Als das Land wieder aus dem Schlaf erwachte, schien alles zu sein wie vorher, nur besser, erholter. Die Bürger rieben den Schlaf aus den Augen und kehrten langsam zu ihrem normalen Leben zurück. In Straßencafés war kaum mehr ein freier Platz zu finden, denn nach der langen Ruhezeit galten neue Regeln: Nicht mehr nahe beieinander sein, nicht flüstern, keine falsche Vertraulichkeit mehr erlaubt. Das Leben wurde wieder schön, die Strände an seinen Küsten von blassen Badegästen überfüllt, die sonnenhungrig nachholen wollten, was ihnen in der grauen, bleiernen Zeit verboten war: Parks, Luft, See, Berge. Alles war wieder gut.
Manche waren arm geworden, weil sie nicht arbeiten und schaffen gedurft hatten; ihre Läden blieben leer, weil das Betreten nur mit einer Maske erlaubt war. Wirte trauerten vergangenen Zeiten nach, in denen ihre Schänken voller Zecher waren; aber an Sonnentagen wagten sich doch einige wenige Esser und Trinker ins Freie. Die Fabriken kamen nur langsam wieder in Fahrt. Aber viele fanden den Großen Schlaf gar nicht so schlecht, wollten weiter dämmern, weil sie der Lärm und die Abgase der Maschinen störten und überhaupt: wozu arbeiten? Denn ihre Königin hatte versprochen: Vertraut mir nur, von mir bekommt ihr alles, so, wie ihr es verdient habt. Tag und Nacht wurden frische Golddukaten geschlagen, der königliche Minister fuhr auf einem hohen Wagen durch die Städte und warf mit beiden Händen das Gold unter das Volk, das ihm zujubelte und dankbar die Münzen zwischen den Pferdeäpfeln herauspulte. So sollte alles wieder sein wie vor dem Großen Schlaf. Arbeit war abgeschafft, Mühe und Plage vorbei, nur langsam gewöhnten die Bürger sich wieder daran, selbst für sich zu sorgen. Wozu auch? Endlich sorgte doch die gute Königin für sie. Keiner sei ohne Einkommen, versprach der Gesandte der Königin.
Ihr jubelten auch jene besonders ehrenwerten Leute zu, die in einem gewaltigen Palast hausten, das sie Reichstag nannten. Sie waren so geläutert, dass sie keinen Streit und keine Parteien mehr kennen wollten. Sie nannten sich CDSUFDPGRÜNE. Nur ein paar standen abseits. Aber das machte nichts. Längst hatte die weise Königin Gesetze erlassen, um böse Worte, Hass und Hetze zu bestrafen. Denn sie wollte, dass ihr Volk glücklich ist und immerzu lacht, statt zu schimpfen und zu meckern. Viele waren ja auch glücklich, wegen der Golddukaten, die sie nur aufzuheben brauchten. Für sie war es ein glückliches Sein unter dieser Königin. Es herrschte große Harmonie. Selbst die Polizei, die früher so streng gewesen war mit ihren Knüppeln und Stecken, hatte sich geändert.
Polizisten knieten jetzt vor Demonstranten, die sie früher von der Straße getrieben hätten. Besonders glücklich waren die früheren Knechte. Sie waren in das Land geholt und geknechtet worden, mussten viel und hart arbeiten. Jetzt durften sie auf der Straße tanzen und jeder von ihnen durfte König sein. Das war ein Lachen und eine Freude. Bei denen, die dazu gehörten. Manche von denen, die abseits standen, konnten sich nicht daran erinnern, die Knechte ins Land geholt zu haben. Sie meinten sich zu erinnern, dass die Knechte freiwillig gekommen wären, ja geradezu gebettelt hätten, kommen zu dürfen, dass sie ein Haus erhalten hatten für sich und ihre großen Familien und jederzeit tun und lassen konnten, was sie wollten und doch ernährt und unterhalten worden waren. Das zeigte, dass das Glück doch noch nicht vollkommen war. Noch waren nicht alle einer Meinung.
Eine neue Ordnung zwischen den Menschen wurde hergestellt, in der endlich wieder jeder nach seiner Herkunft, seinem Geschlecht und nicht zuletzt nach seinen Gefühlen den richtigen Platz finden sollte, auf dass der dauernde Streit, den sie früher Demokratie genannt hatten, ein Ende habe. Viele große Plakate wurden gemalt und die Gazetten waren voll des Lobes ob dieser Klugheit: Ein jeder an seinem zugewiesenen Platz – und ganz wenige ganz oben.
Überhaupt war es eine Zeit der großen Neuerungen. Damit die Menschen endlich gesund würden, sollten sie weniger Fleisch essen. Es gebe kein Recht auf jeden Tag Fleisch, sagte eine Helferin der Königin. Alle sagten AAAAAHHHHH und OHHHH, denn sie hatten davon noch nie was gehört und doch einfach Fleisch gegessen, das es billig zu kaufen gab. Damit sollte jetzt Schluss sein, denn die kluge Helferin hatte mit klugen Männern zusammengesessen, die sie eigentlich nicht mochte: Chemiker hießen die. Das sind solche, die mit geheimen Rezepturen Mensch und Vieh und den Planeten vergiften. Aber diese Chemiker hatten auch feine Rezepturen entwickelt, damit Brei plötzlich wie Würstchen schmeckte oder wie Schnitzel. Weil alles so schmeckte wie Wurst oder Schnitzel, die es jetzt nicht mehr so einfach zu kaufen geben sollte, oder vielleicht nur ganz selten und nur für die wenigen Reichen, die man noch nicht hatte loswerden können. Das war eine Freude! Brei, der wie Buletten schmeckt! Oder wie Gulasch aussieht, so schmeckt und doch keines ist, wenn man es isst! Das war wirklich eine große Freude.
Die Königin nahm es aber auf sich, stellvertretend für ihre glücklichen Untertanen doch noch in so einem Automobil herumzufahren. Unter Verzicht auf den Genuss von getaner Arbeit am Abend und in ihrer ständigen Sorge um das Wohlbefinden der Menschen, blickte die Königin durch die abgedunkelten Scheiben ihres Autos und stellte fest: Es war wohlgetan.
Manche bekamen auch kleine Autos, die fuhren von Zauberhand. Sie summten um die Wette viele, viele Kilometer weit. Sie waren sehr teuer. Aber die Königin und ihr Wirtschaftsminister wussten, dass sie das schaffen würden und schenkten jedem Käufer viele Golddukaten, wenn sie ihre alten Autos in die neuen Wundermobile tauschten, in denen kleine künstliche Kobolde heftig strampelten, um Energie zu erzeugen. Und weil die Dukaten der Königin noch nicht reichten, legten die Hersteller ihrerseits noch einmal so viele Dukaten obendrauf.
Denn die Welt hatte sich verkehrt. Nicht mehr die Menschen bezahlten die Hersteller für deren Waren, sondern die Hersteller die Menschen, wenn sie nur Autos kauften. Endlich war überwunden, was die Menschen so viele Jahrtausende gequält hatte: die Knappheit. Keiner war mehr arm, jeder war reich. Und das nur wegen der Königin, und sie wurde sehr geliebt. Sie beherrschte aber auch wirklich große Künste. Sie machte zum Beispiel, dass der Wind immer weht und Windräder antreibt, und dass auch nachts die Sonne scheint auf silbern glänzende Scheiben, die den Menschen Licht brachten. Früher hatte man das in stinkenden Kraftwerken gemacht, aber die brauchte jetzt keiner mehr. Die Kohle blieb in der Erde, die Luft rein, das gefährliche Atom war auch abgeschafft, denn heimlich hatte die Königin früher Physik studiert und siehe: Sie schaffte alles.
Und weil die Menschen dankbar waren, traten sie in die Pedale ihrer Lastenräder und lieferten die Pakete aus, weswegen in den Städten auch keine Läden mehr gebraucht wurden. So wurden Wohnungen frei. Da konnten alle umsonst wohnen, denen vorher sogenannte Kapitalisten eine Miete abgeknöpft und Fleisch auf den Teller gezwungen hatten. Igitt! Ein Herzog der Königin aus dem sonnigen Süden verbündete sich mit den Markgrafen im Osten, denn sie hatten mit dazu beigetragen die Lösung zu finden: Niemand soll von Mietern Geld nehmen fürderhin und davon Fleisch kaufen. Und deshalb gab es endlich auch keine Zinsen mehr.
Nur wenige Gerichte und Richter gab es noch, die verhängten allerdings besonders schwere Strafen. Denn einige wollten die Steuern nicht zahlen. Ihnen reichte nicht, dass der Staat ihnen nur 40 Prozent von dem gab, was sie erarbeitet hatten. Dabei gehörte es ihnen doch gar nicht. Es war doch der Staat, der es erwirtschaftet hatte! Weil sie das nicht glauben wollten, mussten sie halt hart bestraft werden. Aber es waren nur wenige. Und jetzt zeigte sich, dass in den wichtigsten Amtsstuben des Reiches trotz der Schlafenszeit gut gearbeitet worden war. Neue Gesetze waren erlassen worden, die keinen Widerspruch duldeten. Gute Gazetten erhielten königliche Unterstützung, schlechte wurden bedrängt. Die brave Polizei kniete vor den Demonstranten der Regierung und schleppte die, die Böses dachten, an den Haaren weg. Die Bevölkerung klatschte.
Die Königin liebte dieses Klatschgeräusch. An manchen Tagen erinnerte sie sich an Trillerpfeifen, mit denen ihre Reden gestört worden waren – damals, als es noch spaltende Wahlen gab. Der Ärger darüber war noch nicht vergessen. In solchen Nächten sorgte sie sich. Sie träumte davon, dass die Menschen ihres Reiches nicht mehr träumen könnten. Dass diejenigen, die noch arbeiten mussten, ihr Werkzeug fallen ließen oder einfach fortblieben. Denn die Arbeit lohnte sich ja schon lange nicht mehr; nur noch aus Gewohnheit, weil sie es nicht lassen konnten, gingen manche Menschen noch zur Arbeit. Aber es wurden immer weniger.
Dann waren irgendwann die Gold-Dukaten alle aufgesammelt, aus den staubigsten und schmutzigsten Winkeln hervorgekramt. Immer mehr Menschen kamen, für die keine Häuser mehr gebaut wurden und die böse waren, weil die Königin ihre Versprechungen nicht erfüllte. Der Zoll, die Polizei und die Steuereintreiber beklagten Überstunden. Auch der wunderbare Antriebsstoff aus der Luft wollte zeitweise nicht mehr fließen, so dass die schönen neuen Fahrzeuge aus ungeklärten Gründen einfach stehenblieben. Das alles sorgte die Königin.
Aber dann verscheuchte sie ihre schlechten Träume. Sie blickte stattdessen in den Zauberspiegel namens ÖR, der sie immer wieder an ihre Jugendzeit erinnerte. Da sah sie schöne Bilder bunter Leute, die fröhlich demonstrierten fröhlich gegen die, die schon länger in ihrem Reich waren. Da dachte die Königin: Es ist vollbracht.
Insgeheim fürchtet sie sich vor dem nächsten Traum, in dem sie wieder jene auftauchen würden, die schon länger hier leben. Aber dann blickte sie wieder in den Zauberspiegel ÖR. Da war es taghell und Frauen lachten. Und die im Dunklen sieht man bekanntlich nicht. Da wusste die Köngin: Sie schafft das.