Alle Räder stehen still, wenn sein starker Arm es will: Sigmar Gabriel hat für die SPD die gesamte Wirtschaftspolitik erobert.
Nach Ludwig Erhard wurde das Bundeswirtschaftsministerium zum Rede-Amt: Mit der Kraft des marktwirtschaftlichen Arguments sollte es ein Gegengewicht zu den Umverteilungsministerien schaffen, ohne wirklich harte Kompetenzen für die wirtschaftliche Vernunft fechten.
Sigmar Gabriel als neuer Wirtschaftsminister hat das geändert. Mit der Zuständigkeit für Energie, Stromnetze, für die „Digitale Agenda“ sowie Luft- und Raumfahrt hat er sich ein industriepolitisches Schlüsselministerium geschaffen. Angela Merkel hat die Energiewende erfunden und dann zugesehen, wie ihre CDU-Minister sie gründlich vermurkst haben: Von Tag zu Tag rückt der Erfolg weiter weg, wird es teurer, unsicherer, bedrohlicher für Arbeitsplätze. Und es wird schmutziger, denn der CO2-Ausstoß steigt. Gabriels Rezept ist schlicht: mehr Kohle und Gas. Das sichert Arbeitsplätze an Rhein und Ruhr und in der Lausitz, wo Braunkohle gefördert wird. Er hat sich abgesichert: Drei grüne Staatssekretäre dämpfen den ökologischen Unmut – und im Bundesumweltministerium wacht Barbara Hendricks von der NRW-Kohlefraktion darüber, dass dort der Widerstand gegen die Rückwende nicht zu laut wird. Gabriels Erfolg ist jederzeit in Zahlen messbar: Bleiben die Jobs und sinkt der Strompreis, gebühren ihm Lob und Preis für die ökonomische wie ökologische Rettung der Republik.
Ebenso gewaltig ist seine zweite Aufgabe: die Durchsetzung wirtschaftlicher Vernunft gegen seine spendierfreudigen Wohlfühl-Ministerinnen. Erste Kostproben hat die neue Arbeitsministerin Andrea Nahles schon geliefert: Mindestlöhne auch für Praktikanten und wohl auch für Auszubildende. Das duale System der Berufsausbildung wäre am Ende. Zu verlockend sind die – nur gefühlt – vollen Rentenkassen. Frauenministerin Manuela Schwesig hat ihr Politikverständnis eher unabsichtlich offenbart: „Am Ende muss Geld rauskommen“ – selbstverständlich immer das Geld der anderen. Das für die soziale Marktwirtschaft konstituierende Austarieren zwischen Erwirtschaften und Verteilen erfolgt nun in den SPD-Spitzengremien. Und Gabriel hat noch weitere Wirtschaftskompetenz zusammengerafft. Nackt steht Bauernminister Hans-Peter Friedrich in der Lederhose herum – der dazugehörende Laptop ruht indes auf Gabriels Schenkeln. Und Alexander Dobrindt ist Maut-Versuchsminister und darf die Breitbandkabel verbuddeln, deren Inhalt aber kontrolliert – Gabriel. Horst Seehofer und die CSU entpuppen sich als Scheinriesen. Sie schrumpfen, schaut man sich die entkernten Ministerien der CSU näher an.
Zwar tröstet sich die Union mit Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er soll die Banken bändigen, den Euro retten, Schulden abbauen und die Vermögen- und Erbschaftsteuer verhindern. Das sind heroische Aufgaben. Aber diese Rolle offenbart ein seltsam etatistisches Wirtschaftsverständnis. Vor allem aber soll Herkules Schäuble alle Ideen Gabriels und seiner SPD schreddern – so wie er die FDP zerstört hat. Das mag bei den gelben Leichtmatrosen geklappt haben, aber bei einem politischen Tier wie Gabriel und seiner Allmacht? Unternehmer wissen, dass ihr Wohl in den verästelten Äderungen der Fachressorts entschieden wird. Also fühlen sie sich beim Managerkreis der SPD besser aufgehoben als bei den Wirtschaftsorganisationen der Union. Die müssen draußen vor der Tür warten. Jetzt rächt sich: Die Union hat die Wahl gewonnen und dann die Fahne der Wirtschaft weggeworfen wie einen nassen Spüllappen. Auch in Hessen: Dort wirft sie den Wirtschaftsmotor Flughafen den Grünen als Spielzeug hin.
So steht Gabriel vor der Wahl: Er kann die geballte Wirtschaftsmacht in seiner Hand so links wie Frankreichs Präsident François Hollande einsetzen. Dann treffen sich Deutsche und Franzosen auf dem Arbeitsamt. Oder er orientiert sich an Gerhard Schröders Wirtschaftsverständnis – und setzt sich damit gegen Merkel durch. Kann er Wirtschaft? Dann kann er Kanzler.
(Erschienen auf Wiwo.de am 20.12.2013)