine Entschädigung von 10.000 Euro ausgezahlt worden. Außerdem, so Dorint-Aufsichtsratschef Dirk Iserlohe, sei die Gesamtunterstützung für seine Unternehmensgruppe bisher auf eine Million Euro gedeckelt. Iserlohe beziffert den Schaden für die Dorint-Hotels allein im November allerdings auf 14,3 Millionen Euro.

Für den stationären Handel, so Schuh-Unternehmer Berner, sei die Lage derzeit noch schlechter. „Der zweite Lockdown trifft den Handel schlimmer als der erste“, so der Unternehmer: „Jetzt stehen die Ladeninhaber da mit offen Türen und den gleichen Kosten wie vorher, aber im Schnitt mit 40 Prozent weniger Umsatz, weil deutlich weniger Menschen in die Innenstädte gehen, unter anderem, weil die Gastronomie dort schließen muss. Aber bis jetzt gibt es für den Handel keinerlei Hilfen. Wir erleben ein hohes Maß an Willkür.“

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Er kritisiert, dass die Abfolge immer neuer Maßnahmen eine mittelfristige Planung für betroffene Unternehmer kaum noch möglich macht, etwa die kurzfristige Entscheidung, die maximal zulässige Zahl der Kunden pro Quadratmeter für größere Läden noch schnell zu senken. „Das wird von der Politik mit der Begründung angeordnet: im Handel ist so viel los“, sagt Berner. „Gleichzeitig sehen wir, wie die Kundenfrequenz in Wirklichkeit kollabiert. Solche Maßnahmen sind doch Anweisungen aus dem Wolkenkuckucksheim.“ Seinem Schuhherstellungs-Unternehmen gehe es gut, sagt er, auch durch den Onlinehandel. Aber die Händler, mit denen er zusammenarbeite, könnten oft nicht mehr lange durchhalten. „Die Händler haben bisher keine öffentliche Stimme, und sie gehen nicht auf die Straße. Das ist ein stilles Sterben.“ Wenn die Händler keine Hilfen bekämen, warnt Berner, „dann wird die Branche ausbluten, und die Innenstädte sterben. Der große Gewinner ist Amazon“.

Viele Unternehmer in den betroffenen Branchen beklagen ähnlich vor allem die Ungewissheit, wie es weitergeht. Bis jetzt ist offen, wie lange der Lockdown dauern soll. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte schon Maßnahmen bis zum 16. Januar 2021 ins Spiel gebracht. Kanzlerin Merkel will sich bisher überhaupt nicht festlegen.

Bisher fallen die Reaktionen der Politiker hilflos aus. „Einkaufen ist ein patriotischer Akt“, verkündete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Mittwoch in der Bild, und ließ sich mit einem Fahrrad ablichten, dessen Transportkorb mit Weihnachtsgeschenken gefüllt war. In dem Interview mit Bild meinte der CDU-Politiker, das Einkaufen in „real existierenden Geschäften“ gehöre für ihn zur „Leitkultur“.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt schlug in Bild am Sonntag vor, mit Staatshilfe eine Online-Plattform aufzubauen, die den von Umsatzrückgang gebeutelten stationären Händlern helfen soll. “Wir brauchen eine nachhaltige Alternative zu den Onlineriesen Amazon und Co., der Staat muss dazu die Grundlagen schaffen”, so die Grünen-Mandatsträgerin. Ein Staatsamazon ist sicher die richtige Idee; eine Art DDR 2.0

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