Irgendwie verfliegt die Zeit immer schneller, jedenfalls politisch. Kaum haben wir den Bundestag gewählt und gewöhnen uns gerade an die Gespreiztheit des Gefieders unseres Bundesaußengockels, da werden schon wieder die Ausgangspositionen für die nächste Bundestagswahl bezogen. Es geht um Steuersenkungen, das Haupt- und Lieblingsthema der FDP, für viele der Grund, bei der letzten Wahl erstmals bei den Liberalen das Kreuzchen zu machen. Dabei geht es nicht nur um niedrigere Steuern, mehr noch um gerechtere und einfachere. So verweist der Präsident des Bundesfinanzhofs, Wolfgang Spindler, darauf, dass schon der Paragraf 3 des Einkommensteuergesetzes 70 Ausnahmen von der Regel auflistet – bei so viel Mist verstößt das Ausfüllen der Einkommensteuererklärung eigentlich gegen das Folterverbot.
Auch der leistungsfeindliche Mittelstandsbauch im Einkommensteuertarif muss abgeschafft werden. Mit dieser plakativen Forderung ist die FDP in das große Feld der Angestellten und Facharbeiter eingedrungen, die genau wissen, dass das derzeitige Steuer- und Abgabensystem sie und ihre Familien an die Tu-nix-Grenze der Hartz-IV-Bezieher drückt.
Jetzt muss die FDP auch abliefern, was sie versprochen hat – und zwar vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai. Klar ist: Fällt die FDP im bevölkerungsreichsten Bundesland zu weit unter die Zehn-Prozent-Grenze, rupfen die Parteifreunde dem Vorsitzenden das Gefieder. Dann geht schnell wieder die Furcht vor dem Totenglöcklein um, das oft erklang, wenn die FDP einen Bundestagswahlkampf einläutete. Für die FDP sind Steuersenkungen die zentrale Glaubwürdigkeitsfrage.
Politiker sind, wie wir seit Max Weber wissen, Allrounder mit Spezialwissen im Fach Gegnerbekämpfung. Und natürlich hat die Union längst ausgemacht, dass die Blockade der FDP-Forderungen ein sehr probates Mittel ist, die frech gewordenen Liberalen wieder deutlich unter den 14-Prozent-Erfolg der zurückliegenden Bundestagswahl zu drücken.
Auch inhaltlich setzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, im Erstberuf übrigens Finanzbeamter, andere Akzente: Er will nicht als größter Schuldenmacher der Nachkriegszeit aus dem Amt scheiden. Wer rund 70 Milliarden Euro bis 2016 einsparen muss, der achtet auf jeden Euro, und für den sind Gegenfinanzierungsvorschläge wie erhöhtes Steueraufkommen aus höherem Wachstum nur Hoffnungswerte. Außerdem geht er davon aus, dass den CDU-Wählern vor dem Hintergrund des Griechenland-Debakels solidere Haushalte wichtiger sind als Steuersenkungen, die beim Einzelnen ohnehin nur in homöopathischen Dosen ankommen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel scheut den Krach mit denen, deren Steuerprivilegien zugunsten eines einfacheren Systems gestrichen werden müssten. Da hat die Konsolidierung Vorrang vor dem Umbau des Steuersystems.
Schäuble quetscht die Zitronen
Nun wird also gerechnet, gegengerechnet und angerechnet. Folgt man dem Bundesfinanzminister, ist das ursprüngliche Steuersenkungsziel der FDP von 24 Milliarden schon zur Hälfte erfüllt. Und wenn die FDP in der Wählergunst untergeht – zusammen mit der SPD ließen sich aus einer ausgequetschten Zitrone immer noch ein paar Steuertropfen herauspressen; so viel Druck kann nur eine große Koalition erzeugen, glaubt Schäuble.
Die FDP wiederum droht ganz unverhohlen mit dem Scheitern der Koalition, der Obstruktion an jeder anderen Stelle und ist erstmals bereit, etwa die Hotel-Steuerminderung und anderes auf das Gesamtvolumen des Steuersenkungspakets anrechnen zu lassen: Erste Schwächezeichen sind unübersehbar.
So ist das, wenn Bundestagswahl ist – auch wenn vorerst nur in Nordrhein-Westfalen abgestimmt wird.
(Erschienen am 27.03.2010 auf Wiwo.de)