Deutschland geht’s gut. Zu gut? Erfolg macht übermütig. Der Boom ist künstlich mit Schulden aufgepumpt und nicht nachhaltig.
Man kann nicht meckern: Rentengeschenke im Wert von 230 Milliarden Euro; Mindestlöhne auf breiter Front; zum ersten Mal seit 45 Jahren ein ausgeglichener Haushalt; erstmals 42 Millionen Beschäftigte und für eine so hoch entwickelte Wirtschaft respektable Wachstumsraten. Deutschland geht es gut. Mehr noch: Verglichen mit den europäischen Nachbarstaaten und deren wachsender Rekordverschuldung, schauerlicher Jugendarbeitslosigkeit, sind das paradiesische Zustände. Die warmen Tage sollte man genießen und die feinen Zahlen auf der Zunge zergehen lassen, stehen sie doch in einem krassen Gegensatz zur Gräuelpropaganda, mit der vor einem halben Jahr noch die heutigen Regierungsmitglieder der SPD durch das Land zogen: Da zeichneten sie das Zerrbild einer innerlich zerrissenen Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher und die vielen Armen immer ärmer werden. Da war viel von Prekariat und vom Elend ganzer Bevölkerungsgruppen und Regionen die Rede. Seit der Bundestagswahl wiederum läuft ein Wunschkonzert. Noch nie hat eine Bundesregierung so viel Geschenke unters Volk gebracht, nicht nur an Rentner, Mieter und pfiffige Randgruppen-Lobbyisten. Mit dem Neustart der Energiewende werden Solarbauern und Windmüller, Großverbraucher und Biogasbauern mit Milliarden verwöhnt. So scheint es, als habe die große Koalition den Schlüssel zu einer Schatzkammer gefunden, aus der immer verteilt werden kann und die alle Lügen straft, die von Knappheit, Sparzwängen und Wachstumsblockaden reden. Die Fesseln des Neoliberalismus scheinen gesprengt, ein sanft lenkender, alle behütender und jede Not lindernder Staat verwöhnt seine Untertanen. Selbst der Winter scheint seine Strenge abgelegt zu haben.
Vieles daran ist verdient, aber trotzdem zeigt unsere Analyse über das Paradies Deutschland im Frühsommer ernste Bedrohungen: Die deutsche Exportindustrie lebt nicht nur von eigener Leistung, sondern von niedrigen Zinsen. Und von einem Euro, der wegen seiner vielen darbenden Mitgliedswirtschaften sehr viel niedriger zum Dollar notiert, als es früher die strengen grauen Männer der Deutschen Bundesbank zugelassen hätten, solange sie noch was zu sagen hatten: Geld ist heute gratis, die Zinsen sind zu niedrig, und Investitionen so lohnend wie kaum je zuvor.
Der Bundesfinanzminister konnte seinen Haushalt nur wegen der extrem niedrigen Zinsen ausgleichen. Jede Zinserhöhung um einen Prozentpunkt steigert seine Finanzierungskosten um 13 Milliarden Euro. Ohne diesen durch die Euro-Krise bedingten Zinsrabatt müsste Schäuble bei einem normalen Zinsniveau von sechs Prozent jährlich knapp 60 Milliarden mehr für Zinslasten aufwenden und wäre genauso bettelarm wie sein Vorvorgänger Hans Eichel, der Schuldenkönig. Die Zeche zahlen Sparer, Riester- und Lebensversicherte, deren Vermögen real schrumpft. Jetzt zeigt sich, dass die Krise des Euro keineswegs gelöst ist. Nur Zinsen an der Null-Grenze stabilisieren die Schuldendemokratien und suggerieren einen Aufschwung, hinter dem ökonomisch keine Substanz steht.
Noch sind die Babyboomer der Sechzigerjahre in Lohn und Brot und zahlen kräftig Steuern und Sozialbeiträge. Doch schon in spätestens sechs Jahren kippt der Arbeitsmarkt: Dann steigt nur noch die Zahl der Rentner. Kann aber das schrumpfende Heer ergrauender Arbeitnehmer erwirtschaften, was den Rentnern und Pensionären heute versprochen wird? Oder werden die wenigen Jungen davonlaufen vor dieser Belastung? Daran zeigt sich: Diese Regierung hält sich selbst die Augen ganz fest zu, um der brutalen Wirklichkeit nicht ins Gesicht sehen zu müssen, und behauptet das Gegenteil von dem, was ist und sie weiß. Sie geriert sich sozial und bewirkt das Gegenteil und zerstört die Grundlagen des Sozialstaates. Aber das Wunschkonzert spielt weiter und wird erst enden, wenn die heute Regierenden längst andere Pöstchen ihr Eigen nennen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.4.2014)