Tichys Einblick
Politik zeigt sich wirklichkeitsfremd

Wahlkampf im Schrebergarten

Der Schrebergarten ist eine urdeutsche Angelegenheit; und urdeutsch sind die knallharten Auseinandersetzungen über erlaubte und unerlaubte Gewächse, Pflegedienste, wie die Wege geharkt werden und über die Größe des Häuschens. Wahlkampf eben.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tobias Schwarz

Ein Schrebergarten ist keine machtfreie Idylle, sondern durchreguliert. „Den Staat ertüchtigen“ will Christian Lindner. Er wird sicherlich bald im Vorstand der Kleingärtner vertreten sein und dann wird nichts liberalisiert. Egal ob gemeinsam mit der Union oder SPD und Grünen. Es geht um den Mord an einem Tankwart – da soll Entschlossenheit plötzlich zählen. Es sind ja möglicherweise „Querdenker“ unterwegs, Impfgegner. Gartenschädlinge sind es, oder „Sozialschädlinge“. Keine Blumen und keine Lohnfortzahlung für sie! Das ist „Schutz“. Markus Söder von der CSU ist der Meister des Neusprechs. Freiheit muss solange beschützt werden, bis alle im Gleichschritt marschieren. Denn sie wollen den Staat „bedrohen und einschüchtern“, und dagegen hilft nur der Verfassungsschutz. Alle Tulpen sind rot. Gelbe gibt es nicht.

Und so kommt es, dass der Bundestagswahlkampf etwas an die Jahreshauptversammlung eines Schrebergartenvereins erinnert. Die Welt bleibt draußen. Die Idylle ist drinnen, wenn man vom verbissen Kampf um die erlaubte Höhe der Grashalme absieht.

Der „Economist“ sieht die Welt derzeit vor einem „Epochenbruch“, nur vergleichbar mit der Implosion der Sowjetunion und der darauffolgenden Wiedervereinigung Deutschlands und dem Fall der Mauer zwischen West- mit Osteuropa. Dieser Epochenbruch ist die gemeinsame Erklärung der USA, Großbritanniens und Australiens, zukünftig militärisch, wirtschaftlich und politisch China entgegentreten zu wollen, um die Dominanz des neuen Riesen im pazifischen Raum nicht zuzulassen.

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Im Schrebergarten war das bislang kein Thema, jetzt lässt es sich nicht mehr verleugnen. Olaf Scholz macht da brav den Schulterschluss mit Frankreich, also mit dem Schrebergarten nebenan und faselt vom „starken Europa“. Noch ein Rat, ausgerechnet ein „Nationaler Sicherheitsrat“ eines Landes, das keine Nation mehr sein darf, soll es für Laschet richten; je größer die Worte, desto kleiner die Idee. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht gedacht von Laschet?

Denn Annalena Baerbock will jetzt die harte Linie gegenüber Rußland und China, aber was ist das, und womit? Es mag ja für eine Bombardierung Serbiens gereicht haben, damals, in der ersten Bundesregierung mit grüner Beteiligung. Wird jetzt Baerbock ähnlich kriegerisch mit China oder plappert sie nur wieder? Dagegen gibt sich Alice Weidel von der AfD geradezu pazifistisch und will mit China reden, und zwar über das Geschäft. Der Vorsitzende tadelt sie, fährt ihr über den Mund. Er muss zeigen, dass sie eine Außenseiterin ist.

Da braucht Annalena Baerbock schnell eine Begrenzung der Meinungsfreiheit im Netz. Da hat man ja sonst nicht so die Kontrolle: deshalb Löschung und Strafen. Da trifft sie sich mit Lindner; die Gärtner sind sich einig.

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Der Kleingartenverein beschließt einstimmig (die AfD wird nicht gefragt), seine Energieversorgung abzuschalten; zukünftig sollen alle Mitglieder im E-Auto kommen und ihren Garten digitalisieren. Der Club ist voll auf Kita. Und so schwärmt Lindner von seiner persönlichen Klimaneutralität, die er durch den Kauf von Zertifikaten herstellt. Markus Söder fährt neuerdings Bahn, verzichtet auf Fleisch. AfD-Weidel fährt gerne Rad; Laschet Elektro, das ist schöner als Benzin. Baerbock fährt gerne mit dem Bus; auch Nachts – und fühlt sich so als Vorbild für Dorfbewohnerinnen, denen kein eigener Wahlkampfbus auf Abruf zur Verfügung steht. Olaf Scholz kauft regionale Lebensmittel. Die Linken-Chefin findet die Straßenbahn als Fortschritt und geht demonstrieren für das Klima.

Der Schrebergarten erinnert an einen Kindergarten; Übergang gleitend. Alice Weidel will über einen Thorium-Reaktor reden, weil man irgendwie doch Strom braucht; aber natürlich schlagen da Moderatoren hart zu; das wäre doch sonst auch zu viel Realität im Wolkenkuckucksvereinsheim. Auf der Bierbank rückt die LINKE ganz nahe an die Grüne; im Träumen haben sich Sozialisten noch nie übertreffen lassen, weshalb sie auch die Industriearbeitsplätze auch dann erhalten wollen, wenn es keine Industrie mehr gibt. Das Geld kommt vom Staat.

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Angesichts der gigantischen Staatsverschuldung verbieten sich neue Ausgabenprogramme – doch Machbarkeit jenseits der Gartenbank beschäftigt unsere Kleingärtner nicht oder nicht so wirklich. Auch nicht die galoppierende Inflation, worauf Lindner vorsichtig hinweist. Dabei werden im kommenden Frühjahr Millionen von Mietern erst so richtig zur Kasse gebeten: Nicht durch Miethaie – sondern über Nachzahlungen der Energie- und Wärmeanbieter. Die Gaspreise sind um ein Drittel gestiegen, Strom hat sich verdoppelt: Die Rechnung wird nach der Wahl geliefert.

Im Kleingarten ist nicht die Rede davon, dass Hunderttausende damit rechnen müssen, dass ihnen der Strom abgeklemmt wird. Gott sei Dank kein Thema. Fünf Millionen Zuwanderer seit 2015, so viele wie Berlin und Hamburg zusammen? Wurde ein zusätzliches Berlin gebaut? Hamburg? Laschet spricht eher vom Umzug vom Land in die Stadt. Die Landflucht ist zwar nicht wirklich das Problem, aber das wäre ja noch besser, wenn man an die Ursachen ginge.

So sollen es jetzt Sozialwohnungen richten, für die Geld fehlt. Dagegen hilft Enteignung und Preise einfrieren; kräht Annalena Baerbock durch das Vereinsheim, Lautstärke siegt allüberall, wenn Argumente fehlen. Die SPD will im Bund nicht enteignen, ist aber zeitgleich in Berlin dafür und alle wollen Sozialwohnungen bauen; neuerdings für viel Geld, weswegen Sozialwohnungen noch zu politischen Lebzeiten des Finanzministers verkauft worden waren.

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Soll jetzt der Kleingartenverein dafür Schulden machen? Die Grünen wollen es, die Schuldenbremse gehört auf den Misthaufen, jede Menge Phantastilliarden weit jenseits der verkaufsfähigen Ernte werden in Betracht gezogen. Die FDP zieht hier eine rote Linie; sagt „ausgeschlossen“. Die AfD ist da auf ihrer Seite, will gar den Garten-Beitrag senken; aber da unterbricht sofort die Moderatorin. Dabei wäre es gerade jetzt spannend geworden, die Nähe von FDP und AfD zu sehen.

Aber in jedem Verein gibt es einen Außenseiter der nicht wirklich mitspielen und schon gar nicht Recht behalten darf. Dafür sorgen schon Grünen-Fan Tina Hassel und noch lautstärker Theo Koll. Schön, dass da gleich die SPD ihre Nähe zu den Grünen beim Schuldenmachen demonstrieren kann. So soll es sein. Alice Weidel gibt den eiskalten Engel, der still vor sich hin lächelt wenn Theo Koll wütend wird und damit Punkte macht als kühle Liberale mit Argumenten, die keiner hören will im Vereinsheim.

Und dann kommt das schöne Flaschendrehen der künftigen Koalitionen; wer darf wen küssen? Das Vereinsheim gerät in Wallung, wie sollte es bei der fluiden Partnerwahl anders sein? Olaf Scholz behauptet, die Bürger würden den Kanzler wählen, was sie definitiv nicht tun, aber im Schrebergartenverein kennt keiner das Vereinsrecht und Wählerbetrug ist en vogue. Söder muss grinsen, wenn er Laschet pro forma zum Kanzler ausruft, und der schaut betröppelt. Ansonsten hat er etwas sein Verlierer-Image an der Garderobe abgegeben. Die Linke Janine Wissler wirft sich jedem an den Hals; sie will endlich regieren. Auch wenn die Stimmen schrumpfen, auf die Kabinettsposten kommt es an für eine Partei, die längst an der 5-Prozent-Hürde steht.

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Lindner ist der umschwärmte Prinzessinnen-Macher. Denn er will „am liebsten“ Jamaika, also schwarz, grün, gelb mit einem schönen Finanzministerium für ihn. Er überzeugt durchaus; aber warum war er nicht in den drei Shows mit den Kanzlerkandidaten dabei? Das Niveau der Schlussrunde ist deutlich höher. Möglicherweise liegt es daran, dass die dominante Rolle von Annalena Baerbock wegfällt, die durch die gewollte TV-Inszenierung erzeugt worden war. Die Diskussion ist wenigstens etwas substanzieller, weil ihr aggressives Rechthaben-Wollen nicht mehr so lähmt. Ohne dass sie es bemerkt wird sie mit ihrem floskelhaften Gezeter zur Außenseiterin und drängt Alice Weidel ins Licht, die nüchtern und sachlich bleibt.

Die von Baerbock durchsetzte Wirklichkeitsverweigerung ist nicht mehr ganz so durchgängig in der größeren Runde und das wirft ein schlechtes Licht auf Laschet und Scholz: Allein ohne Weidel und Lindner waren sie nicht in der Lage, ein zänkisches, geiferndes Kind zu bändigen. Auch keine besondere Führungsqualität.

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