Tichys Einblick
Ein Rückblick

Tschüss Frank Plasberg, der Kalender hat Sie erlöst

Seit 2001 moderiert Frank Plasberg „Hart aber Fair“, zunächst im WDR, seit 2007 in der ARD. Am Montag war seine letzte Sendung. Ein Rückblick auf die Sendung und die Rituale inszenierter Konflikte im deutschen Staatsfernsehen.

Screenprint: via Youtube

So tickt die ARD: Moderatoren werden nicht ausgewechselt, wenn die Präsentatoren ausgespielt haben wie beispielsweise Anne Will, und sie bleiben auch nicht, wenn das Publikum sie unbedingt sehen will: Sie gehen in Rente. Wie die Jungs vom Straßenbau und die Mädels von der Aldi-Kasse. Der Kalender bestimmt das Programm und schickte Petra Gerster deutlich verspätet ins Aus, der Kalender entscheidet – und Können und nicht das Aussehen, bei dem man gelegentlich mitleidet; so ist das eben in bürokratischen Systemen. Und deshalb wird die bis zum Erbarmen ermattete Anne Will weitermachen, bis der Kalender auch ihr und den Zuschauern gnädig ist. Ihre Gebühren machen es möglich.

Erbarmungslos …

Fernsehen ist ein grausames Geschäft für die auf dem Bildschirm. Nicht mehr der Star zu sein, weil das Haar lichter wird und das Bäuchlein runder oder der Suff seine Spuren zieht im Gesicht und so den warmen Strom der Zustimmung zu verlieren wie die Zähne: Am Ende wird abgerechnet und wenig bleibt für den „Has been“. Die Zuschauer sind ein menschenfressendes Monster. Auch Politik im TV ist Volksbelustigung. Wer nicht unterhält, über den senkt sich der Daumen. Wie gesagt. Nicht bei der ARD. Wer Gebühren kassiert, wartet nicht auf das Gebrüll eines mordlüsternen Publikums, sondern auf das unerbittliche Ticken des Kalenders.

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Ich selbst war ein Dutzend Mal bei Hart aber Fair, zunächst beim WDR. Da war der Sender noch streckenweise experimentell und fröhlich, wie Köln auch außerhalb des Karnevals gerne wäre. Plasberg routiniert, aber nicht abgekocht, und schon gar nicht gelangweilt. Schließlich musste man ja noch Rentenpunkte sammeln; im Fall Plasberg die eigene Produktionsfirma auslasten. Bei einer meiner letzten Sendungen war es meine Rolle, vor zu vielen freilaufenden Wölfen zu warnen.

Journalisten können über alles reden, nur nicht über eine Minute dreißig; so schwer wie bei den Wölfen ist es mir nie gefallen. Der Grund der Einladung war politisch. Barbara Hendricks, damals Umweltministerin, wollte nicht mit Enoch zu Guttenberg diskutieren; der wortgewaltige Dirigent und Vorsitzende des Bundes Naturschutz, als Verband damals noch der Umwelt zugetane, erschien der SPD-Schatzmeisterin zu stark. Ich war die Verlegenheitslösung. Die 1b-Besetzung. Wenig schmeichelhaft. Im TV ist auch, wer gerade verfügbar ist und eine bestimmte Rolle ausfüllen kann, und wenn es die des geplanten Verlierers ist.

… und wenig spontan

Talkshow wirkt spontan – und ist bei ARD und ZDF längst totgeplant, gecastet und nach Vorgaben besetzt; Abweichler sind unbeliebt, Überraschung gilt als tödliche Gefahr und wird ausgeschlossen. Deshalb sind sie so langweilig. Talks sollen nicht überraschen, sondern vorbedachten Wegen folgen. Links und rechts lauert der Tod auf die verantwortlichen Redakteure und das künftige Einladungs-Aus für Gäste. So sterben die Talks bei ARD und ZDF den Tod langweiliger Inszenierungen. Erwartbare Talkshows aber sind die Fortsetzung der Koch-Shows mit ohne Herd. Mut zu anderen Meinungen oder frechen Gästen fehlt komplett. Es ist, als spüre man den Blick des Kontrolleurs über die Schulter, wenn Redakteure anrufen und den möglichen Gast abklopfen.

In diesen Vorgesprächen wird aussortiert, ob die „Besetzung“ passt wie die Haarfarbe einer Schauspielerin oder die Sorgenfalten eines filmischen Tatortkommissars zum Drehbuch-Suff. Allerdings geht es bei Talks nicht nur um Unterhaltung, sondern um Inhalte, Positionen. Diese Positionen der Gäste werden sorgfältig erfasst und ausgewertet. Besonders bei Plasberg. Zu Beginn der Sendung betritt man die Arena, eine vielleicht unbedachte Formulierung aus dem arglos geführten Vorgespräch mit einem einladenden Redakteur wird dem Publikum eingehämmert. Damit ist die Rolle definiert, alles klar: der Mann, der Wölfe umbringen will, am liebsten auch die kleinen süßen. Und da ist die Retterin der Natur, die gerne kleine Katzen knuddelt.

Das Publikum weiß, bei wem es klatschen muss, und der Talk-Gast ahnt es spätestens jetzt, wie er vorgeführt werden soll. Das Spiel kann beginnen. Woche für Woche eine austauschbare Inszenierung, erprobte Mechanik, ohne Spontanität und Neuigkeitswert; willkommen bei der Phrasenstanzmaschine. Politiker unter sich, dazu ein paar Lobbyfürsten der NGOs. Fachkunde stört. Selbst die Themen wechseln nicht zu häufig, die Gäste sind eine überraschend kleine Gruppe, die von Studio zu Studio tourt. Man kennt sich, und übernimmt die zugewiesene Rolle. Irgendwann kippt man aus ihr raus. Dann wird der Zirkus neu besetzt. Hart aber Fair wurde berechenbar. Bald marschierte Plasberg mit im Glied mit vorschriftsmäßiger ARD-Haltung. Vor seiner letzten Sendung hat er sich davon distanziert. Zu spät, Frank, viel zu spät. Plasberg war zu angepaßt; in der Flüchtlings- wie in der Corona-Krise hat er mit den Wölfen geheult. Statt langen Erfolg als Freiheit wahrzunehmen hat er sich verkrochen und angepaßt; hart war er nur noch zu den wenigen, noch erlaubten Meinungsabweichlern, fair kaum.

Ansager und Schnipselmann in Vietnam

20 Jahre sind ja auch lange. Anfangs nannte Plasberg sich und seinen Partner selbstironisch „Ansager und Schnipselmann“. Der Ansager war für’s Reden da, der Schnipselmann für die Einspieler. Immerhin war das eine der großen Innovationen, die Frank Plasberg ins dröge deutsche TV einführte: Die Talkshow vorwärts zu treiben durch Argumente und filmisch vorgegebene dramatische Wenden. Es ist das manipulativste Element der Inszenierung. Mit seinen Einspielern konnte Plasberg Positionen verteufeln oder erhöhen, Gäste bejubeln oder vernichten.

Die Diskussion nur Nebenschauplatz
Hart aber Fair: Plasbergs letzte Sendung
Wenn man wie ich die Rolle des Bösewichts hat, dann ist das ein harter Stand. Es ist, als ob man vom Moderator, der Gäste und den Klatschapportierern im Publikum gejagt werde. Häufig genug habe ich mich gefühlt, als würde ich langsam nach hinten getrieben, als ginge ich rückwärts auf einen Abgrund zu und ich meinte schon den kalten Hauch der Tiefe zu spüren. Meist sagte dann Plasberg: „Dann schauen wir uns doch mal dazu eine andere Sicht an.“ War das jetzt der Todesschuss? Das Ende im Studio, das Aus vor früher fünf oder sechs Millionen Zuschauern und die Blamage auf der Mattscheibe, vor der die eigenen Kinder sitzen? 

Meist war es anders. Wie die Helikopter im Vietnam-Film ließ Plasberg die Airborne-Truppen einfliegen, vielleicht sogar Napalm regnen, der Dschungel brennt, und man robbt sich wieder nach vorne, weg vom Rand des Abgrunds, nach vorne in eine Angriffsposition. Man überlebt. Wenn der Heli kommt.

„Warum machen Sie das eigentlich mit mir, warum ich?“, habe ich Plasberg mal dazu gefragt, weil mir die Rolle des neoliberalen Bösewichts auf die Nerven ging. „Weil Sie es aushalten“, war seine Antwort. Aushalten-können als professionelle Kompetenz? Traurig, aber wahr. Ab 2017 war es dann für mich Aus mit dem Aushalten; in der zweiten Hälfte von Angela Merkels Regierungszeit war auch die letzte abweichende Meinung nicht mehr aushaltbar, nicht nur bei Plasberg, und die mühsam erworbene eigene Unberechenbarkeit trotz immer stärkerer Normierung zu gefährlich – für die Redaktionen und Moderatoren. Das Räderwerk von Hart aber Fair tickte weiter, gemeinsam mit Anne Will und Münchner Runde oder Phoenix oder Presseclub: Es geht um Rollenspiele, nicht um spontanes Theater in diesem Haus.

Tschüss, Plasberg. Dass Sie es so lange ausgehalten haben, hat mich gewundert. Eigentlich waren Sie ein guter Journalist, aber haben das Versprechen nicht eingelöst. Das wissen Sie. Der Kalender hat auch sein Gutes. Er trifft unerbittlich Entscheidungen, die einem selber schwerfallen.

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