Sicher, die deutsche Wiedervereinigung war ein Glücksfall – aber einer mit Härten. Die Ostdeutschen erkämpften sich die Freiheit und konnten die Erstarrung eines sklerotischen Systems überwinden – aber um einen Preis, der vielfach als Entwertung der Lebensleistung benannt werden kann.
Alles neu macht der Wessi – und der Ossi die Drecksarbeit
Denn nach dem Einigungsvertrag wurde das westdeutsche System über die DDR gestülpt. Nichts blieb von dem, was die DDR an Institutionen, Recht und Lebensstil hatte – außer dem Ampelmännchen und dem grünen Rechtsabbiegerpfeil an Straßenkreuzungen. Ansonsten – alles neu machten die Wessis, für die Ossis blieb die untergeordnete Arbeit, wenn überhaupt. Meist nur der Gang zum Arbeitsamt. Jeden Morgen um 7 starteten der frühere Regierungsairbus Erich Honeckers und eine Fallschirmjäger-Transall am Flughafen Köln-Bonn, an Bord die „Buschoffiziere“. Es waren die Beamten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die den Einigungsvertrag zu exekutieren hatten. Manche Karrieresackgasse im Westen wurde zur Autobahn des Erfolgs im Osten. Die Unternehmer waren schon vorher da; mit den schriftlichen Ramsch-Angeboten der Treuhand im Diplomatenköfferchen waren hübsche Schnäppchen zu machen und Konkurrenten konnten beseitigt werden – alles im Dienste der Einheit.
Bei allem, was da geschah – dem blitzschnellen Aufbau einer modernen Verwaltung, industriellen Leuchttürmen in Schwedt, Halle, Jena und anderswo, an der Revitalisierung des vom Taubenschiss zerfressenen Berlins und der anderen Städte, an Verkehrsprojekten, neuen Autobahnen, Kanalisation und Luftfiltern für die Braunkohlestinker: Es waren nicht sofort blühende Landschaften, doch es ging ziemlich schnell; und noch heute ist die Glasfaser flotter, sind viele Straßen glatter, viele Städte herausgeputzter; der Westen versank 20 Jahre im Reparaturstau ohne Mittel.
Aber menschlich? Arbeitsplätze gingen verloren, millionenhaft wurde die Stütze zum Familieneinkommen, die Frühestverrentung zum vergifteten Geschenk, die Herabstufung zur Demütigung. Es waren ja die Wessis, die draufhatten, was der Westen so braucht; und die fixen Ossis waren verdächtig, denn es konnte ja sein, dass die Anpassungsfähigkeit schon früher erworben worden war. Ärzte, die auf die Seite geschoben wurden, Lehrer, die zur Nachhilfe in Sachen Westen mussten, Techniker, deren Genie in Sachen „Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner“ nur noch störte, wenn man doch alles kaufen konnte, was kaputt war oder klemmte, Arbeiter, die zuschauen mussten, wie der Caterpillar umschubste, was sie jahrelang am Laufen gehalten hatten. Ja, es wurde vieles besser. Aber die Menschen in den Ruinen standen nur im Weg, Jammer-Ossis halt. So war es, und es war bitter für Millionen.
Die zweite Entwertung, diesmal im Westen
Und jetzt ergeht es im Westen vielen anders, aber auch nicht besser. Im Zuge der großen Transformation wird es zur Sünde erklärt, dass sie die weltbesten Autos gebaut haben. Man muss die Gesichter sehen der Männer aus den nigelnagelneuen Kohle- oder Gaskraftwerken, die jetzt nur noch zur Rostbeseitigung gelegentlich laufen dürfen. Sie sind nur noch geduldet, nicht gebraucht. Gut, neuerdings wurden wieder ein paar ans Netz geholt, aber ohne Perspektive, es macht doch alles die Sonne jetzt. Ihr Stolz ist zerstört; der Stolz, die Hochtechnologie Atomkraftwerke bewältigt, gewartet und effizient betrieben zu haben; der Stolz, als „Hidden-Champion“ die Welt beliefern zu können, ist verflogen mit der letzten Gasrechnung, die dem Unternehmen das Genick gebrochen hat. Redet nicht vom Fachkräftemangel, die Frühverrenntungsprogramme laufen ungebremst weiter, ein gigantisches Aussonderungsprogramm für die, die Mitte 50 sind. Man kann aber kaum einen Mechatroniker zum Kita-Betreuer umschulen; oder soll er statt für 60 Euro die Stunde jetzt für 15 Euro kellnern? Dann lieber mit kaputtem Rücken krankschreiben und bei Hornbach die neuen Dielenbretter holen.
Aber nicht nur um den Job geht es. Das Gefühl, nicht mehr sagen zu dürfen, was man denkt, das verärgert, und stille Wut staut sich auf wegen dem Unsagbaren. Der Stammtisch war früher Blitzableiter für Frustration und ist heute Hochrisikozone, wenn einer wie früher die Sau rauslässt. Kein gutes Gefühl, den letzten Gender-Schmäh nicht draufzuhaben, und beim Tatort ist so einer wie Du garantiert der Täter. Die Sombreros und Kostüme eines AWO-Rentnerinnen-Ballets werden als kulturelle Aneignung verboten und die Bundesgartenschau in Mannheim zur kulturellen Umerziehungsanstalt für zurückgebliebene Kleingärtner umfunktioniert. Jeder Lebensbereich wird politisiert und mit Regeln versehen, die keiner verstehen und kapieren kann – so wird jeder zum Rassisten, Kolonialisten oder sonst was denunziert; Straßenschilder werden abmontiert und die Geschichte umgeschrieben – zur durchgehenden Geschichte von Schuften und Verbrechern. So wird Schuld aufgeladen – es war eben alles falsch. Du wirst für die nichtbezahlte TV-Gebühr verfolgt, die anderen stechen Mädchen ab und machen ein paar Jahre auf Psychiatrie, aber Du wirst ständig als alter weißer Mann beschimpft. Frauen, die Kinder großgezogen haben und die Chose durchmanövriert haben im Reihenhaus, sind jetzt CO2-Übeltäterinnen, deren ökologischer Fußabdruck wegen des CO2-Ausstoßes der Kinder zu groß ist. Späte Helden des Industriezeitalters sollen jetzt Buße tun für die Schadstoffe aus der Zeit von vor 150 Jahren; sie müssen dafür CO2-Steuer bezahlen von der reduzierten Betriebsrente oder der Lebensversicherung, die wegen der Inflation dahin schrumpft, statt die Rentenlücke zu schließen, wie es versprochen und ausgemacht war.
Das schmucke Eigenheim, auf das man stolz ist, wird zur Falle: Habeck zerschlägt mit dem Vorschlaghammer die mühsam aufgebaute Sicherheit für das Alter. Der eigene Herd ist dem Habeck nichts wert. Weg damit! Dazu das stete Hohelied auf Massenzuwanderung; wir sind minderwertig, weil blond, und worauf wir stolz waren, wird abgeräumt bis zur Mohrenapotheke, Hindenburg-Denkmal und Bismarckring; ein Volk von Tätern, Rassisten, Kolonialisten und Klimaverbrechern soll Buße leisten für imaginierte Sünden der Vorväter. Das Geld wird knapp, mit der Inflation schwindet jede Sicherheit, auf die du vertraut hast, beim Facharzt wochenlange Wartezeiten, für weitere Migration ist jedes Geld da, nicht aber für das beheizte Freibad. Eine Ricarda Lang, weder Beruf noch Berufstätigkeit, schreibt dir vor, wie du zu leben hast, Insekten sollen es sein statt Nackensteak, und wer grillt, ist ein Klimakiller.
Die Entwertung der Lebensentwürfe auch im Westen
Es ist die Entwertung der Lebensentwürfe, die Demoralisierung des Lebens, die materielle Unsicherheit, der Anschlag auf die letzte feste Burg, das Reihenhaus. Der Westen wird zum neuen Osten, aber nivelliert sich nach unten. Auf den Dörfern sieht es aus wie früher in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt: Der letzte Laden geschlossen, die Dorfkneipe ein Flüchtlingsheim, der Arzt weit weg im Ärztezentrum in der Kreisstadt, der Bus fährt im Zwei-Stunden-Takt zuletzt um 17 Uhr und das Auto wird zu teuer. Das Elend grinst aus den Fenstern der unverkäuflichen Objekte und warte, bald ist auch Deines dabei, wenn die Gastherme den Geist aufgibt und die Sparkasse, wenn es sie außer in Form eines Automaten noch gibt, keinen Kredit vergibt: Zu alt, zu wenig Sicherheit steckt im Haus, das doch genau dafür gebaut, geliebt und gebraucht wurde.
Wiedervereinigung damals und die Große Transformation, die heute übergestülpt wird – es ist ganz anders und doch ähnlich. Weit im Osten, in Polen, Tschechien, Ungarn, da war es jahrelang noch viel schlimmer, weil der Absturz in die Ruinen des Sozialismus nicht abgefedert wurde. Kennt ihr noch die Polenwitze? Der braucht kein Viagra, der hat schon ein Stemmeisen in der Hose. Aber der Pole klaut nicht mehr, er will aber auch nicht mehr für Kühne&Nagel auf dem Bock vom LKW 6 Wochen fern von zu Hause rackern. Der kriegt ja jetzt die schöne, neue Wärmepumpen-Fabrik von Bosch hingestellt; Strompreise sind für ihn ja kein Argument, er liefert gerne den Strom aus Kohle und Atom für teuer Geld. Vaillant etwa hat gerade eine neue Fabrik in der slowakischen Kleinstadt Senica in Betrieb genommen. Konkurrent Viessmann baut eine Fabrik im polnischen Legnica mit 50.000 Quadratmetern Fläche.
Deutschland importiert die Stricke, an denen es aufgehängt wird.
Jetzt wird der Westen abgewrackt. Jetzt sind es die Wessis, die sich fremd fühlen im eigenen Land, ohne Zeitung, die darüber schreibt, ohne Politiker, die sich dafür interessieren, weil sie zu beschäftigt damit sind, ihren Listenplatz und ansonsten den Planeten zu retten. Okay, könnte man sagen, das ist nur fair. Materiell trifft es die im Osten noch härter, weil der Speck nicht da ist, von dem die im Westen oft genug noch zehren. Es waren halt ein paar gute Jahre, jetzt geht es wieder in den Sozialismus, hört man im Osten, und der Westen wundert sich, kennt er nicht. Noch nicht.
Es gibt nur ein klitzekleines Problem dabei: Der Osten hatte den Westen, der ihn bei aller moralischer Verachtung wenigstens finanziell über Wasser gehalten hat. Die im Westen heute wissen: Es gibt keinen Westen im Westen.