Ach, immer dieser Trump! Jetzt erhebt er Strafzölle auf Stahl und Aluminium-Importe und bedroht damit auch Mercedes und BMW. Über Nacht stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel und der Wohlstand, der in Deutschland auf weltweiten Exporten beruht. Deutsche Medien und Politik äußern sich entsetzt über den Handelskrieg. Wir sind jetzt Alle ein einig Volk der Freihändler, lobpreisen die Globalisierung und drohen in militärischer Sprache mit Vergeltungsschlägen.
Das kurze Gedächtnis
Leider ist das Gedächtnis kurz. Erinnern Sie sich noch an TTIP, die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen, das von Präsident Barrak Obama auf den Weg gebracht wurde? Es sollte den Handel zwischen Europa und Amerika erleichtern und in unabänderlichen Regeln festschreiben. TTIP wurde bekämpft, von Greenpeace und den Grünen bis zur SPD, der katholischen sowie evangelischen Kirche und all den vielen kleinen und größeren Vereinen, die immer die Front der Fortschrittlichlichen bilden, wenn es darum geht, die Straßen mit Demonstranten und Fahnen zu füllen. Trump vollzieht jetzt, was sie gefordert haben – die Begrenzung des Freihandels statt dessen Ausweitung; staatliche Kontrolle und Zölle anstelle deren Abschaffung. Eigentlich müssten sie für ihn demonstrieren.
Aber die Volksfront der Protestierer hat ein kurzes Gedächtnis. Sie haben vergessen, dass die Öffnung der US-Grenzzölle nach 1945 es den Käfern aus Wolfsburg erst ermöglichte, in die Weite des größten Marktes der Welt hinauszukrabbeln und dort das Geld zu verdienen, mit dem Deutschland aufgebaut wurde. Die USA haben Autos aus Detroit durch solche aus Wolfsburg, Rüsselsheim und Stuttgart aber nicht aus lauter Menschenfreundlichkeit ersetzt, sondern weil sie den Deutschen im Kampf gegen den Sowjetblock wieder auf die Räder helfen wollten. Handelspolitik war immer auch Bündnis- und Verteidigungspolitik. Insofern ist die Verbindung, die Trump mit den zu geringen Rüstungsausgaben der Deutschen herstellt, nicht neu. Billig in die USA exportieren und sich darauf verlassen, dass die Marines die Verteidigung übernehmen und den Weltpolizisten spielen – so einfach war es nie und wird es nicht sein.
Kennedy und die Hähnchen
Die unbestrittene Wirtschaftssupermacht USA profitierte von dieser selbst erfundenen Kombination – aber immer mehr Wettbewerber, erst die Deutschen, dann die Japaner, später die Koreaner und schließlich die Chinesen, drängten die USA wirtschaftlich in die Defensive. Konflikte gab es immer. So haben sich am tiefgekühlten Hähnchen schon Männer die Zähne ausgebissen, deren Namen wir heute ehrfürchtig im Geschichtsbuch lesen. Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und John F. Kennedy – Männer, die weder die Sowjets, die Nazis oder den Mann im Mond fürchteten, scheiterten an Hühnern, deren Schenkeln, Flügeln und Brüsten; genauer gesagt: an der Frage, ob und wie diese ohne Zollschranken tiefgekühlt den Atlantik überqueren dürfen.
Die Protokolle zum Élysée-Vertrag, der als als deutsch-französisches Freundschaftsabkommen als einer der Grundpfeiler der EU gilt, dokumentieren umfangreiche und knochenharte Auseinandersetzungen mit den USA zur Hähnchen-Importfrage. Der europäisch-amerikanische Freihandel, das TTIP der 60er, scheiterte damals daran und es hat sich nicht viel geändert seither.
Die Zölle der EU
„Die EU ist keineswegs das Paradies für Freihändler, für das sie sich gern hält; das gilt insbesondere im Vergleich mit den USA“, sagte der Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft, Gabriel Felbermayr. „Der ungewichtete Durchschnittszoll der EU liegt bei 5,2 Prozent, jener der USA bei 3,5 Prozent“, sagte er unter Berufung auf die ifo-Zolldatenbank. „Diese Durchschnitte verbergen hohe Zollspitzen in vielen Branchen. Wenn US-Präsident Donald Trump also über ‚massive Zölle‘ klagt, hat er zumindest punktuell nicht Unrecht. Gleichzeitig gilt – wenn auch in kleinerem Ausmaß – diese Klage auch für die Barrieren der USA. Hier müsste also verhandelt werden.“
So verlangt die EU auf amerikanische Motorräder 6 Prozent Zoll, auf Personenwagen 10 Prozent, auf Äpfel 17 und auf Weintrauben 20 Prozent. Die Zölle der USA sind im Durchschnitt zwar niedriger. Es gibt aber auch hier Zollspitzen, die den EU-Exporteuren wehtun: Bei Handtaschen werden in den USA 8 Prozent Zoll fällig, bei Schokolade 9 Prozent, bei wichtigen Milchprodukten durchschnittlich 20, bei Babynahrung 23 und bei Kleinlastwagen 25 Prozent. Insgesamt wurden Exporte der USA in die EU im Jahr 2015 mit 5,7 Milliarden US-Dollar Zoll belastet, während die viel größeren Exporte der EU in die USA zu Zollzahlungen von rund 7,1 Milliarden Dollar im Jahr führten.
Die Lage ist nicht übersichtlicher geworden. Deutschland kann alleine gar nicht mehr darüber verhandeln; diese Fragen werden ausschließlich von der EU behandelt. Im Wesentlichen hat nur Deutschland Handelsüberschüsse mit den USA und kompensiert damit die Defizite der schwächeren EU-Partner. Die wären also von Zöllen auf deutsche Autos nicht betroffen. In wessen Interesse verhandelt die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström? Und ist es wirklich überraschend, dass Deutschland auf die Anklagebank kommt, denn nicht nur die USA, auch europäische Partner ärgern sich über die deutsche Exportmaschine, die die Industrien in ihren Ländern niederwalzt. Es ist ja nicht Trump in seiner immer wieder beschworenen Launenhaftigkeit – auch seine frühere Wettbewerberin Hillary Clinton spielte die Melodie „Buy American“. Und ganz offen sind die europäischen Märkte auch nicht: Frankreichs Bauern blockieren traditionell US-Agrarimport und Deutschlands Film- und Fernsehschaffende fürchten sich vor Hollywood und dem Zuschauer, der ihre hoch subventionierten Gähnfilme nicht sehen will.
Die Rolle des Euro
Dazu kommt noch der Vorwurf der Währungsmanipulation. „Deutschland beutet weiter andere Länder in der EU und die USA mit einer ,impliziten Deutschen Mark‘ aus, die stark unterbewertet ist“, und habe deshalb im Handel mit anderen Eurostaaten und dem Rest der Welt ungerechte Vorteile, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Peter Navarro, den Trump zum Chef eines neu eingerichteten Handelsrats ernannt hat.
Navarro trifft einen wunden Punkt.
In einer freien Marktwirtschaft mit eigener Währung käme es über den Wechselkurs zum Ausgleich: Die Deutsche Mark hätte, gäbe es sie noch, so lange aufgewertet, die Exporte so verteuert, bis es tendenziell zum Ausgleich der Handelsüberschüsse gekommen wäre. Arbeitnehmer wären indirekt Profiteure des Systems: Sie könnten mit ihrer in harter Mark ausgezahlten Löhne noch preiswertere Importe kaufen, die USA als Billigreiseland erkunden, bei Benzin und Heizöl, das in Dollar abgerechnet wird, jede Menge Kaufkraft sparen.
Neben der Zollfrage ist der damit verbundene Vorwurf der Währungsmanipulation nicht aus der Luft gegriffen: „Deutschland ist im Euro unterbewertet, und der Euro selbst ist unterbewertet. Das macht deutsche Produkte im Ausland extrem billig“, bestätigt der langjährige Chef des Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn: Um jeweils 20 Prozent im Verhältnis zum Dollar und innerhalb Europas sei Deutschland zu billig. Der Euro als Einheitswährung überdeckt die unterschiedliche Leistungsfähigkeit: unterschiedlich hohe Lohnniveaus, unterschiedliche Produktivität und Infrastruktur. Gemessen daran müssten Länder wie Griechenland und Italien abwerten, die Deutschen aufwerten. Weil dies im Euroraum nicht geschieht, panzern deutsche Exporteure ihre europäische Konkurrenz nieder. Selbst brutalstmögliche Lohnsenkungen in diesen Ländern würden der Wirtschaft nicht mehr aufhelfen – so schnell kann man Fabriken nicht aufbauen, wie sie mit dem Eurosprengstoff weggeschossen werden. Und dann ist da noch China. Mit seiner staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik praktiziert es das genaue Gegenteil von Freihandel. Es steht als nächstes auf der Liste Trumps. Larry Kudlow , sein neuer Wirtschaftsberater in einem Interview des Fernsehsenders CNBC am Mittwoch: „China hat seit langem nicht nach den Regeln gespielt … Ich muss sagen, als jemand, der eigentlich keine Zölle mag, denke ich doch, dass China eine harte Antwort verdient hat.“ Er hoffe, dass sich mehrere Länder zusammentäten, um gegen China beim Thema Handel vorzugehen.
Deutschland bräuchte jetzt einen Wirtschaftsminister, der nicht mit aufgeblasenen Backen auf die Pauke haut, sondern deutsche Interessen vertritt. Freihandel ist kein Gottesgeschenk, sondern mußte immer hart erkämpft werden. Sich hinter Brüssel zu verstecken geht nicht mehr länger. Denn die Rolle der EU ist und bleibt umstritten: Vielen Europäern ist es gar nicht so unrecht, dass Deutschland jetzt von Trump angegangen wird.