Es war ein jahrzehntelanger Kampf, der um die Kernkraftwerke tobte und Hunderttausende an die Bauzäune und dort in den peitschenden Strahl der Polizeiwasserwerfer trieb – diese Auseinandersetzung hat eine ganze Generation geprägt und die politische Kultur nachhaltig verändert. Heute ist Deutschland die unbestrittene Republik der Neinsager. Es reichen ein paar zornige Hausbesitzer, quengelnde Bürgermeister und bekritzelte Bettlaken, um die Politik zum Aufgeben zu zwingen. Das jüngste Beispiel liefert die CDU/CSU im Deutschen Bundestag: Sie hat die Rahmengesetzgebung gestoppt, welche die Abtrennung und unterirdische Speicherung des klimaschädlichen CO2-Gases aus Kohlekraftwerken (CCS-Technologie) ermöglichen sollte. Das Gesetz wurde vertagt auf die Zeit nach der Bundestagswahl. Damit droht das Aus für eine Hochtechnologie, die Umweltschutz mit Energiegewinnung verknüpfen könnte. „Nein“ ist die neue Energiequelle.
Auf das erkämpfte Nein zur Kernenergie folgte das flotte Nein zu Kohlekraftwerken, deren Bau derzeit gestoppt wird; und auf dieses Nein jetzt also das Nein zum Kohlekraftwerk mit Abscheidung von CO2. Und weil wir gerade beim Neinsagen sind, beginnt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) auch schon gegen das Konzept zu mobilisieren, Solarstrom aus Nordafrika zu importieren, denn dafür bräuchte man ja neue Hochspannungsleitungen quer durch das Land – nein, auch das darf nicht sein!
Als Ersatz empfiehlt der BUND erneuerbare Energien aus heimischer Scholle und Wind, wobei unterschlagen wird, dass die Menge des so produzierten Stroms nicht ausreichen wird und sich auch vielerorts Bürgerinitiativen gegen das Dröhnen der Windrotoren und das Miefen der Biogasreaktoren gebildet haben: Das Nein regiert das Land, in dem der Strom bekanntlich ohne Risiken und Nebenwirkungen aus der Steckdose kommt, einfach so.
Wir sind eben alle ein bisschen Öko, wenn irgendwo was Neues entstehen könnte. Der eigene Hinterhof wird zum Bezugspunkt des Handelns und ein ökologisch angehauchtes Vorurteil zum Totschlagargument für alles und jedes. Eine Abwägung, welche Art der Energieerzeugung die insgesamt ökologisch verträglichere ist oder welche die geringste Folgewirkungen hat, findet nicht statt – in der neuen Welt der Ich-Ökos kommt es zum Kältetod durch Nichtstun und Neinsagen.
Auffällig sind die neuen politischen Koalitionen der Neinsager im CCS-Streit: Da verbündet sich Peter Harry Carstensen, im Hauptberuf Subventionsempfänger für seine privaten Windmühlen und im Nebenberuf Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, mit der oberbayrischen CSU zu einer Nord-Süd-Achse der Neinsager. Es ist dieselbe CSU, die sich früher als Fruchtbarkeitsgöttin der Hochtechnologie positioniert hat und heute in jedem Genmaiskörnchen die Saat des Bösen wittert. Dabei haben die heutigen CSU-Neinsager nur Angst um ein paar Wählerstimmen, die ohnehin bei den Grünen landen. An ihrer Seite marschiert wiederum der SPD-Öko und Solarlobbyist Hermann Scheer, der um den Absatz seiner Solarspiegel fürchtet, wenn der Strom doch noch aus einer anderen Quelle fließen sollte.
Geschickt werden Strategie und Ikonografie, die Bildwelt der Bedrohung der frühen Anti-AKW-Demonstrationen, instrumentalisiert – als ob Kohlendioxid, dessen Unschädlichkeit in geringen Mengen sich jeder Mensch beim Ausatmen selbst immer neu beweist, mit radioaktiven Strahlungen zu vergleichen wäre. Zugenommen hat eben in Deutschland nur die Kultur des Protestes, nicht aber die naturwissenschaftliche Kenntnis.
Am Ende könnte dann stehen: entweder kein Strom oder doch Atomstrom.
(Erschienen am 27.06.2009 auf Wiwo.de)