In diesen Tage habe ich mich durch einen „Leitfaden“ der Bundesnetzagentur gequält. Ich habe meine Fähigkeiten geprüft, ob ich geeignet bin zum „Aufspüren, Identifizieren und Melden illegaler Online-Inhalte“. Denn auch ich will ein „Trusted Flagger“ werden. So nennt man neuerdings Spitzel, die überprüfen, ob in den Sozialen Medien auch wirklich alles so vor sich geht, wie es sich die Bundesregierung wünscht und vorstellt. Bis vor zwei Tagen wusste ich zwar noch nicht, was das ist, aber die Bundesnetzagentur hilft mir auf’s Pferd: Der „Trusted Flagger“ ist ein zertifizierter Netzdenunziant, der das Internet gezielt nach problematischen Inhalten wie „Hassrede“ durchforsten und schädliche Inhalte melden soll, damit sie unterbunden werden.
Das Medium ist neu, die Methode nicht
Früher nannte man das „Spitzel“, in manchen Teilen Deutschlands „Inoffizieller Mitarbeiter“. Die sollen neuerdings überprüfen, was Nachbarn oder Arbeitskollegen so auf Facebook, Tiktok, dem früheren Twitter oder WhatsApp veröffentlichen. Dabei geht es nicht um Beleidigung oder Verleumdung oder gar Holocaust-Leugnung – das ist oder kann längst alles strafbar sein und wird im Einzelfall hart bestraft. Neuerdings geht es um Meinungen und Äußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“. Es geht um das, was man früher nannte: „Reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist“. Das wird jetzt kontrolliert, gemeldet, gelöscht und der Betreffende wird gelistet, damit er beispielsweise seinen Waffenschein verlieren kann oder die Gewerbeerlaubnis. Das Netz wird zur Falle. Endlich hat der Staat alle Mittel zur Hand, um Messermorde zu verfolgen.
Tausende solcher Netz-Spitzel soll es bald geben. Organisiert wird das über die „Bundesnetzagentur“. Die wurde nach der Privatisierung der Post 1998 gegründet und sollte verhindern, dass die Deutsche Post/DHL beliebig das Porto erhöht oder die Briefe nicht innerhalb von zwei Tagen zustellt. Dabei war die „Bundesnetzagentur“ nicht sehr erfolgreich, wie jeder weiß, wenn er einen Brief frankiert oder auf die Zustellung wartet. Aber wenn die Bundesnetzagentur schon Briefe kontrolliert, dann kann sie doch auch mitlesen, mag sich Wirtschaftsminister Robert Habeck gedacht haben, dem die Agentur untersteht – und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist auch dabei. Er ist für die Digitalisierungsfragen der Bundesnetzagentur zuständig, also für die e-Post. Und so wird der Laden mit immerhin über 3.000 Mitarbeitern jetzt aufgewertet zur „Bundesnetzzensuragentur“. Bespitzeln, was der Nachbar schreibt und postet ist ihr neuer Regierungsauftrag, der bequem vom Homeoffice aus am Computer erledigt werden kann.
Da will ich doch auch dabei sein, als Inoffizieller Mitarbeiter im Homeoffice am PC, genannt „Trusted Flagger“. Und: ich suche Mitarbeiter. Denn die Zensur wird jetzt privatisiert.
Bewerbungen werden entgegengenommen
Die Anforderungen allerdings sind hoch: „Fassen Sie die allgemeinen Fachkenntnisse, Qualifikationen oder Zertifizierungen zusammen, die Sie von Mitarbeitern im Tätigkeitsbereich des vertrauenswürdigen Hinweisgebers verlangen, oder die Schulungen, die entsprechende Mitarbeiter bei ihrer Ernennung und im Laufe ihrer Tätigkeit absolvieren müssen“, schreibt die Bundesnetzagentur.
Denn die Fülle der Tätigkeit, die Verantwortung für das viele Geschreibe in den Netzen erzwingt einen immensen Überwachungsapparat und setzt charakterliche Stärke der „Vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ voraus. „Ihr Persönlichkeitsmerkmal ist gekennzeichnet durch Merkmale der Aufrichtigkeit, der Wahrhaftigkeit und der Lauterbarkeit von Wort und Tat. Das findet seinen Ausdruck in der wahrheitsgemäßen Berichterstattung über die von ihm wahrgenommenen Handlungen und Äußerungen von Personen.“ Fühlen Sie sich angesprochen? Dann bewerben Sie sich. Die Formulierung ist zwar entnommen dem „Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zum Persönlichkeitsprofil des Innoffiziellen Mitarbeiters, Aktenzeichnen GVS JHS 001-400/81“. Aber ich finde: Das passt auch für die IM/Bundesnetzzensuragentur/neu.
Das Grundgesetz stört
Was das Bundesverfassungsgericht am 28. November 2011 entschied, soll nicht mehr gelten: die Meinungsfreiheit. Ein völlig überholtes Konzept, wie Habeck, Wissing und die Bundesregierung finden. „Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden …. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden …. Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt.“
Das geht wirklich zu weit. Daher sind diese Wochen entscheidend für die Frage:
Ist in Deutschland noch freie Meinungsäußerung erlaubt?
Ich finde: Gefällige Meinungsäußerung sollte bleiben dürfen. Und endlich ist auch geklärt, wer ungehemmt und ungebremst zensieren, verbieten und bestrafen darf, wenn etwas der Bundesregierung nicht ins Konzept passt. Wer wäre dazu besser geeignet als ich selbst? Die Bundesnetzagentur wird zur Bundesnetzzensurbehörde mit der Aufgabe, die sozialen Netze, Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, LinkedIn, TikTok und was es so alles sonst noch gibt. zu überwachen. Es geht um das, was das Bundesamt für Verfassungsschutz „Delegitimierung des Staates“ nennt, nämlich Kritik am Regierungshandeln, Kritik an den Regierenden und ihren Parteifreunden. „Delegitimierer“ werden überwacht, und weil es so viele sind, muss das jetzt mit Hilfe des Internets geschehen. Damit kenne ich mich aus.
Denn es reicht nicht mehr, dass beispielsweise die FDP-Abgeordnete Strack-Zimmermann jede Woche zig Bürger anzeigt, die ihre Politik kritisieren.
Es reicht nicht mehr, dass Medien wie Tichys Einblick teure Prozesse mit der sogenannten „Antidiskrimierungsbeauftragten“ Ferda Ataman führen müssen oder mit der Grünen-Politikern Katrin Göring-Eckardt. Alle diese Verfahren kamen vor Gericht, und meistens gewinnen die Bürger oder Medien. Das darf nicht so bleiben.
Noch gilt dieser lästige Artikel 5 des Grundgesetzes, der die freie Meinungsäußerung schützt.
Noch gelten die Urteile der früheren Bundesverfassungsrichter, die beispielsweise formulierten:
„Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.“
So haben die Karlsruher Richter noch im April 2024 die seit den 50er Jahren bestehende Rechtssprechung wiederholt. Und wiederholt. Und wiederholt. Bis heute. Damit ist jetzt Schluss. Schauen wir uns den skandalösen Fall an, dem das oben zitierte Urteil gilt. Auf Twitter, dem Kurznachrichtendienst hat ein unautorisierter, regierungskritische Autor doch glatt formuliert:
„Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus.“
Er bezog sich darauf, dass die Bundesregierung den mörderischen, frauenfeindlichen Taliban in Afghanistan weiterhin viele hundert Millionen Euro unserer Steuergelder zukommen lässt. Es sind dies Taliban, gegen die die Bundeswehr länger als 10 Jahre gekämpft hat in einer Auseinandersetzung, die mehr als 50 deutsche Soldaten mit Ihrem Leben und Hunderte mit ihrer Gesundheit bezahlt haben. Aber muss man daran immer erinnern? Ist das nicht lachhaft? Das kann man so nicht stehenlassen. Wie man dagegen vorgeht, hat man schon geübt, mit Erfolg – während der Corona-Zeit. Da haben Facebook und andere Kritik an der Pandemiepolitik unterdrückt und stummgeschaltet oder gleich auch mal ganz gelöscht.
Meldestellen statt Journalisten
Immer wieder verweisen Regierungspolitiker darauf, dass ja früher, in der für sie guten alten Zeit für Machthaber vor der Erfindung des Internets, Journalisten diese Meinungskontrolle übernommen haben. Seit es freie Medien im Internet gibt, ist diese Kontrolle verloren. Wo soll das noch hinführen?
Schon wurde ein erster Verein dafür lizensiert – er stellte sich sofort als fragwürdig heraus. Es ist eine linke Tarnorganisation, mit Staatsgeldern hochgepäppelt und ausgerechnet ein muslimischer Islamgelehrter ist Geschäftsführer. Sagen die Kritiker. Sie ziehen eben alles runter, was unsere gute Regierung sich so für uns ausgedacht hat. So darf das nicht weitergehen.
Wir überlassen also muslimisch geführten Organisationen die Herrschaft über unsere Meinung. Das geht schnell, flott unbürokratisch, verspricht …. Müller. Bislang haben Gerichte darüber entschieden – entlang der Urteile des Bundesverfassungsgerichts.
Das hat der Meinungsfreiheit einen weiten Rahmen gegeben – immer rechtlich überprüft. Einen zu weiten, und zu bürokratisch. Zukünftig gibt es keinen gesetzlichen Rahmen mehr, keinen Richter, der Willkür zurückweist, und kein Bundesverfassungericht, das letztendlich über diese zentrale Gut der Demokratie entscheidet und es so der Regierung schwer macht, durchzuregieren.
Alle haken sich unter
Gut, dass sich alle einig sind. Schön, dass endlich mal alle einer Meinung sind, sich „unterhaken“, wie unser Bundeskanzler sagt. Es gibt da zwar Ausreißer – aber nur auf den ersten Blick.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hat den Sachverhalt doch tatsächlich so beschrieben:
„Ich halte die Beauftragung eines privaten Dritten, der über ein zentrales Element unserer freiheitlichen Demokratie richten soll, für unerträglich. Robert Habeck, der ja auch schon wegen Nichtigkeiten nach staatlicher Verfolgung von Meinungsäußerungen rief, sollte dringend der deutschen Öffentlichkeit erklären, dass er seine nachgeordnete Behörde an die Kette legt und hier kein eigener grüner Rechtskreis geschaffen wird.“
Er warnt vor einer „grünen Zensuranstalt“, die den „Meinungskorridor einseitig einschränkt“. Gut gebrüllt, Kubicki.
Aber da ist ein großes ABER
Wie Tichys Einblick herausgefunden hat, steckt nämlich auch und besonders die FDP hinter dem Vorhaben. Für Digitalisierung ist FDP-Verkehrsminister Volker Wissing zuständig.
Der zuständige FDP-Digitalminister bzw. sein Ministerium reagierten jüngst schmallippig damit, dass „eine Sympathie für die Hamas oder andere extremistische Grundeinstellungen sind nicht mit der Ausübung einer Tätigkeit als Trusted Flagger vereinbar“ sei.
Und prominente FDP-Politiker, wie die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger und der aktuelle FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle betreiben aktiv Organisationen, die genau in den Rahmen der neuen Zensurbehörde passen.
Politiker der Jungen Liberalen betreiben ein Unternehmen als Meldestelle, dessen sich beispielsweise Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die vorbildliche gerichtsnotorische Prozessbeauftragte bei der Verfolgung von unliebsamen Meinungen bedienen.
Die FDP spielt damit ein doppeltes Spiel, und das ist schlau, denn es hilft bei der Durchsetzung des Notwendigen.
Für die FDP bellt Wolfgang Kubicki laut, wedelt dabei mit der einen Hand, und während aller darauf hören, kann die FDP mit der anderen Hand hinterrücks die Häuser der Demokratie ausräumen wie eine Bande von Wohnungseinbrechern. Wenn das mal nicht raffiniert ist.
Auch die CSU steht entgegen aller laut tönenden Beteuerungen Schmiere und die bayerische Staatsregierung von Markus Söder finanziert Meldestellen ebenso wie der nordrhein-westfälische Merkel-Abkömming Henrik Wüst: Es hat geklappt.
Endlich arbeiten wieder alle „demokratischen“ Parteien zusammen. Das ist auch dringend nötig.
Und so liefert uns die Bundesnetzagentur auch Beispiele für Themen, die dringend zu melden sind:
Unerlaubte Rede
o Verleumdung
o Diskriminierung
o Hassrede (unabhängig von Medium und Inhalt (d. h. Bilder, Videos, Texte, öffentliche Ansprachen usw.)
Das kann nur ein erster Schritt sein. Zukünftig könnten auch Hinweise erfolgen, wie im Internet und anderen Medien berichtet wird.
Auch hier ein Hinweis, entnommen einem Fernschreiben des Presseamts der DDR an die Chefredakteure wie am 2.3.79 zu berichten sei:
- Rede Gen. Breschnew morgen auf den Seit 3 und 4
- Auftakmeldung dazu auf Seite 1
- Die Zeitungen, die die Rede mitkriegen, brauchen keine Seite mit Protesten Vietnam machen.
- In den Montagausgaben wieder Protestseite Vietnam
- Dienstagausgaben: Wahlaufruf plakativ auf Seite 1
- Verlaufsbericht der Tagung auf Seite 2
- Rede auf Seite 3 Anlaufen lassen, Rest der Seite Proteste Vietnam
- Rede-Umlauf und Diskussion auf Seite 4
- In dieser Ausgabe nicht noch zusätzliche Seite Vietnam.
Das muss doch hinzukriegen sein, oder?
Und deshalb, liebe Bundesnetzzensuragentur: Ich bin ein „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“, bitte zertifizieren Sie mich als „Trustet Flagger“. Sie werden es nicht bereuen.