Der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Steffel hat ein großes Fass aufgemacht. Der 54-jährige Obmann der Christdemokraten im Sportausschuss im Bundestag ließ am Mittwoch verlauten, dass der Bund plane, dem deutschen Spitzensport 100 Millionen Euro als Hilfspaket in Aussicht zu stellen. Gegenüber dem Radiosender 105,5 Spreeradio sagte er: “Wir wollen jetzt ein Paket für den Profibereich, dem wahrscheinlich in der kommenden Saison normale Spiele mit normaler Zuschauerbeteiligung unmöglich sein werden, auf den Weg bringen.”
Der Konter kam direkt von der SPD in Person von Dagmar Freitag, die das Vorpreschen von Steffel kritisierte, weil er einer Sportausschusssitzung in der kommenden Woche vorgegriffen habe. Wie viel Brisanz in den Plänen steckt, beweist die Tatsache, dass der Profisport außerhalb der Fußball-Bundesliga ohne Zuschauereinnahmen vor dem Aus steht. Der Grund liegt auf der Hand: Handball, Eishockey, Volleyball und Basketball finanzieren sich fast ausschließlich über Zuschauer- und Sponsoringeinnahmen. Geisterspiele in diesen Ligen bedeuten das Aus. Somit wäre auch die mögliche Finanzspritze von 100 Millionen Euro nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und könnte gerade einmal die Verluste decken, die jetzt schon durch die Coronakrise entstanden sind.
Basketball – Der Kampf ums Überleben startet am 6. Juni
Die erste Liga, die den Kampf ums Überleben aufnimmt, ist die Basketball-Bundesliga. Die bayerische Staatsregierung genehmigte in dieser Woche die Austragung eines Mini-Turniers, das dank eines ausgeklügelten Hygienekonzeptes ab 6. Juni im Audi-Dome, der Heimstätte des Branchenprimus FC Bayern München (Etat: 20 Millionen Euro), ausgetragen wird. Zehn Teams spielen in zwei Fünfergruppen mit anschließenden Viertel- und Halbfinalspielen um den Meistertitel.
In einem Communiqué der Liga heißt es: „Es ist ein Kampf ums Überleben! Klubverantwortliche tragen Verantwortung für Existenzen und müssen auf die Sicherung ihres Unternehmens und die Absicherung ihrer Angestellten hinarbeiten. Die Liga und ihre Klubs stehen auch bei Partnern für entsprechende Leistungen in der Pflicht. Die Bedeutung der 1. Basketball-Bundesliga geht aber weit über das sportliche Geschehen hinaus. Wenn der Profibereich wegfällt oder erheblichen Schaden nimmt, so wirkt sich dies gravierend auf andere Gebiete ihrer Arbeit aus. Man denke nur an die Nachwuchsthemen sowie an das wichtige soziale und gesellschaftliche Engagement, das von den Klubs vor Ort geleistet wird, und das letztlich an der „Lokomotive“ Profiteam hängt, wie beispielsweise verpflichtende Schul-AGs, Integrationsprojekte etc.”
Zahlreiche Clubs werden ohne Zuschauer und fehlende Sponsoring-Einnahmen keine weitere Saison in der BBL stemmen können, denn schon jetzt haben zahlreiche Wirtschaftspartner große Sorgen. Serienmeister Bamberg muss zum Beispiel ohne seinen langjährigen Hauptgesellschafter Brose auskommen. Der Automobilzulieferer hat auf den sinkenden Absatz in seiner Branchen reagieren müssen und bleibt nur noch Hauptsponsor und Namensgeber. Weitere Bad News von den anderen Vereinen werden in den kommenden Wochen erwartet.
Handball – Geisterspiele auf Dauer keine Lösung
Ähnliche Schreckensszenarien werden aber auch im Spitzenhandball erwartet. Schon jetzt hat die Handball-Bundesliga (HBL) einen Verlust von mehr als 25 Millionen Euro durch den Abbruch der Saison 2019/20 ausgemacht. Spiele in leeren Hallen bis Ende des Jahres – bei 20 Teams und 19 Spieltagen – würden alleine mehr als 20 Millionen Euro fehlende Zuschauereinnahmen bedeuten. Wie bedrohlich die Lage ist, beschreibt Melsungens Geschäftsführer Axel Geerken: „Je länger das dauert, desto mehr Clubs werden das nicht überstehen können.”
Aufgrund der Zukunftsängste im deutschen Handball hat nun der Deutsche Handball Bund (DHB) gehandelt. Der größte Handballverband der Welt hat gemeinsam mit der DHL und der Handball Bundesliga Frauen (HBF) die Task Force „Return to Competition” ins Leben gerufen: „Wir haben die Arbeit aufgenommen, den Rahmen in mehreren Videokonferenzen abgesteckt und befinden uns mitten in einer umfangreichen, sehr vielschichtigen Aufgabe“, sagt Axel Kromer, Vorstand Sport des Deutschen Handballbundes und Leiter der Arbeitsgruppe. „Zentrale Frage für uns ist: Wie können wir auf Ebene des Leistungssports nach einer langen Zeit des Stillstandes und des individuellen Trainings zusammen wieder nach vorn und auf ein allseits hohes Niveau kommen?“
Detailliert beschäftigt sich die AG auch mit Fragen der Hygiene unter den Aspekten Training, Wettkampf und Publikum. Das Hygienekonzept der Basketball-Bundesliga dient auch als Blaupause für einen möglichen Saisonstart der Handballer für die Saison 2020/21. Doch alle Beteiligten sind sich auch bewusst, dass alle Bemühungen umsonst sein könnten, wenn kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann bringt es gegenüber dem Sport-Informations-Dienst (SID) auf den Punkt: „Wir müssen zwingend im September oder Oktober wieder spielen, um nicht von der Bildfläche zu verschwinden. Wir brauchen natürlich die öffentliche Aufmerksamkeit. Fakt ist: Die Spieler können nur sexy bleiben, wenn sie irgendwann auch wieder bei ihrem Sport zu sehen sind.“ Doch Bohmann weiß auch, dass Geisterspiele im deutschen Handball das Aus des Profitums bedeuten würden und mit ihm der Verlust von mehr als 10.000 Arbeitsplätzen, die im Laufe der vergangenen Jahre geschaffen worden sind.
Eishockey – Kein neuer Ligasponsor in Sicht
Mit ähnlich schwerwiegenden Konsequenzen lebt das deutsche Eishockey seit dem Lockdown Mitte März. Die DEL hatte den Meisterschaftsbetrieb unmittelbar vor den Playoffs eingestellt und ihren Umsatzverlust von mindestens 20 Millionen Euro offengelegt. Doch der Schaden, der folgt, wird noch viel größer sein. Die bevorstehenden Playoffs hätten nochmals für Zuschauer-Rekordeinnahmen und hohe TV-Einschaltquoten gesorgt. Für einen Verein wie die Eisbären Berlin mit einem Schnitt von knapp 13.000 Zuschauern bedeutet dies schon fehlende Einnahmen aus dem Ticketing-Bereich von mehr als einer Millionen Euro.
Kleine Vereine wie Iserlohn oder Bremerhaven müssen sich jetzt schon Gedanken machen, ob eine weitere Teilnahme in dieser geschlossenen Liga mit Heimspielen ohne Zuschauer Sinn macht und wann somit die Insolvenz drohen könnte. In Nürnberg ist der langjährige Hauptsponsor Thomas Sabo abgesprungen und hat ein Millionenloch hinterlassen, das ohne einen neuen finanzkräftigen Sponsor nicht zu stopfen ist. Der Fall Nürnberg ist Sinnbild für die Strukturen im deutschen Eishockey. Zahlreiche Vereine hängen nämlich am Tropf von Mäzenen und einzelnen Unternehmen. Was ist, wenn auch diese Firmen den wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona zum Opfer fallen? Wie handeln Firmen wie Red Bull in München, die SAP in Mannheim oder die Media-Saturn-Holding in Ingolstadt? Schon jetzt sind die DEL und ihre Vereine gefragt, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und nicht abzuwarten, bis die Politik die Ampel auf Grün stellt oder auf Rot belässt: „Wir arbeiten alle gemeinsam, mit der Liga und untereinander, aber auch jeder Club für sich daran, sich für die wesentlichen Szenarien zu rüsten und entsprechende Instrumente in der Schublade zu haben und Lösungen zu finden, damit es eben nicht zu existenziell bedrohlichen Situationen oder gar Insolvenzen kommt“, betont Stefan Adam, Geschäftsführer der Düsseldorfer EG, der weiß, wie viele Clubs schon ohne Corona von der Bildfläche verschwunden sind und mit ihnen ihre Nachwuchsabteilungen. In 24 DEL-Spielzeiten waren es 18 Vereine, darunter die Hamburger Freezers, München Barons oder die Hannover Scorpions.
Volleyball – Keine Clubs, kein Ligabetrieb
Ganz düster sieht es momentan für die Volleyball-Bundesliga der Herren aus. Drei von 12 Erstligisten haben sich schon jetzt aus dem Ligabetrieb verabschiedet. Den Volley Eltmann (Insolvenz im Dezember) folgten im vergangenen Monaten der TV Rottenburg und die AlpenVolleys Haching. Zwar haben die restlichen neun Clubs und das Nachwuchsprojekt VCO Berlin positive Signale für eine neue Saison gegeben, doch bleibt abzuwarten, welche Sponsoren noch länger in der Lage sind, die Clubs zu unterstützen. Auch am Bodensee beim Rekordmeister VfB Friedrichshafen geht die Angst um. Ohne die Zuschauereinnahmen (2.000 Fans im Schnitt) kann das mit europäischen Spitzenspielern gespickte Team nicht finanziert werden. Bei den BR Volleys Berlin (4.000 Fans im Schnitt) sieht es ebenfalls nicht rosig aus.
Was aber für die Liga spricht, ist die Tatsache, dass die neue Spielzeit erst Ende Oktober beginnt. Die Chance, im Falle eines Abflauens der Pandemie, mit Zuschauern starten zu können, stehen nicht schlecht. In der Frauen-Bundesliga, mit einem ähnlichen hohen Etat (13 Millionen Euro) wie bei den Männern ausgestattet, hofft man ebenfalls auf den späten Saisonstart. Denn bis auf den MTV Stuttgart und Schwerin plagten alle anderen Vereine schon in der Zeit vor Corona große finanzielle Sorgen und bisher gibt es noch keine Planungssicherheit. Bis zum Ligastart im Spätjahr kann noch einiges passieren und im Fall der Pandemie weiß man schon seit Wochen und Monaten, dass man eigentlich nichts weiß.
Somit sollte die geplante Sportausschusssitzung in der kommenden Woche in erster Linie darüber beraten, was alle Parteien nebst eines 100-Millionen-Euro-Paketes noch in Aussicht stellen können. Ihnen sollte bewusst sein, dass mit dem Sterben des Profisports vor allem der Nachwuchs-Leistungssport in seiner jetzigen Form von der Deutschlandkarte verschwinden würde. Die 100 Millionen Euro als Soforthilfe würden vorerst einmal die Schäden, die durch den Lockdown entstanden sind, decken. Für eine Fortführung der Ligen bedarf es nochmals geschätzte 100 Millionen Euro inklusive Zuschauerpräsenz. Ob sich das realisieren lässt, steht in Zeiten der Pandemie in den Sternen.