Tichys Einblick

Zulasten Dritter

300 Politiker verhandeln den Koalitionsvertrag: eine verfassungsrechtlich bedenkliche Riesenshow für einen Vertrag zulasten Dritter.

Koalitionsverträge sind Theaterdonner, viele Buchstaben ohne bindende Wirkung. Denn weder die Finanzkrise noch die Euro- Krise haben sich daran gehalten. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, so sie ihr Amt ernst nähmen, sind nicht dem Vertrag der Parteien verpflichtet, sondern dem ganzen deutschen Volk und ihrem Gewissen. Die politischen Sitten verfallen: Um die mühsamen Verhandlungen zu schmieren, bekamen CDU und SPD je einen weiteren Bundestags-Vizepräsidenten. Allerdings nicht wegen der Arbeitsbelastung der ohnehin schon mit fünf Stellvertretern überbesetzten Riege: Die SPD soll auf „Augenhöhe“ mit der CDU repräsentiert sein.

Es ist ein symbolischer Akt, der wenig Gutes erwarten lässt. Die große Koalition, die sich auf 80 Prozent der Sitze im Bundestag stützt, ist nach ihrem Selbstverständnis keine Koalition der Reformen oder zur Bewältigung einer Notlage – sondern eine Art Selbstbedienungsladen auf Kosten der Steuerzahler. Diesen Verdacht bestärkt, was bisher über das Programm der Koalition verlautet: Die Konflikte zwischen den Parteien werden mit Geld für ihre jeweilige Klientel gelöst. So sollen Mindestlöhne von 8,50 Euro flächendeckend eingeführt werden, obwohl alle namhaften Wissenschaftler fürchten, dass dies zu bis zu 1,2 Millionen zusätzlichen Arbeitslosen besonders in den strukturschwachen Gebieten der früheren DDR führen wird. Aber dies ist eine Trophäe für die SPD, die den Einheitslohn zu ihrem Wahlkampfthema gemacht hat. Zudem will die SPD die Rente mit 67 wieder zurücknehmen. Diese Reform hatte SPD-Kanzler Gerhard Schröder selbst durchgesetzt, denn bis 2050 wird die Zahl der Erwerbstätigen um ein Drittel abnehmen, die Zahl der Rentner sich aber um ein Drittel erhöhen. Aber was sollen schon Fakten gegen ein sozialpolitisches Wunschkonzert ausrichten?

Für dieses Geschenk der SPD an ihre Wähler erhält die CDU ihren Herzenswunsch erfüllt – höhere Renten für Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben.

Langfristig finanzierbar sind beide Vorhaben nicht. Sie zerstören die Stabilität der Altersversorgung, belasten die künftige Generation wie ein Vertrag zulasten Dritter – der im Privatrecht unwirksam wäre. Es regiert der gemeinsame Wille, Geschenke zu verteilen. 33 Milliarden Euro, die die gute Wirtschaftslage an zusätzlichen Steuern in die Kassen spült, reichen dafür nicht. Stillschweigend wurde bereits das Ziel begraben, die hohe Staatsverschuldung zu senken; so werden die Weichen gestellt, dass die ohnehin erst ab 2016 wirkende Schuldenbremse außer Kraft gesetzt wird – noch ehe sie wirken kann. Was, wenn die Wirtschaft und Steueraufkommen schwächeln? Die große Koalition kennt nur schönes Wetter; Unwetter gelten als vertraglich ausgeschlossen. Schon jetzt hat sie sich selbst entwertet.

REFORM STEHT FÜR RÜCKSCHRITT
Weitere „Reformen“ werden erst noch ausgehandelt, allerdings ist keine einzige Maßnahme erkennbar, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands fördert – „Reform“ steht für Belastung der Unternehmen und ihrer Beschäftigten. Noch hoffen einige, dass es wenigstens zu einer Reform der „Energiewende“ kommt. Bekanntlich hat diese zu einer so hohen Kostenbelastung von Unternehmen geführt, dass Abwanderungsbewegungen und ein Investitionsstreik unübersehbar sind. Vor allem die SPD warnt vor einem Ausbrennen des Ruhrgebiets und vieler Städte in NRW infolge der Energiewende: „Eine Katastrophe“, fürchtet Garrelt Duin, Wirtschaftsminister in NRW. Aber deutlich wird auch, dass der politische Mut nicht reicht, selbst verantwortete Fehler zu korrigieren: Die hohen Kosten werden mit Maßnahmen bekämpft, die noch höhere Kosten verursachen. Und so geht es weiter.

Die dritte Amtszeit von Angela Merkel könnte so enden: Sie verspielt jene wirtschaftlichen Reformen, mit denen ihr Vorgänger Gerhard Schröder dem „kranken Mann Europas“ zu alter Blüte verholfen hat. So kann sie nicht in die Geschichte eingehen wollen.

(Erschienen auf Wiwo.de am 26.10.2013)

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