Ein Satz aus Steinmeiers Grundatzrede zum 75-jährigen Jubiläum des Herrenchiemsee-Konvents hat die breite Öffentlichkeit erreicht. Er lautet: „Kein mündiger Wähler kann sich auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen“, sagte Steinmeier
Es gilt das gesprochene Wort
Dieser Satz wurde über dpa verbreitet, in fast allen Tageszeitungen, die sich ja fast ausschließlich auf die halbamtliche Nachrichtenagentur stützen, wurde der Satz so wiederholt. Auch bei TE. Der Grund dafür: Genau so ist der Satz auch wiedergegeben: Auf der amtlichen Webseite des Bundespräsidialamts; auch da steht „kein mündiger Wähler“.
Gesagt hat er aber etwas anderes. Folgt man den diversen Übertragungen dann sprach er nicht vom „Wähler“, sondern von „Bürgern“. „Kein mündiger Bürger“, das ist seine wörtliche Formulierung.
Wie ist der Widerspruch zu erklären, und was macht ihn so folgenreich? Zunächst: Reden werden meist vorab veröffentlicht mit dem Zusatz: „Es gilt das gesprochene Wort“. Das gibt Journalisten die Möglichkeit, ihre Berichte zu schreiben und an die Redaktionen zu senden und zeitgleich mit der Rede die Leser zu informieren.
Frühere Qualitätsjournalisten verfolgten trotzdem die Rede mit spitzem Bleistift, um das „geschriebene Wort“ mit dem „gesagte Wort“ zu vergleichen und korrekt zu berichten. Allerdings auch, um Abweichungen zu bemerken und daraus Schlüsse zu ziehen: Warum weicht der Präsident vom Text einer Rede ab, deren Inhalt mit ihm besprochen worden war, die Juristen und Mitarbeiter gegengelesen haben und die er selbst vor der Rede zu Gesicht bekommt und überfliegt? Korrekturen in letzter Sekunde sind nichts Verwerfliches. Sie werfen aber ein grelles Licht auf die damit verbundenen Implikationen. Die simpelste ist, dass kaum ein Journalist noch mehr kontrolliert, was ihm vorgesetzt wird. Aber über Qualitätsjournalismus soll hier nicht diskutiert werden.
Die Frage ist, was bedeutet diese Abweichung?
Was wollte Steinmeier sagen?
Zunächst: Steinmeier hat nicht von der AfD gesprochen. Seine Ausführungen wurden allerdings übereinstimmend und ohne Dementi des Bundespräsidialamts so verbreitet; also zumindest wohlwollend geduldet. Die LINKE, deren Untergliederungen zum Teil vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wurde nicht genannt. Es geht also wohl doch um Wähler der AfD oder jene Bürger, die diese Partei tragen, ob wohlwollend oder als letztes Mittel des Ausdrucks von Protest, als Mitglieder, Besucher von Veranstaltungen usw..
Diese Gruppe wird von Steinmeier in die Nähe von Kriminellen gerückt. Er spricht von „mildernden Umständen“, die ihnen nicht gewährt werden können. Es ist ein überholter, aber gebräuchlicher Satz. Früher benannte man so persönliche oder sonstige Umstände, die das kriminelle Gewicht einer Straftat oder die Schuld des Täters mindern und deswegen die regelmäßige Strafe als zu streng erscheinen lassen; heute durch den Begriff des „minder schweren Falls“ ersetzt. Im Paragraph 49 des Strafgesetzbuches wird eine Liste der Strafmilderungen aufgeführt. So kann eine an sich lebenslängliche Haftstrafe auf mindestens drei Jahre verkürzt werden, wenn solche Umstände vorliegen: Alkohol, Geständnisse und Selbstanzeigen. In jüngerer Zeit wird bei „Flüchtlingen“ davon ausgegangen, dass sie sich gemäß der Normen ihrer Heimatländer verhalten, wo Vergewaltigung nicht sehr hoch bestraft wird.
Das ist also das Feld, in das der Bundespräsident die von ihm genannten Bürger/Wähler stellt: Für sie gilt das volle Strafmaß. Die wie auch immer geartete Nähe zur AfD ist kein „minder schwerer Fall“. Steinmeier ist Volljurist und im Amt von Volljuristen umgeben. Er kennt diese Begrifflichkeit; dahinter steckt erkennbare politische Absicht.
Wähler und Bürger
Aber warum unterscheidet er dann in letzter Sekunde zwischen „Wähler“ und „Bürger“? Ein aufmerksamer TE-Leser hat uns darauf aufmerksam gemacht. Über die Gründe sind wir auf Vermutungen angewiesen. Bürger ist ein allgemeiner Begriff, und insoweit schwammig. Nimmt man es streng, meint er damit – ja, wen: Jeden, der irgendwie die AfD unterstützt? Reicht auch schon, bei einer Meinungsumfrage anzugeben, die AfD wählen zu wollen? Ein Parteiverbot bezieht sich auf Mandatsträger der Partei; die meint „Bürger“ also nicht; sonst hätte er den engen, präzisen Begriff gewählt. Also, wer sind diese ominösen, kriminellen Bürger? Worin besteht ihre Tat, für die es keine mildernden Umstände geben kann?
Man verliert sich schnell im Ungefähren.
Vermutlich deshalb hat Steinmeier den Notausgang gewählt und vom unbestimmten Bürger gesprochen. Hätte er Wähler gesagt, kämen ja die Reste der kritischen Öffentlichkeit wie etwa TE auf weiterführende Gedanken. „Nicht nur um die AfD geht es, sondern um Wähler, die „falsch“ wählen, wobei der Bundespräsident neuerdings über falsch und richtig richten will.“
Vor allem stellt sich sofort die Frage: wie erkennt man denn, dass Wähler „kriminell“ gehandelt, also die falsche Partei gewählt haben? Noch gibt es ja freie Wahlen in Deutschland. Bislang erfüllt die AfD alle Voraussetzungen dafür. Das Bundesverfassungsgericht als alleiniger Entscheider hat bislang die AfD nicht verboten. Die Partei ist daher zur Wahl zugelassen. Und trotzdem machen sich ihre Wähler eines kriminellen Vergehens schuldig? Wollte Steinmeier vermeiden, dass ihm zwei ungeheuerliche Dinge unterstellt werden: dass er die Regelungen des Grundgesetzes über freie Wahlen unterlaufen will? Sollen zukünftig die „geheime“ Stimmabgabe überprüft werden, um diese Kriminellen zu erwischen? Ein „Verbot“ ohne Verfolgung ist sinnlos. Also nun, was wollen Sie den Menschen genau sagen, Herr Steinmeier?
Das Verfahren läuft
Das mag beim ersten Lesen als weit hergeholt erscheinen. Aber der Präsident ist der oberste Repräsentant dieses Staates. Er ist an das Grundgesetz gebunden. Da ist es recht und billig, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und zu hinterfragen. Das ist die Aufgabe jedes Journalisten.
Dass dies nicht mehr so wahrgenommen wird – vermutlich hat Steinmeier damit gespielt. Das Wort von den „Wählern“, denen es an den Kragen gehen soll, ist da. Es wurde verbreitet, gedruckt, gesendet.
Die Berliner Blase hat es trotzdem verstanden – und treibt das Thema weiter. Der Präsident habe ein Verbot der AfD gemeint; nur: „Deutlicher darf der Präsident, der über den Parteien steht, kaum werden“, mutmaßt der SPIEGEL. Also um ein Verbot geht es – der Partei. Den nächsten Schritt geht Axel Steier, Chef der Schlepper-Organisation „Mission Lifeline“. Er will Deutschland mit der Zuführung von „Flüchtlingen“ aus Afrika endlich von dieser Dominanz der „Weißbrote“ befreien. Das darf er heute als einer, der für das Außenministerium Afghanen das Flugticket nach Deutschland aushändigt. Aktuell schreibt er:
„Im Land der Täter*innen sollte es kein Tabu sein, die AfD zu verbieten & das Führungspersonal einzusperren. Auch wenn dadurch 20-40% der deutschen Wähler*innen um ihre ‚Meinung‘ gebracht werden, die Verfolgung von Nazis ist nach wie vor ein Dienst an der gesamten Menschheit“.
Es ist eine entfesselte Runde, die da loszieht. Der SPIEGEL macht noch eine feinsinnige Unterscheidung zwischen Mandatsträgern und Wählern. „Die könnten ihr Kreuzchen bald darauf bei geläuterten Alternativen machen – solche Nachfolgeorganisationen wären erlaubt.“ Großzügig, „Kreuzchen“ sind den Wählern dann noch erlaubt.
Folgt man der Rede zum Jubiläum des Grundgesetzes, wird einem Angst und Bange, wie hier mit den elementarem Recht der freien und geheimen Wahl und der Freiheit der Parteigründung umgegangen wird.
Nur der Herr Präsident wäscht seine Hände in Unschuld. Er hat es doch gar nicht gesagt, was regen Sie sich auf?