Tichys Einblick
Zeitungssterben

Schwarzes Jahr für Medien – aber nicht für alle

Das Jahr 2019 wird ein schwarzes Jahr für Zeitungsverlage und Medienunternehmen. Ihre innere Schwäche lässt sich nicht mehr überdecken; weitere Zusammenbrüche sind unvermeidlich.

imago/Future Image

Der reitende Tod.
Man schaut geschockt oder amüsiert nach Köln, wo der Karneval tobt und mit den Pferdeäpfeln und dem Kehricht der Verlag Neven duMont weggeräumt wird. Man lasse Optionen prüfen, zu denen auch der komplette Verkauf der Zeitungsgruppe gehört, heißt es; der Kölner Stadtanzeiger, die Kölnische Rundschau, der Express, die Hamburger Morgenpost, die Berliner Zeitung und die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle sollen verkauft werden. Im schönsten Managerkauderwelsch spricht man von „Handlungsoptionen“. Das ist Blabla wie die Vokabel „Verkauf“. Die Zeitungen werden nicht verschenkt. Wer sie nimmt, erhält Cash. Es ist eben wie bei einer richtigen Beerdigung; da verdient auch der Bestatter. Aber es geht nicht nur um Köln, um Zeitungen; es geht um Zeitschriften, eine ganze Branche, auch Online. Es muss gestorben werden. Und es wird gestorben; wie einst in Flandern reitet der Tod; das hohläugige Grinsen mit einer bunten Narrenkappe verschönt.

Der Heldenfriedhof.
Bei der Funke-Mediengruppe (dazu gehören u.a. das Hamburger Abendblatt, die Braunschweiger Zeitung, die Thüringer Allgemeine Zeitung oder auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung) sollen bis zu 400 Stellen gestrichen werden; meist fängt es ja mit kleineren Zahlen an und endet bei großen. Man überlegt, in den Dörfern Thüringens den Vertrieb einzustellen; Mindestlöhne für Zeitungsausträger und die damit verbunden Notwendigkeit, die Schritte der Zusteller zu vermessen um die Einhaltung des Mindestlohns sicherzustellen – der Todesstoß. Früher hat man einem rüstigen Opa einen Fuffi in die Hand gedrückt und er hat dafür gerne ein paar Zeitungen ausgetragen – heute ein Fall für das Arbeitsgericht, wer will das schon?

Bei der Verlagsgruppe Handelsblatt wird der Firlefanz beendet, den der nicht größte, aber vollmundigste Zeitungsmanager aller Zeiten, Gabor Steingart, gegründet hat: Global Edition geschlossen; Meedia verkauft, 10 Prozent der Belegschaft von Handelsblatt und Wirtschaftswoche „abgebaut“, also gefeuert; auch der Handelsblatt-Club, so hört man noch unbestätigt, soll weg. Das ist insofern bemerkenswert, weil Handelsblatt und Wirtschaftswoche ja lange mit Qualität geworben haben. Davon ist seit Steingart nichts mehr übrig, der Rest kann weg, digital wurde verschlafen, da gibt es weder Innovationen noch Lesenswertes. Nur Sprüche. Die Frankfurter Rundschau, mal groß, jetzt mickrig, wurde zusammen mit der Frankfurter Neuen Presse erneut verkauft; diesmal von der FAZ-Gruppe an den Verleger Ippen („Münchner Merkur“). Ein Notverkauf. Der Rest ist Schweigen. 62,5 Prozent der Süddeutsche Zeitung wurden 2007 für eine halbe Milliarde verkauft; heute würde man sie voraussichtlich für 20 Pfennig kriegen, wenn man auch ihre roten Zahlen mitnimmt. Die wirtschaftliche Realität steht in auffälligem Kontrast zur arroganten Selbsteinschätzung der Kaputtschreiber. Glücklich und klug ist, wer eine Tageszeitung rechtzeitig verkauft hat. Dumm dran ist, wer gekauft hat. Sie leben noch, diese Zeitungen, weil wegen des deutschen Arbeitsrechts die Abwicklung zu teuer ist. Jahrzehntelang Beschäftigte können nur mit extrem hohen Abfindungen entlassen werden. Deswegen scheitern derzeit Verkäufe. Niemand hat die Kohle für die Stilllegung von Druckzentren, Bürokratien und Redaktionen. Daher ist es ein Sterben auf Raten. Hier ein paar Kündigungen, Hoffnung auf natürliche Fluktuation, billige Volontäre, die Todesspirale dreht sich. Quälend und ständig die Qualität reduzierend. Das hat niemand verdient, weder Leser noch Mitarbeiter.

Totgesagte leben länger.
Warum werden die Gruppen Funke, Neven DuMont, Handelsblatt genannt? Funke ist eine Art Rettungsboot, in dem die schon lange an Leserschwund kränkelnde Presse des Ruhrgebiets zusammengepackt wurde; die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) aus Essen und die NRZ und dutzende Erwerbungen und Zeitungen und Titel, ein Schwerpunkt auch in Thüringen und anderswo. Axel Springer hat erst 2013 seine Keimzelle, das Hamburger Abendblatt, die Berliner Morgenpost und viele Zeitschriften (Hörzu, TV Digital, Funk Uhr, Bildwoche, TV neu, Bild der Frau, Frau von heute) an Funke verkauft. Immerhin für 920 Millionen. Ein kluger Deal für Springer; 920 Mio. € in der Tasche, damit lässt sich digital viel machen. Funke wollte mit Masse gewinnen. Die Rechnung geht aber nicht auf. Bei Springer blieben nur die Tageszeitung Welt, die schon Jahrzehnte kränkelt, deren Ende immer wieder prognostiziert wurde und die beweist: Totgesagte leben länger. Wenn ein Verleger Geld hineinpumpt, das er anderswo verdient. Irgendwie.Und irgendwie versucht die Welt die Kurve zu kriegen, wenn auch unentschlossen: Man spürt den Phantomschmerz, der den Chefredakteur plagt, weil er im rotgrünen Milieu nicht mehr so geliebt wird wie vorher. Ds ist der Preis, der zu zahlen ist. Die Bildzeitung hat ihre Auflage vom historischen Höhepunkt bis heute in etwa geviertelt und ein mutiger Chefredakteur, dem die Schimpfer aus dem Milieu rot-grün eher egal sind, versucht, die Fehler seines Vorgängers zu korrigieren, der nicht mehr von seinen Lesern, sondern vom Presseamt geliebt werden wollte. Das könnte auf niedrigem Niveau gelingen; bei Bild am Sonntag laufen die Leser schneller weg, als man zählen kann. Noch ist zumindest BILD profitabel und sucht wieder den Beifall der Leser statt den der Kritiker. Ein interessantes Experiment. Bild am Sonntag hat die Signale überhört und macht weiter wie bisher; vom Weg abgekommen wird das Tempo auf dem Weg ins Reich des Grauens einfach erhöht. Grauenhafte Zahlen sind auch da der Preis für Ignoranz. Macht nix. Noch ist Geld in der Kasse. Es wird schon bis zum Rentenbeginn reichen.

Digitale Grabsteine.
Schnell ist man mit dem Wort Printkrise dabei. Tageszeitungen sterben überall, was soll’s? Es wird aber auch digital ins Gras gebissen. Huffington Post in Deutschland – ersatzlos weg. Buzzfeed, an Karneval kann man das ja mal als Medium sehen und nicht als virtuelles Gummibärchen, werden Hunderte auf die Straße geworfen wie in Köln Kamelle; insgesamt 15 Prozent seiner Stellen. Und auch Vice muss 250 seiner insgesamt 2.500 Mitarbeiter entlassen. Wie man im Internet Geld verdient hat diese Branche so wenig gelernt wie deutsche Zeitungsverleger. Dabei ist es ganz einfach: Mühsam. Kleinklein. Wie eben jedes ehrliche Geschäft. Aber wer will sowas schon, wenn es Investoren und Altverleger gibt, denen man in die Kasse greifen kann wie ein sprichwörtlicher Gabor?

Spanische Grippe.
Hat die Medienbranche die spanische Grippe? Wie immer addieren sich viele Gründe und wo sie zusammenkommen, lauert der Tod. Bei Neven DuMont katastrophale Managementfehler. Ich habe es nicht geglaubt, nicht glauben wollen, als mir damals einer der Manager seelenruhig erklärte, dass in fünf Jahren Schicht im Schacht sein werde. Zu teuer, keinerlei Modernisierung, wachsender Kapitalbedarf, Kohle längst raus bei den Erben. Wenn die Erben von Familienunternehmen sich gegenseitig blockieren, nicht engagieren – dann ist das der Worst Case. Die Stärke von Familienunternehmen wie langfristiges Denken schlägt dann in den schnellen Tod um, wenn sich Erben prügeln oder das Erbe verdummen oder wenn Opa zu lange festhält, weil er zu Recht fürchtet, dass sich die Erben prügeln und verdummen. Im Printgewerbe geht es natürlich auch um eine Strukturkrise. Früher las man in der U- und S-Bahn Zeitung, heute ist das Papier verschwunden. Daran ist nicht zu rütteln und nichts zu ändern. Es muss gestorben werden. Aber ist das der einzige Grund?

Multiples Organversagen.
Die Kölnische Zeitung ist der Vorgänger des Kölner Stadtanzeigers. Sie transportierte die Ideen der französischen Revolution nach Köln. Berittene Boten stellten die Verbindung nach London her, weswegen man sie die deutsche „Times“ nannte und sie war mit der jeweils modernsten Technik ganz vorne. Das waren noch Verleger! Nach 1945 wurde sie zum Stadtanzeiger, der schnell die Spitznamen „Stadtverschweiger“ und „Stadtanzünder” erhielt. Ein biederes Billigblatt, einfallslos gemacht, weil der Patron, Verlagserbe Alfred Neven DuMont keinen Ärger in seinem Bezirk wollte, selbstherrlich reinregierte und alles, aber auch alles vermied, was als Kritik am sprichwörtlichen Kölschen Klüngel hätte verstanden werden können, dessen Teil er selbst war. Die Zeitung blieb, wie auch die ganze Stadt, entschieden unter ihren Möglichkeiten. Zuletzt bezog sie ihren politischen Teil zu ganz wesentlichen Teilen aus Hannover. Dort sitzt die Madsack-Gruppe, die das Redaktionsnetzwerk Deutschland betreibt und rund 50 Zeitungen mit einem Einheitsbrei beliefert. Bundesweit kriegt man in Leipzig, Hannover, Köln, Berlin  und wo auch immer eine Art mediales Goulasch, immer zäh, gefärbt bis zum Grün des Schimmels, von gestern oder vorgestern, die Bezeichnung Kantinenfraß beleidigt jene Kantinenwirte, die sich um ihre Esser bemühen und kümmern. Jedenfalls sollte dieses Lese-Risiko im Beipackzettel erwähnt werden. Wer will das schon? Das gilt auch für andere Ketten, die sich bilden – etwa die Funke-Gruppe – und Einheitsmodule durch die Presselandschaft kippen, wenn auch nicht ganz so einseitig wie RND. 

Die Hoffnung mehrerer Zeitungsgruppen, eine Zeitung für ganz Deutschland geht nicht auf. Vereinheitlichung klappt nicht im Zeitalter der Vervielfältigung. Der Kölner Stadtverschweiger steht für den konsequenten Niedergang einer Zeitung zwecks Maximierung von Faulheit und Gier und schlussendlicher Auslieferung an eine Buchstabenabfüllanlage. Kein Wunder, dass die Leser das nicht mitmachen. Sie sind nicht so blöd, wie man mancherorts meint. Wenn Zeitungen eine Zukunft haben, dann durch ihre regionale und lokale Prägung. Das will man lesen, was in der Stadt passiert, in seiner Gegend. Die Zeitung muss für die Stadt kämpfen, die Interessen der Bürger vertreten. Einheitsbrei aus Berlin oder Hannover? Das kann weg.

Der Internet-Tod.
Aber auch im Internet ist nicht alles schlau, was sendet. In den USA haben sich riesige Plattformen gebildet wie Vice und Buzzfeed oder Huffington Post, weltweit aktive. Wie Amazon eben. Oder Apple. Und genau das funktioniert nicht. Plattformen wie Amazon neigen dazu, eine Art Monopol zu erringen – wer groß ist, wird der Größte und zieht das gesamte Geschäft an sich. Jedenfalls beim Handel mit Tierfutter und Kühlschränken. Die Idee von großen Investmentbanken nun war, solche Medienplattformen schaffen zu wollen. Die weltweite Huffington Post! Alle baff vor Buzzfeed! Hunderte von Millionen wurden in diese Plattformen gesteckt. Es hat nur nicht funktoniert. Es entstanden diese Katzenbild-Sender, niedliche Kätzchen. Rennt wie verrückt, Reichweite toll, Werbeindustrie begeistert. Leider nicht besonders lange. Buzzfeed von heute ereifert sich darüber, dass die Parteien ihre Mitglieder als Mann, Frau, aber nicht Divers anzeigen. 14 Dinge, die ein Jodler von seiner Freundin lernte und die ich wissen muss. Aha. Nichts langweilt in Medien so sehr wie Wiederholung und Missachtung der Intelligenz der Leser. Sie wenden sich ab. Auch hier gilt: Was in den USA läuft, läuft hier nicht unbedingt. Nur manchmal, und dann anders. Immer daran denken, der Leser denkt mit und buzzzzzzzzzzz.

Blindheit.
Die deutschen Tageszeitungen haben in den vergangenen Jahren ihre Leser aus den Augen verloren. „Fakten, Fakten, Fakten, und immer an den Leser denken!“ Erinnern Sie sich? Markwort? Focus? Ist lange her. Focus und Stern und Spiegel haben ihre Auflagen halbiert, taumeln von historischem Tiefstand zu Tiefstand, der Virus hat längst auch DIE ZEIT erreicht. Egal, ob man Lügenpresse sagt oder Lückenpresse, Mainstream-Medien oder Einheitszeitung, Relotius-Presse oder Systempresse – der Wörter sind viele, oft übertrieben, manchmal bösartig und ungerecht. Aber sie sind Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit den Medien. Sie sind ein Warnsignal. Es wurde konsequent überhört und die Überbringer beschimpft, klar, wer meckert, ist mindestens ein Rechter. Der Herde hat im Pferch erlaubter Meinung zu bleiben. Aber Medien sind für die Leser da, nicht für die Redakteure, die genau das vergessen haben. Zeitungsredakteure sind rot-grün und immer ganz vorn. Derzeit allerdings am Abgrund. Denn die Leser fragen: Warum eine Zeitung oder Zeitschrift kaufen, wenn sie mich beschimpft? Nicht über das berichtet, was mich erschreckt, erschüttert, beschäftigt – warum eine Zeitung kaufen, die jeden Mord als „Einzelfall“ abhandelt, wo doch erkennbar ist, dass viele gleichartige Einzelfälle eine Wahrheit jenseits der Einzelfälle ergeben? Warum sich ständig belehren, beschimpfen, beleidigen lassen – und dafür zahlen? Journalisten orientieren sich am öffentlich-rechtlichen System. Endlich mal Journalismus machen dürfen ohne Zuschauer und Leser! Geld kommt von alleine, man muss es nicht verdienen! Das läuft, das ist toll, da fließt das Gehalt, auch wenn niemand guckt. Staat ist immer toll, da gibt´ ein festes Gehalt und immer eine warme Suppe. Also streben alle nach diesem Ideal der Staatspresse, denn der Staatsfunk hat es so besonders bequem. Und die Forderung nach „Zeitungszwangsgebühren“ ist ja ständig zu hören. Zwang vom Staat statt Kaufbereitschaft der Leser – das ist das neue Ideal in den Köpfen. Erbärmlich.

Fake News.
Brauchen wir Zeitungen gegen Fake-News? Wenn Sie sich umschauen – die Zeitungen und die Zeitschriften sind voller Fake-News. Nehmen wir die Energiefrage. Wo haben Sie mal einen kritischen Text gelesen, dass Nachts die Sonne nicht scheint? Woher der Strom kommen soll, wenn Flaute ist? Wie lange hat man uns traktiert mit den Ärzten aus Syrien, den armen Flüchtlingen aus Marokko und Algerien, und den hilfsbereiten Afghanen, die nie, nie! ein Messer in die Hand nehmen, es sei denn zum Gemüse schneiden? Gelogen, getürkt, gefälscht, von den Lesern zu leicht befunden. Ruhet in Frieden. Die Zukunft gehört kleinen, beweglichen Internetbuden und Verlagen, die bei den Lesern beliebt sind, die moderne Technik einsetzen, statt ihre Museen zu bewirtschaften. Gedruckte Fake-News braucht kein Mensch. Gerade versucht so ein Fake-News-Serienproduzent uns per Anwalt in die Hölle zu schicken, an deren Tor er selbst steht, mit schlotternden Knien. Wie immer schlägt Schwäche in wütende Aggression um. Aber das wird nicht klappen. Unsere Leser haben es kapiert und scharen sich um uns. Es sind die Leser, die woanders davon laufen und uns helfen, die Anwaltskosten zu tragen. Nur so gehts.

Die mobile Version verlassen