Großmutter, was hast du für große Augen! Was hast du für große Hände! Was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ Wie’s ausging, darüber gibt es mehrere Varianten: Bei den Gebrüdern Grimm endet der Wolf mit Wackersteinen im Bauch, in älteren Erzählungen gibt’s kein Happy End. Jedenfalls nicht fürs Rotkäppchen.
Das Märchen passt zum derzeitigen Wahlkampf. Da wird uns derzeit noch eine Wohlfühlveranstaltung vorgeführt, in der sorgfältig ausgespart wird, was Wähler beunruhigen könnte. Dabei ist es, der Not der Lage folgend, ein echter Richtungswahlkampf: Mindestens 100 Milliarden Euro Mehrausgaben werden in der kommenden Legislaturperiode wegen der wachsenden Arbeitslosigkeit in den diversen Kassen auflaufen. Der Finanzplan des Bundes geht davon aus, dass die Staatsverschuldung bis 2013 um gut ein Viertel auf 2,2 Billionen, der Kreditanteil an den Gesamtausgaben von 4 Prozent im Jahr 2008 auf über 26 Prozent steigen wird. Weiter durchwursteln – das wird wohl nicht gehen. Aber was dann? Und wer zahlt?
„Dass ich dich besser fressen kann“ – diese Ansage im Märchen vom „Rotkäppchen“ wagt kein Wolf und kein Finanzminister-Kandidat auszusprechen. Die Inszenierung des Wohlfühlwahlkampfs ist perfekt. Die Dienstwagenaffäre von Ulla Schmidt ist bislang das herausragendste Thema. Viele Medien spielen mit. Da wird im deutschen Fernsehen die Bundeskanzlerin mit dem stellvertretenden Bundeskanzler über Politik diskutieren. Erwarten wir wirklich neue Erkenntnisse, wenn die Regierungschefin mit ihrem Stellvertreter vor die Kamera tritt? Wer wird da wohl wen für die gemeinsam im Kabinett verabschiedeten und im Bundestag durchgedrückten Gesetze kritisieren? Über solche spannungsgeladenen Auseinandersetzungen machen wir uns sonst lustig, wenn sie uns in Kuba und Nordkorea als Wahlkampf vorgeführt werden.
Aber bekanntlich macht ja die Not erfinderisch, und das gilt auch für Finanzminister. Deswegen haben wir in diesem Heft einmal aufgeführt, was da so alles schon mal da war an Zwangsabgaben, Notopfern, Solidaritätsleistungen und Investitionshilfeabgaben, wann immer der Staat Geld brauchte. Übrigens: Das lief so, egal, ob die Regierung rot oder schwarz war. Und vertrauen Sie bitte nicht auf Schutzheilige wie Finanz- und Verfassungsgerichte. Wie die derzeitige Regierung bereits heute Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit für Steuerzahler aushebelt, lesen Sie in der neuen Ausgabe der WirtschaftsWoche: Da werden Gerichtsurteile ignoriert, Zusagen gebrochen, Regelungen rückwirkend aufgehoben – und weg ist der Verdienst, auf Nimmerwiedersehen. Aus scheinbar sicheren Anlagen wird ein Geldgrab. Dabei ist es schon ein Gnadenakt, wenn man nicht nachträglich als Steuerhinterzieher verurteilt wird.
Nun ist die Finanznot des Staates ja unbestritten. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um? Viele Politiker des linken Lagers, das ja bekanntlich bis weit hinein in die CDU reicht, vermitteln den Eindruck, dass unser Verdienst und Einkommen eigentlich dem Staat zustehen – und wir haben dankbar entgegenzunehmen, was man uns noch übriglässt. Von jedem verdienten Euro bleiben uns in diesem Jahr nur 46,7 Prozent. Wir Steuerzahler sind in dieser Weltsicht nicht anders als das Vieh, das die Kassen des Staates füllen (CDU) oder seinen Umverteilungshunger (SPD) stillen soll. Und sind die Kassen leer, müssen die Steuern erhöht werden, und zwar in der Reihenfolge. Dass die Steuereinnahmen nur wachsen, wenn die Wirtschaft wächst, weil die Bürger Spaß am Wirtschaften haben – diese Erkenntnis fehlt.
Wahlkampf ist, was wir, die Bürger, daraus machen. Wir sollten über Wege der Entlastung sprechen, nicht weiter Belastungen schweigend hinnehmen. Die Finanzkrise rechtfertigt nicht alles! Greifen Sie ein in die jetzt anlaufende, heiße Walkampfphase.
Rotkäppchen ist erwachsen geworden.
(Erschienen am 22.08.2009 auf Wiwo.de)