Tomas Spahn (*1954) hat TE vom frühen Beginn an mit vielen Beiträgen bereichert. Internationale Politik war seine Stärke. Es war nie Nabelschau, nie selbstgerechte Beurteilung der Welt aus der Perspektive eines deutschen Gutmenschen, der die Welt belehrt. Spahn brachte Einsichten mit, vermittelte neue Blickweisen, nicht erwartbare oder bequeme.
Er war Politikwissenschaftler und Historiker, hat in den 70ern bei Winfried Steffani, einem Vertreter der alten Schule der Politischen Wissenschaften (Fraenkel, Voegelin) studiert. Kluge Menschen denken länger. Und sie denken in großen Zügen. Tomas Spahn lebte gedanklich in den Demokratiedebatten; die von Neil Postman inspirierten Diskussionen von 1978 über das demokratische Recht urteilsunfähiger Massen, was gerade vor dem Hintergrund der allerjüngsten US-Entwicklungen sowie der Polens und Ungarns allerhöchste Aktualität hat. Ganz gemäß dem Böckenförde-Theorem, das sagt, dass die Demokratie ihre eigenen Grundlagen selbst nicht garantieren kann, sorgte er sich um den Bestand der Demokratie und ihrer Institutionen.
Es war ein Dauerthema in Tomas Spahns Gesprächen mit Kollegen und Freunden: die Gefährdung der Institutionen unserer Gesellschaft durch Trivialisierung und infantile Reformiererei, die gar nicht erkennt, woran sie da herumreformiert. Er versuchte, das Große als groß anzusehen und das Kleine als klein. Sein Tod fällt in eine Zeit, in der ein deutscher Bundeskanzler behauptet, mit der Wärmepumpe den Klimawandel aufhalten zu können. Die Ameise versucht, dem Elefanten den Sprung durch den brennenden Reifen abzuringen?
Dass das ein Hamburger sagt, hat ihn, den Hanseaten, am meisten gewurmt: die Unfähigkeit, die Dimensionen der Welt wahrzunehmen. Der junge Tomas Spahn war ein spätbürgerliches Kind. Mit 16 Jahren war er bei der Jungen Union und hat dabei geholfen, dass die SPD im ewig roten Hamburg nicht zur von ihr ersehnten Ruhe kam. Zwischendurch hat er damals schon ein paar Häuser verkauft und kam zu Zeiten des Eisernen Vorhangs mit einem alten Auto bis weit nach Jugoslawien, wo seine Mutter lebte. Die Besonderheiten von Kultur, von Architektur bis hin zu den Lebensweisen waren der Schlüssel für ein einzigartiges und unabhängiges frühes Weltverständnis. Das war bürgerlich im Wortsinn. Der Slogan eines Aufklebers von 1989 „Black is Beautiful“ geht auf ihn zurück, den damaligen stellvertretenden Landesvorsitzenden der Jungen Union in Hamburg.
Als langjähriger Wahlkampfmanager des EU-Abgeordneten Hartmut Perschau und Berater des damaligen ersten frei gewählten Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Prof. Dr. Alfred Gomolka, hatte Spahn nicht gezögert, sofort nach „Meck-Pomm“ zu gehen, dort Wahlkampf zu machen und die Verwaltung mit aufzubauen. Er war es auch, der im Nordosten der Wendezeit die erste bürgerliche Partei, die FDU, später DSU und die Junge Union aufbaute. Spahn arbeitete journalistisch als politischer Redakteur für die „Hamburger Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“, den „Berliner Kurier“ .
Als Kommunikationsberater gehörten Töchter der Lufthansa, der Deutschen Bahn sowie mittelständische Unternehmen zu seinen Kunden.
Mitte der Nuller-Jahre zog er sich aus der Consulting-Tätigkeit zurück und konzentrierte sich auf die Publikation von politologischen und historischen Analysen.
1989 gründete er die Forschungsgemeinschaft „Ethik und Politik“ als Zusammenschluss wissenschaftlich und öffentlich Tätiger, der er seitdem ehrenamtlich vorsteht und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, nonkonformistische Analysen ebenso zu publizieren, wie jungen, wissenschaftlichen Talenten ein Forum zur Publikation zu geben. Aus diesem Pool schöpfte er, wenn er für TE zur Feder griff. Er war ein begnadeter Netzwerker und transportierte Erkenntnisse in die Öffentlichkeit, bereicherte TE mit ungewöhnlichen Sichtweisen. Er war damit Kopf eines bürgerlichen Think-Tanks, den es so kaum ein zweites Mal gibt jenseits der platten parteipolitischen Stiftungshuberei.
Und dann war da das Biblikon-Projekt: Was ist wahr an der Geschichte, wie sie uns in der Bibel erzählt wird, und was ist Legende? Seine Grundkritik: Seit Jahrhunderten tut die Geschichtswissenschaft so, als seien die Erzählungen der Bibel reale Geschichte. Doch es gilt auch dabei: Verfügt man nur über eine Quelle, dann ist das so, als verfüge man über keine Quelle. Daher die Frage: Was aber ist Fakt, was Fabel?
Spahn ging dieser Frage über einen Zeitraum von mehreren Jahren beharrlich nach. Sein Vorgehen veröffentlichte er in einem Gesamtwerk von rund 1.200 Seiten unter dem Stichwort „Das Biblikon-Projekt“. Die Ergebnisse sind geeignet, auf den Kopf zu stellen, was wir bislang über die Bibel und über die Entstehung des Monotheismus zu wissen glaubten. TE wird in einer mehrteiligen Serie seine Überlegungen zu Wort kommen lassen.
Spahn war intellektuell und streitbar und hat Widerspruch provoziert. Da durften Gegner nicht zimperlich sein; so wie er selbst Wehleidigkeit auch nicht kannte. Viele Leser folgten seiner Sichtweise auf Putin und den Ukraine-Krieg nicht, bei dem er eindeutig die Verantwortung in Moskau sah und in Kiew trotzdem Schwächen benannte. Aber immer galt: Seine Analysen über den aktuellen Stand waren nie getrübt vom Wollen, sondern immer geprägt von Weitsicht und Analyseschärfe. Das hat ihn nicht beliebt gemacht; denn manche erwarten, dass geschrieben wird, was sie sich erhoffen. Derartige Gefälligkeiten waren von Spahn nicht zu erwarten, solchen Erwartungen konnte er schroff und verletzend begegnen. Leitmotiv war das Bekenntnis zur Suche nach Wirklichkeit-Wahrheit-Wahrhaftigkeit. Immer und immer. Der jeweilige Frontverlauf bestätigte ihn und seine Prognosen.
Er konnte aufbrausend sein, stürmisch, unversöhnlich mit dicken Wolken – und gleich im nächsten Augenblick wollte der Himmel wieder aufreißen bei strahlendem Sonnenschein. Kontrastreich. Intellektuelles Armdrücken und freundschaftliches Händeschütteln lagen ganz nah beieinander.
Nun leben wir am Rande einer wüsten und leeren Fläche, auf der einst ein großer Baum seine Äste in alle Richtungen streckte und das Licht suchte. Möge er es für sich gewonnen haben. Wir sind dankbar für den Streit, das Lachen, das Lernen, das Miteinander und seine Mitarbeit. Wir werden ihn sehr vermissen.