Die mit Supercomputern berechneten Konjunkturprognosen der Forschungsinstitute und Banken kann man derzeit glatt vergessen. Denn die Forscher haben in ihrer hochgelehrten Simplizität übersehen, die wachsenden Wirkungen der Finanzmärkte in den Modellen abzubilden – gerade deren Zusammenbruch hat uns ins Tal gerissen. Was Prognosen noch problematischer macht ist der Strukturbruch der globalen Wirtschaft. Wenn man ein Bild für die aktuelle wirtschaftliche Lage sucht – dann ähnelt sie in vielen Zügen der globalen Wirtschaft der Siebzigerjahre.
Der Welthandel wird heuer voraussichtlich um elf Prozent und damit schneller als die gesamte Weltwirtschaft schrumpfen; in den Jahrzehnten zuvor war der Handel schneller gewachsen als die Gesamtwirtschaft, die Globalisierung damit Triebfeder des Wachstums. So aber werden die Schwellenländer wieder vom Wachstum abgekoppelt. Sie laufen Gefahr, auf die Siebzigerjahre zurückgeworfen zu werden, in denen mit gnädig gewährten Entwicklungshilfe-Millionen vergeblich gegen Armut und Hunger gekämpft wurde. Der bekannte Harvard-Ökonom Andrei Shleifer hat aus Sicht der Entwicklungsländer die vergangenen 20 Jahre als die „goldenen des Kapitalismus“ beschrieben, weil weltweit der Wohlstand wuchs und Hunger, Kindersterblichkeit und andere Indikatoren der Unterentwicklung zügig sanken.
Die hässliche Schwester der Globalisierung ist die Re-Nationalisierung. Die Nationalstaaten betreten wieder die Bühne, schnüren Konjunkturpakete, retten Banken und Unternehmen, verengen den Fokus wieder auf die eigene Volkswirtschaft: In den USA erzürnt Politiker und Bevölkerung, dass Rettungsmilliarden für den Großversicherer AIG direkt an deutsche, schweizerische und englische Banken weitergereicht wurden. Umgekehrt kämpft Berlin darum, dass nur ja keine Opel-Million nach Detroit abfließt. Die Folgen bekommen gerade deutsche Unternehmen zu spüren: Sie werden zur fetten Beute der deutschen Banken, weil sich die verstaatlichten englischen Banken vom deutschen Markt zurückziehen mussten. Die Zinsschere zwischen dem billigen Geld der Zentralbank für die Banken und den immer noch teuren Zinsen für Kredite öffnet sich weiter. Das hat nichts mit dem gewachsenen Risikobewusstsein zu tun, wie Bankmanager mit blauen Unschuldsaugen säuseln.
Die Banken nutzen nur die Chancen der für sie entspannten Konkurrenzlage. Das wird sich auf vielen Märkten wiederholen: Schrumpft der Welthandel, nimmt der Wettbewerb um den niedrigsten Preis, die beste Leistung, die neueste Technik ab und schrumpfen Wachstumschancen. Zugleich erwacht staatliche Industriepolitik zum zweiten Leben. Es war der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, der die Schlacht um VW mit dem antiquierten VW-Gesetz entschieden hat – nicht das klügste Konzept. Politische Konzernschneiderei war Merkmal der Siebzigerjahre, bis in den Achtzigern Privatisierung und Deregulierung den Siegeszug antraten. Mit Post und Telekom entstanden neue Weltkonzerne. Die notorisch verspätete Bundesbahn dagegen hat den Privatisierungsanschluss verpasst, und mit den Börsenplänen bleibt die Vision eines europaweit agierenden Schienenkonzerns auf der Strecke – willkommen bei der Bimmelbahn.
Zu dieser Entwicklung passt, dass die Staaten nicht nur kräftige Schlucke aus der hochprozentigen Schuldenpulle für Konjunkturpakte nehmen. Sie beglücken das Wahlvolk gerade auch mit wahnwitzig teuren Sozialprogrammen – wie einst in den guten, alten Siebzigerjahren.
Ein paar Jahre ging das scheinbar gut – es hat Jahrzehnte gedauert, bis wir die Folgen dieser Konjunktur- und Sozialpolitik wenigstens halbwegs überwunden hatten. Und jetzt also: Retro-Ökonomie.
(Erschienen am 16.05.2009 auf Wiwo.de)