Tichys Einblick
Die politische Klasse

Zwei halbe Regierungen ergeben keine ganze

Die alte Regierung hat keine Lust mehr, die vermutlich neue hat Angst und redet lieber, statt sich der Verantwortung zu stellen. Offensichtlich fürchten Grüne und Sozialdemokraten heimlich doch, dass Entmündigung und Verarmung kein tragfähiges Sozialmodell sind.

IMAGO / Mike Schmidt

Gut, die alte Regierung mag nicht mehr. Horst Seehofer ist das beste Beispiel: Rhetorisch kämpft er gegen die wilde Zuwanderung von Irakern und Afghanen sowie Syrern via Weißrussland. Polizisten an die Grenze verlegt er nicht. Unterstützung für die Polen ist Fehlanzeige. Sprüche müssen reichen. Er fürchtet unschöne Bilder, wenn die Tür zum Sozialamt sich nicht pünktlich öffnet.

Ein Kanzler-Azubi übt noch

Auf der anderen Seite ist da der wahrscheinlich zukünftige Kanzler Olaf Scholz. Wie soll man ihn nennen? Kanzler in spe? Oder Kanzler-Azubi? Als solcher trat er kürzlich neben Angela Merkel auf. Sie stellte ihn an ihre Seite etwa beim G-20-Gipfel. Prompt jubelte die Berliner Staatspresse: „So geht Übergang“. Aber geht so Übergang, dass der abgewählte Regierungschef einfach weitermachen darf? Wieso wurde dann neu gewählt, wenn alt weiterregiert wird? Wie lange dauert es noch, bis Olaf Scholz den Gesellenbrief für das Kanzleramt erhält? Oder braucht man erst einen Bachelorgrad für das Kanzleramt?

Das Gefühl drängt sich auf: Weil bekanntlich die Vorfreude die größte Freude ist, zögern SPD, Grüne und FDP mit der Regierungsbildung. Oder ist es die Angst, dass die Realität mit den Träumen nicht zur Deckung gebracht werden kann? 

Gerade bei den Grünen ist das der Fall. Sie wollen die Unterstützungsleistungen für „Flüchtlinge“ kräftig erhöhen. Also noch mehr Anreize, sich per Flugzeug via Minsk und anderen Routen nach Deutschland schleusen zu lassen. Deutschland schafft mit seinen hohen Anreizen für „Flüchtlinge“ erst die Probleme, die der kleine Diktator Lukaschenko dann zum großen Problem für die EU aufblasen kann. Denn kein osteuropäisches Land, aber auch kein westeuropäisches – vielleicht mit Ausnahme der Schwarzgeld-Stadtrepublik Luxemburg – ist gewillt, mehr und immer noch mehr „Flüchtlinge“ zu übernehmen und auszustaffieren.

Es wäre an der Zeit für eine grundlegende Reform: Die Genfer Flüchtlings-Konvention entstand aus der Erfahrung von Diktatur und Weltkriegen, eine Zeit, in der die Welt voller echter Flüchtlinge war. Nicht wie heute, wo Menschen aus Dutzenden Ländern um die halbe Welt reisen, um in den reichsten und freigiebigsten Ländern unterzukommen und sich dabei „Flüchtling“ zu nennen.

Rückkehr zu einer vernünftigen Flüchtlingspolitik

Aber diese Reform scheuen die Grünen; wen juckt schon die Wirklichkeit, wenn sie diametral zum eigenen Parteiprogramm und zur ideologischen Predigt steht? 

Und ja, die Grünen träumen von einem „Transformationsministerium“. Wehe, wer von der „Großen Transformation“ spricht; noch Anfang November hat mir ein NDR-Kollege dieses Wort als „neurechtes Signalwort“ erläutert. Jetzt soll das neurechte Wort sogar der Amtsname für noch einen grünen Ministerposten werden. Und während die Grünen alles, was sich irgendwie bewegen lässt, „transformieren“ wollen, planen sie in der Realität nur immer neue Zumutungen. Wenn schon nicht höhere Steuern und noch mehr Schulden, dann halt Fonds und Kredite, die zukünftig höhere Steuern und noch höhere Schulden bedeuten. Pendlerpauschale, Ehegattensplitting, das alles sind nur trickreiche Wege, um die damit verbundenen Steuererhöhungen nicht so nennen zu müssen. Diese Regierung übt sich, noch ehe sie überhaupt regiert, im Etikettenschwindel, in der Falschauszeichung der Rechnung, die sie ihren Wählern repräsentiert.

Ab Januar steigen die Energiekosten, weil es die starke Bundesregierung so will und Putin das Geld der Deutschen braucht. Die Inflation galoppiert; ja, das muss man sagen: Jeden Monat werden die Prognosen nach oben geschraubt; mittlerweile liegt man bei 5 Prozent. Tendenz weiter steigend und der Hammer kommt erst: Lebensmittelpreise explodieren, und wir reden nicht über Luxusartikel, wir reden vom Brot: Die Verdreifachung der Gaspreise verdoppelt den Brotpreis, denn die Backöfen weigern sich, kalt zu backen. Sie wollen Hitze. Energie. Gas. Teures Gas. Die Autoproduktion hat sich halbiert, die Ansprüche der grünen Politiker an das Bruttosozialprodukt verdoppelt. Die letzten Kohorten der Baby-Boomer-Generation gehen in Rente oder in die vielfach teurere Pension; und die SPD will die Sozialleistungen erhöhen. Die wenigen Allerletzten, die Gewinne erarbeiten, sollen die Zeche über steigende Beiträge bezahlen?

„Ich weiß nicht, was passieren muss, damit der Deutsche sagt: Es reicht mir! Der Deutsche ist ein sehr guter Untertan!“, formuliert die Kabarettistin Monika Gruber. Aber offensichtlich fürchten Grüne und Sozialdemokraten heimlich doch, dass Entmündigung und Verarmung kein wirklich tragfähiges Sozialmodell sind. Das erklärt das Zögern; es ist wie ein Mikado-Spiel: Die neue Regierung scheint möglichst lange warten zu wollen, um die beginnende Verarmung noch der alten Regierung anlasten zu können. Es wäre ein Meisterstück der Politik; sich noch vor Amtsantritt vor den selbst (mit)verursachten Folgen drücken zu wollen.

Die Qual des Regierens

Die Grünen zeigen sich regierungsunfähig. Denn regieren besteht nicht darin, der eigenen Klientel ein schöneres Leben zu verschaffen – sondern ihr die Zumutungen abzuringen. Deshalb hat die CDU den Landwirten, der Wirtschaft und konservativen Wählern so viel zugemutet: Steuererhöhung, Existenzvernichtung, Ausgrenzung – alles, nur um an der Macht zu bleiben, und das um jeden Preis. Das werden jetzt die Grünen erleben: den Abschied vom Abschied aus der Kernenergie, die Rückkehr zur Vernunft in der Flüchtlingsfrage, einen wirtschaftsfreundlichen Kurs zu fahren oder den, wirtschaftliche Stagnation zu erleiden.

Wenigstens dürfen die Menschen unter Rot-Grün arbeiten, statt in die Lockdown-Starre gesperrt zu werden, wie es die Amts- und Angsthaber Merkel und Söder dringend wünschen. Aber reichen wird das nicht; der Verzicht auf jede beschäftigungs- und wohlstandsfördernde Maßnahme rächt sich schon, bevor die Dienstwagen besetzt sind.

So hat Deutschland zwei halbe Regierungen, aber keine ganze. An sich eine traumhafte Situation für eine starke Opposition. Aber Rettung naht bekanntlich von unerwarteter Seite, jedenfalls gelegentlich.

Worauf die neue rot-grüne Regierung wirklich setzen kann, ist die CDU. Mit Helge Braun und Norbert Röttgen sowie Karin Prien bleibt wenigstens eines im Griff: die sich selbst fortsetzende Selbstzerstörung der CDU.

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