Tichys Einblick
Wahldebakel

Sachsen-Wahl: Blau wählen, schwarz-grün kriegen?

Die CDU bereitet in Sachsen eine schwarz-grüne Koalition vor. Die stößt aber in den ostdeutschen Landesverbänden auf Widerstand und könnte der CDU weiter schaden..

imago images / Emmanuele Contini

In Sachsen und Brandenburg hat der CDU-Wahlkämpfer Hans-Georg Maaßen die Säle gefüllt. Das ist eine Leistung bei einer Partei, die bei Wahlumfragen in Brandenburg bei mickrigen 18 Prozent liegt und in Sachsen nur mit Mühe die 30-Prozent-Hürde erreichen kann. Eine besondere Leistung ist es, genau diesen Wahlkämpfer als unerwünscht zu erklären, wie Sachsens CDU-Ministerpäsident Michael Kretschmer und Brandenburgs CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben es vorführen. Nur weil Sachsen ein freies Land sei, so Kretschmer, dürfe Maaßen dort auftreten. Mehr Überheblichkeit und unausgesprochene Drohung war selten; auch wenn bekanntlich Parteifreund die Steigerungsform von Todfeind ist.

Was steckt hinter dieser selbstzerstörerischen Politik mit kindlichem Trotz, die angesichts der eigenen Schwäche den letzten Trumpf versteckt, statt ihn auszuspielen? Die Antwort liegt in der Suche nach Koalitionspartnern, die schon jetzt beginnt. Maaßen, der die konservative Werte-Union innerhalb der CDU vertritt, steht wohl den Koalitionsplänen der Landesparteien im Wege. Und die orientieren sich nach den Grünen und den Linken.

 Brandenburg: CDU marschiert mit SED-Nachfolgern

Brandenburgs CDU-Häuptling Ingo Senfgelben schließt eine Koalition mit der Linkspartei nach der Landtagswahl am 1. September nicht aus. „Ich strebe keine Koalition mit der Linken an. Ich sehe es aber realistisch: In einer Demokratie muss man ein Stück weit gesprächsbereit bleiben“. Das ist eine weitgehende Festlegung mit weitgehenden Folgen. Denn für viele Bürger in Ostdeutschland ist die Linke schlicht unwählbar – schließlich ist sie die erklärte Nachfolgerin der diktatorischen SED, die unter dem neuen Namen jene Demokratie spielt, die sie vorher bekämpft hat. Gerade für bürgerliche Wähler im Osten ist das ein Tabu – jetzt jene Politik wieder in die Regierung zu bringen, gegen die man einst friedlich revoltiert hat? Senftlebens Öffnung nach Links hat viele CDU-Wähler vor den Kopf gestoßen, und selbst Senftleben muss zugeben, die Linke sei „in Teilen genauso radikal, wie es die AfD ist“.

Inhaltlich hat Senftleben die CDU so weit nach links gerückt, dass die etwa in der Schulpolitik mit den Linken nahtlos zusammenpasst – „Soviel DDR reloaded war nie“, spottet Klaus-Rüdiger Mai über die wiederbelebte Blockpartei CDU, die sich den Linken unterwirft. Schon jetzt ist absehbar: Die Rechnung geht auf, Senftleben hat die CDU zur Mickerpartei geschrumpt, die allenfalls noch als Mehrheitsbeschaffer für eine rot-rot-grüne Koalition taugt. Bei lediglich 18 Prozent steht die Union derzeit, während AfD und SPD sich bei etwas über 20 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz 1 liefern und die Linke in ähnlicher Größenordnung marschiert.

Sachsen: Grüne als Königsmacher für Kretschmer

Etwas anders liegt die Situation in Sachsen. Da ist die bisherige schwarz-rote Mehrheit dahin. Die ist CDU auf eine Koalition mit der SPD, und weil das nicht mehr reicht vor allen Dingen auf Zusammenarbeit mit den Grünen angewiesen. Das Fatale dabei: Nach augenblicklicher Lage rauschen die FDP, aber vielleicht sogar die SPD auf die 5-Prozent-Hürde zu. Selbst wenn die SPD es noch einmal ganz knapp in den Landtag schafft – ein grandioser Wahlsieg sieht anders aus. Eine ums Überleben kämpfende Partei ist kein guter Koalitionspartner, und die Bettdecke ist vorne wie hinten zu kurz.

Mehr denn je ist Kretschmer damit auf die Grünen angewiesen – deren Umfragewerte neuerdings aber auch wieder sinken. Trotzdem will Kretschmer sich offensichtlich den Grünen öffnen. In Sachsen allerdings sind die Grünen nicht so fest verankert wie in den meisten westlichen Bundesländern. Gerade in der CDU lehnen viele die Grünen ab. Für sie ist diese Partei der Repräsentant des arroganten Westdeutschlands, das auf den Osten wie als einen Landstrich mit geistig minderbemittelter Bevölkerung herabsieht. Grün wählen dort die Milieus in Leipzig und Dresden, die aus den Zugewanderten Akademikern, Führungskräften und Beamten gebildet werden: Den Kolonialoffizieren des Westens, die den Zurückgebliebenen zeigen, wo’s langgeht. Der Kohleausstieg, der wirtschaftliche Knock-Out für die dann bettelarme Region, gilt als Opfer, das die CDU den Grünen bringt. Dass versprochene schnellere Zugverbindungen in die Lausitz für ein paar neu angesiedelte Behörden mit DiMiDo-Pendlern, die allenfalls Diensttag, Mittwoch und Donnerstag die Lausitz beglücken, aber den Rest der Woche im Home-Office in Berlin wirken, dass diese Methode also den Ausgleich für industrielle Arbeitsplätze bringt, gilt als leeres Versprechen der rot-grünen Hauptstadt-Schickeria und ihrer Ableger im Osten. Nach einem vorübergehen Greta-hoch sinken daher die Wahlchancen der Grünen im Schlussspurt. Es ist die Folge einer zunehmenden Polarisierung im Wahlkampf zwischen der CDU einerseits und der AfD, die realistischerweise nur wenige Prozentpunkte hinter der Union liegt. In dieser Art von Polarisierung werden kleinere Parteien weiter geschwächt.

Kretschmer Doppelstrategie: Rechts und links verlieren

Kretschmer versucht eine etwas hilflose Doppelstrategie: Knallharte Abgrenzung nach Rechts, deshalb der Angriff auf Maaßen und dessen Werte-Union – und gleichzeitig Vorbereitung einer Öffnung für eine bunte Koalition, in der nach Lage der Dinge die farblosen Grünen den stellvertretenden Ministerpräsidenten reklamieren könnten. Wenn es schiefgeht, weil es die Wähler durchschauen, wird er damit sowohl rechts an die AfD verlieren und gleichzeitig an SPD und Grüne.

Für viele klassische CDU-Wähler ist es ohnehin eine Schreckensvision. Diese Situation kann ihm vielleicht den Posten retten, aber verschärft die Krisenstimmung in der CDU.

Merkels Politik wird zu Kramp-Karrenbauers Niederlage

Die neu Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer wirkt überfordert. Die Parteizentrale ist intellektuell ausgedünnt, nachdem unter Merkel das Kanzleramt die eigentliche Parteiarbeit betrieben hat. Kramp-Karrenbauer scheint gesundheitlich angegeschlagen, sie operiert dilettantisch. Ihr Team erscheint nicht minder überfordert, selbst Interviews werden offensichtlich nicht mehr sauber abgestimmt. Die Parteichefin weiß, dass sie die voraussichtlich verheerenden Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen zu vertreten hat. Wie schon im Europa-Wahlkampf so gibt es auch in den beiden Landtagswahlkämpfen kein sichtbares Engagement der Kanzlerin: Eine vorweggenommene Distanzierung und Zuweisung der Verantwortung der unausweichlichen Katastrophe an Kramp-Karrenbauer. Obwohl über Merkels Politik abgestimmt wird, werden es Kramp-Karrenbauers Niederlagen. Die versucht sich dagegen zu stemmen.

Aus ihrer saarländischer Sicht ist eine schwarz-grüne Koalition eine Art Rettungsring: Der Ministerpräsident hat CDU-Parteibuch, und die schwarz-grüne Koalition gilt dann als Brücke für eine ähnliche Entwicklung im Bund. Denn das sich abzeichnende Desaster in Dresden für die buchstäblich verdampfende SPD wird die Große Koalition in Berlin erneut auf die Probe stellen. Und so treibt Kramp-Karrenbauer ihre Abgrenzung zu den Konservativen in ihrer eigenen Partei auf die Spitze.

Die nehmen es allerdings erstaunlich gelassen. Tatsächlich tendiert ihre Verantwortung für die kommende Wahlniederlage ja gegen Null – sie wollten, aber sie durften nicht. Und gleichzeitig wird die Strategie aus Berlin, die Kretschmer gehorsam mitträgt, immer riskanter. Denn wenn ein großer Teil der Wähler in Sachsen zwar blau wählt, am Ende aber eine grün-schwarze Landesregierung droht, dann könnte diese Erwartung die CDU weiter schwächen.

Spaltung der CDU?

Noch hält die Wahlkampf-Disziplin in der CDU. Intern gilt eine Art Burgfrieden bis zur Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober. Dort führt unangefochten Die Linke, SPD und CDU schrumpfen, die AfD wie auch die Grünen gewinnen. Dass sich an diesem Trend etwas ändern sollte, ist schwer vorstellbar. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Geradezu mythische Erwartungen knüpfen sich an diese letzte Abstimmung über Merkels Kurs in der CDU: Die einen setzen unverdrossen auf ihren Friedrich Merz, der dann endlich wie Kaiser Barbarossa aus dem Kyffhäuser herausreitet und die Partei befreit. Deswegen taktiert Merz erkennbar zwischen den Fronten, um es sich möglichst weder mit Linken noch Rechten zu verscherzen und für alle wählbar zu bleiben. In der Stunde der Not ist allerdings der Kompromiss oft der Tod. Denn auch die Abspaltung des konservativen CDU-Flügels ist mehr als nur ein Gedankenspiel. Zu tief sitzen die Verletzungen der vergangenen Wochen, die Frustration über die Ränkespiele zwischen Vorsitzender und Kanzlerin.

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