Die Pleite von Lehman Brothers – schon wieder fünf Jahre her? Seither lösen Krisen die Krise ab. Wir leben gar nicht so schlecht damit.
Damals drohte der Welt der Kältetod. Am Morgen danach, so ernst zu nehmende Befürchtungen, könnten selbst die Banken geschlossen bleiben, und die Geldautomaten weigern sich, die Karte einzulesen. Die Verletzlichkeit unserer Welt, ihre Vernetzung und Verästelung bis in jedes Portemonnaie beförderte ein Gefühl der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins. Wer an eine dienende Funktion der Banken geglaubt hatte, sah sich mit einer neuen Bedeutung des alten Kampflieds der Arbeiterbewegung konfrontiert: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Leider gehörte der starke Arm dem Boni-Banker, seither Hassobjekt von Politik und Öffentlichkeit. „Spring doch“, haben sie den selbst ernannten „Masters of the Universe“ zugerufen, wenn sie sich in den Fenstern der gläsernen Türme zeigten. Die Tünche der Zivilisation war so dünn wie deren Verantwortungsbewusstsein.
Und am Tag danach? Hektische Aktivitäten der Regierungen, weltweite Stützungsmaßnahmen und Konjunkturspritzen, getragen auch von Staaten, die sonst jahrelang um nichtssagende Details in nichtigen Absätzen unwichtiger diplomatischer Kommuniqués streiten. Abwrackprämie, Straßenbauprogramme und Kurzarbeitergeld sollten das Überspringen auf Arbeit und Beschäftigung verhindern. Das gelang sogar ganz gut. Nur Opel und Karstadt liegen noch heute im Dauerkoma. Seither gibt die Politik mit einer moralisierenden Regulierung den Takt vor, obwohl sie mit lockerer Geldpolitik und Schuldenmacherei zum Systemversagen beiträgt.
Dabei hat Deutschland zwar viel Geld verloren, das von Banken und Landesbanken mit Zustimmung politischer Aufsichtsräte in US-Hypothekenpapiere verschleudert wurde. Aber getroffen wurden wir von einer anderen Wirkungskette: Die Entwertung der Immobilien in den USA führte zum Ausfall dieser Konsumgroßmacht, die für ein Viertel der Weltnachfrage steht. In der Fabrik der Welt, die am Perlfluss-Delta Chinas raucht, standen daraufhin die Bänder, und damit sank auch die Nachfrage nach Fabrikausrüstung aus Deutschland. Trügerisch war die Hoffnung, dass die globalisierten Märkte Schwankungen ausgleichen. Krisen wandern um den Globus und gewinnen dabei an zerstörerischer Kraft, statt abzuflauen. Alle hängen an allen, selbst die griechische Zwergenwirtschaft wuchert zum Großproblem.
Und heute? Die Finanzkrise mutierte wie ein bösartiges Virus zu einer Staatsschuldenkrise und schließlich zur Euro-Krise. Manche befürchten, dass nun doch die Wachstumsländer wie China, Brasilien und Indien eine Pause einlegen.
Erstaunlich, dass Deutschland bisher fast unberührt durchmarschiert, als sei seine Exportmaschine teflonbeschichtet. Diese Stärke wird von außen deutlicher wahrgenommen als in der Binnensicht. Unter der Oberfläche aber haben sich tektonische Platten verschoben. Für Anleger ist das Zeitalter multipler Risiken angebrochen: Triple-A-Papiere verwandelten sich in Schrottanlagen; unkaputtbare Banken wurden zu Geldfallen, solide erscheinende Immobilien wertlos. Selbst die Einlagensicherung der Banken ist seit dem Fall Zyperns wackelig. Die Zinsen bleiben niedrig, weil nur so die Staatsschulden tragbar sind. Die sogenannte „Financial Repression“ verwandelt Sparer zu Sparschweinen in der Hand der Finanzminister, und früher auskömmliche Anlagen wurden zu Wertvernichtungsaggregaten. Es gibt keine Inflation, aber wenn das Vertrauen in die Geldwertstabilität doch noch schwankt, steht der Stoff für eine Superinflation bis zur Zerstörung des Geldwesens bereit. Staatskredite kaufen keine bessere Zukunft mehr, sondern finanzieren nur das Heute.
Ist das alles erst fünf Jahre her oder gefühlte 15? Krise ist kein Kairos, kein Moment der Entscheidung mehr, sondern ein Dauerzustand, in dem man sich einrichtet und den man verwaltet. Das Gute daran: Krisen werden nicht gelöst, sondern abgelöst. Und es geht trotzdem weiter.
(Erschienen auf Wiwo.de am 07.09.2013)