Das sächsische Verfassungsgericht gestattet der AfD nun 30 statt 18 Listenplätze und bezeichnete die Beschränkung der Partei durch die Landeswahlleiterin Carolin Schreck als „mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig“.
Das muss man zwei mal lesen: Über Recht kann man streiten, aber eine „mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige“ Entscheidung sollte einer Landeswahlleiterin nicht unterlaufen. Ihre Entscheidung klingt ja wirklich an den Haaren herbeigezogen. Es ist notwendig, diese Details nachzuerzählen. Denn es sieht ganz so aus, als habe der Landeswahlausschuss unter Berufung auf von ihm als geltend erfundene Formalien, die sich nicht klar aus dem Gesetz ergeben, der AfD die Chance auf den dem Wählerwillen entsprechenden Anteil an Parlamentsmandaten nehmen wollen, indem er Formalien in den Vordergrund rückte statt nach Sinn des Gesetzes zu fragen.
Dazu schrieb uns der Verfassungrechtler Dietrich Murswiek folgende Erklärung, die eigentlich alles enthät: „Oberstes Prinzip der Auslegung von Wahlrechtsvorschriften muss die Verwirklichung des Demokratieprinzips sein. Dazu gehört das demokratische Gleichheitsprinzip, das bei der Verhältniswahl die Zuteilung derjenigen Parlamentssitze erfordert, die dem Anteil an Wählerstimmen entsprechen, welche die Partei erzielt hat. Wenn es Formvorschriften gibt, die mehrdeutig sind, müssen sie so ausgelegt werden, dass ihre Anwendung dem demokratischen Gleichheitsprinzip möglichst genau entspricht. Wahlrechtliche Formvorschriften dienen dazu sicherzustellen, dass alle Anforderungen an eine demokratische Wahl (insbesondere die Beachtung demokratischer Regeln bei der Kandidatenaufstellung) beachtet werden. Sie dürfen nicht so ausgelegt werden, dass im Ergebnis die Chancengleichheit der Parteien und die demokratische Repräsentation der Wähler im Parlament beeinträchtigt werden.“
Verkürzt: Formalien sind nicht um der Formalien willen einzuhalten, sondern um dem Demokratieprinzip Geltung zu verschaffen. Formalien vorzuschieben, um eine Partei auszusperren, ist sicherlich nicht im Sinne der Gesetzes. Es geht um die Verwirklichung des Wählerwillens. Und es geht ja weiter: Die AfD hat über die vorderen Listenplätze einzeln abgestimmt, die weiter hinten liegenden mit wenig Erfolgsaussichten per Blockwahl „alle auf einmal“ bestimmt. Auch kein besonders demokratisches, aber zeitsparendes Verfahren – das genau so von anderen Parteien häufig angewandt wird. Auch da furcht sich die Stirn, wenn man bedenkt, wie in Sachsen wichtige Entscheidungen getroffen werden. „Es ist schlicht kein sachlicher Grund erkennbar, warum die Zulassung des zweiten Teils der AfD-Landesliste allein von der spitzfindigen Frage abhängen sollte, ob der Parteitag unterbrochen und fünf Wochen später fortgesetzt oder abgeschlossen und fünf Wochen später die Listenaufstellung auf einem neuen Parteitag wiederaufgenommen wurde“, schrieben die Verfassungsrechtler Christoph und Sofie Schönberger. Und schwer einzusehen ist, warum die Forderung, die Liste habe auf „einem Parteitag“ von den Delegierten bestimmt zu werden, so zu verstehen sein soll, dass es ein Parteitag sein sollte, also an einem bestimmten Tag. Warum sollte ein über mehrere Tage dauerndes Wahlverfahren undemokratisch sein? Warum sollte es nur einen Versammlungsleiter geben dürfen, und nicht nacheinander zwei, wenn der eine krank wird und durch den anderen ersetzt werden soll?
Ist das Glas der Demokratie in Sachsen nun halb leer, weil solche Entscheidungen zur Beschränkung des Wahlergebnisses getroffen werden? Oder ist es wenigstens halb voll, weil das Verfassungsgericht des Landes die Teil-Korrektur erzwingt? In jedem Fall bleibt ein ungutes Gefühl. So frech eine Partei beim zentralen Vorgang einer Parlamentswahl zu beschneiden – das schürt Ängste. Bekanntlich ist der Zweifel eine flinke Maus. Sie schleicht sich ein und stellt auch andere Entscheidungen in Frage, denn es ist ja vielfach belegt, dass die früher große Partei SPD und auch Teile der CDU versuchen, irgendwie ihren neuen Konkurrenten zu Fall zu bringen; notfalls mit Überprüfung der Verfassungstreue. So bleibt ein übler Geruch zurück.
War das jetzt die Klimakrise?
Zwei oder drei besonders heiße Tage machen erfinderisch. Der für diesen Beitrag benutzte Laptop musste auf Eis gelegt werden; seine Kühlung reichte nicht aus für den Betrieb. Da beginnt man ja Verständnis zu entwickeln für die Bahn, die reihenweise hitzebedingte Zugausfälle für sich beanspruchte. Waren die Gleise wirklich weich geworden oder hat die Bahn einfach die Chance ergriffen, mal ein wenig auszuspannen? Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB) sollen zukünftig selbst über hitzefrei entscheiden können, fordert die Bahngewerkschaft EVG. Sie reagiert damit auf die Belastung der DB-Mitarbeiter während der heißen Tage. Sei es zu heiß, müsse die Bahn einen Notfahrplan aufstellen und Kunden auf Züge zu kühleren Zeiten verweisen. So ist des Recht. Die Bahn fährt nicht, wenn die Gäste wollen, sondern nur, wenn der Schaffner die Schweißperlen durchgezählt und für wenig befunden hat. Alle Räder stehen still, wenn sein starker Arm es will: der Kampfruf der Gewerkschaften hat einen neuen Hitzegrad erreicht. Nicht nur da.
Die Lufthansa muss jetzt wie alle Fluglinien verstaatlicht werden, fordert Linken-Chef Bernd Riexinger. Die Privatisierung habe dazu geführt, dass Flugreisen „unverantwortlich billig“ geworden seien. „Was so dramatische gesellschaftliche Folgen haben kann, darf nicht marktwirtschaftlich und unreguliert bleiben“, sagte Riexinger. „Fluggesellschaften gehören in staatliche Hand – genauso wie die Energieversorgung oder die Bahn.“ Wie viele Wähler der SED wird das an alte Zeiten erinnern, wo sie nur beschränkt reisen durften – innerhalb des Ostblocks?
Die letzte wegen der Hitze noch verbliebene Energie wird für Stöhnen verbraucht. Die Bahn ist zu 100% in Staatshand. Wie soll sie noch weiter verstaatlicht werden? Zu 200 Prozent? Die vernünftigste Lösung wäre ja, die Bahnpreise zu senken; bekanntlich sind Flüge innerhalb Deutschlands vielfach billiger als Bahnreisen. Aber das wäre ja eine Leistung zu Gunsten des Konsumenten, nicht gegen ihn. Daran erkennt man die Grundidee des Sozialismus. Der Konsument bleibt auf der Strecke. Abgesehen davon, siehe oben, dass die Bahn nicht fährt wegen hitzefrei. Denn das gibt’s zukünftig vermutlich demnächst auch zu Weihnachten – wenn die Eisenbahngewerkschaft für Kältetage auch hitzefrei verlangt, denn wenn zu Weihnachten Sommer wäre, gäbe es ja hitzefrei, oder?
Sicherlich gibt es bald ein Menschenrecht auf hitzefrei für erbarmungswürdige Bahnbeschäftigte. Diese bilden ja eine Minderheit, die sicherlich seit Jahrhunderten vom staatlichen Kapitalismus und seinen Fahrgästen ausgebeutet wurden. Klassenkampf ist zwar out, aber er kommt als „Identitätspolitik“ zurück. Es ist ein neoliberaler Ansatz – aus Opfer werden „Opferentrepreneure“, also Unternehmer, die ihren Opferstatus bestmöglich vermarkten. „Opferentrepreneure nutzen ihren Opferstatus, also Hautfarbe, Herkunft, sexuelle Identität – unabhängig von ihrer tatsächlichen Situation – , um Ressourcen zu beanspruchen und sich gleichzeitig gegen jede Kritik zu immunisieren.“ Sie merken schon, da hilft nur eins: ganzjährig hitzefrei für alle Bahnmitarbeiter. Es kostet auch nicht viel. Laut Tarifvertrag haben Bahnmitarbeiter 44 Urlaubstage und im Schnitt etwa 20 Krankentage, Überstundenausgleich und Feiertags- und Sonntagsausgleich nicht mitgerechnet. Mit hitzefrei ist der ganztags bezahlte Halbtagsjob in greifbarer Nähe.
Bitte keinen billigen Hitzespott
So verlockt der Umgang mit den heißen Tagen zwangsweise zum Spott. Nein, wir wollen uns nicht über T-Online lustig machen und seine Schlagzeile: „Verdammt, die Welt geht wirklich unter“. Der Autor gesteht darin seiner Freundin, dass er wegen der Klimakrise keine Kinder haben will; Klima ist die neue Ausrede für Alles, siehe Bahn.
Diese Art von überzogener Klimaangst erzeugt billigen Spott. Aber die Tage werden ja schon wieder kürzer und kühler. Vielleicht kann man dann darüber nachdenken, wie man klug damit umgeht. Denn wo Risiken liegen, liegen ja auch Chancen. Wein auch von den Südhängen der Traun, im Chiemgau nicht mehr nur Bier – keine schlechte Idee. Die geeigneten Lagen sind bekannt. Sie tragen den historischen Namen „Weinleite“, das steht für „Weinhang“. Achtung Mosel-Winzer, Konkurrenz schläft nicht. Klimaveränderung gab es und gibt es – damit leben ist besser, als Windmühlen in der Arktis aufzustellen wie das Potsdamer Klimainstitut. Über Anpassungsmöglichkeiten jenseits einfachster Überlegungen ist wenig bekannt. Warum nicht? Es wird sie geben. Massenhaft. Und wenn alles nicht hilft: Tomatensalat bekämpft die Klimawende. Zugegeben, das ist billiger Spott, dem Ernst der letzten Tage nicht angemessen. Aber vielleicht hat doch Heinrich Heine recht mit seinem romantischen Trost: Keine Bange, wenn vorne die Sonne untergeht – sie kommt morgen von hinten zurück. Auch in der Klimakrise ist Gelassenheit ein besserer Ratgeber als Panik.
Das Fräulein stand am Meere
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
(Heinrich Heine)