Der Name klingt gut: Aktienrente oder neuerdings „Generationenkapital“. Die Idee ist verlockend: Die Rente an der Börse verdienen statt die Beitragszahler schröpfen. Nun hat die Rentenversicherung kein Kapital, das sie einsetzen kann. Wie soll es also gehen? Aber Christian Lindner, Finanzminister, hat da eine gute Idee. Wir machen das mit Schulden! Wir leihen uns Geld und machen mehr daraus, alles für unsere lieben Rentner. Klingt wie der Stein der Weisen. Keine Beitragserhöhung mehr, und kein Gemecker, dass Sozialrentner vom Flaschensammeln leben oder sich an den Tafeln für Bedürftige anstellen müssen. Klingt gut. Aber rechnen wir mal.
Viele Worte um wenig Geld
Bei der Rente muss man klotzen, nicht kleckern, denn die Gesamtausgaben für die Rentenversicherung betragen rund 370 Milliarden Euro. Pro Jahr, und sie werden auf über 800 Milliarden bis 2045 ansteigen. Finanzminister Christian Lindner und Sozialminister Hubertus Heil planen, einen kapitalmarktfähigen Fonds bis 2026 auf 200 Milliarden Euro wachsen zu lassen. Der Fonds soll durch Anlage etwa in Aktien und Fonds jährliche Ausschüttungen an die Rentenversicherung von zehn Milliarden Euro ermöglichen.
Das wären 2045 dann 1,25 Prozent der dann erwarteten Rentenausgaben von insgesamt 802 Milliarden Euro. Die Ausschüttungen sollen dafür sorgen, dass der Beitragssatz der Arbeitnehmer für die Rentenkasse nach 2035 bei 22,3 Prozent bleibt. Andernfalls könnte der Beitragssatz bis 2045 auf 22,7 Prozent steigen. Der Plan ist also eher bescheiden. Wir sprechen von 1,25 Prozent der Rentenausgaben, das ist der Tropfen in den Ozean geschüttet. Und dabei ist der schlimmste Haken noch nicht mitgedacht.
Kreditfinanzierung zur Finanzierung
Die Bundesregierung nimmt der Pressekonferenz zufolge in diesem Jahr Kredite in Höhe von zwölf Milliarden Euro auf. Der Betrag werde in der Folgezeit jährlich um drei Prozent erhöht. Hinzu kommen 15 Milliarden Euro, die der Bund bis 2028 aus eigenen Mitteln – etwa durch Übertragung von Vermögenswerten wie Unternehmensbeteiligungen – beisteuern will. Vermutlich ist dabei an die Aktienpakete gedacht, die der Bund an Post, Telekom und Commerzbank hält. Die Post/DHL ist ein erfolgreicher Konzern; die Telekom schlingert zwischen Topp und Klopp, und die Commerzbank? Schweigen wir dazu. Aber folgen wir optimistisch Lindners Ansatz.
Nehmen wir an, der Staat verschuldet sich für 100 Milliarden statt, wie Lindner plant, nur 12 Milliarden. Darunter sollte man gar nicht erst anfangen und gerade Summen rechnen sich leichter. Wenn man annimmt, und das ist schon optimistisch, dass diese hundert Milliarden 10 Prozent Rendite abwerfen, dann sind das 10 Milliarden – eine große Summe, aber nicht spürbar bei den Gesamtausgaben. Wie gesagt: klotzen, nicht kleckern. Aber aus 100 Milliarden immerhin 10 Milliarden machen ist erstmals eine schöne Sache und freut die Rentner, die dringend Rentenerhöhung brauchen, oder Beitragszahler, die sich entlastet fühlen könnten. Der Plan von Lindner/Heil hat nur einen kleinen, aber nicht unbedeutenden Haken: die Zinszahlungen für das geliehene Kapital.
Denn Christian Lindner will das „Generationenkapital“ durch Staatsverschuldung finanzieren. Das bedeutet: Für die in unserer Musterrechnung angenommenen 100 Milliarden sind Zinsen fällig. Altersversorgung ist ein über Jahrzehnte ablaufender Prozess. Nehmen wir an, der Staat kann sich für 4 Prozent verschulden, was in etwa dem längerfristigen Mittel langlaufender Bundesanleihen entspricht. Dann kosten die 100 Milliarden immerhin 4 Milliarden Zinszahlungen; und der Profit von ursprünglich 10 Milliarden schmilzt auf 6 Milliarden. Das klingt schon nicht mehr so toll.
Dabei sind beide Annahmen, die Kurssteigerung wie die Zinshöhe, eher optimistisch; es kann also durchaus sein, dass die Erträge niedriger, die Zinsen höher sind, und dementsprechend schrumpfen die verdienten 6 Milliarden in der Realität schon mal in sich etwas zusammen. Nimmt man die geplanten und viel bescheideneren Größen von Lindner, landet man bei Erlösen nach Abzug der Zinsen von vielleicht 650 Millionen plus/minus. Das reicht vermutlich für das Porto der Deutschen Rentenversicherung. Aber der eigentliche Hammer kommt erst.
Rauf und Runter mit Zinsverpflichtung ist gefährlich
Denn bekanntlich ist die Börse ein fröhliches Auf und Ab. Rauf und runter, das macht die Börse munter. Im Mittel vieler Jahre sind Aktien eine gewinnbringende Anlage, aber nicht immer. Der Dax, als Indikator für die Kursentwicklung bestens geeignet, hat sich zwischen dem damaligen Höchststand im Jahr 2000 bis 2003 gedrittelt. Uuuuuups. Da wurde also nichts verdient an der Börse, sondern nur verloren. Auch das Vermögen der angelegten Rentengelder hätte sich gedrittelt. Kann sein, dass die Manager besonders klug und vorausschauend gehandelt hätten; auch bei großartigster Management-Leistung wären Verluste unvermeidlich gewesen. Viele Aktienfonds haben in diesem Zeitraum zwischen 80 und 90 Prozent ihres Wertes verloren. Die Frage ist nur: Wie hoch sind die Verluste?
Gehen wir optimistisch davon aus: Aus 100 Milliarden hätten sie in diesen Jahren nur 50 Milliarden Miese gemacht. Dann hätten sie viele Preise für Fondsmanager gewonnen, aber es bleibt dabei: Nix verdient, kein Zuschuss zur Rente der Alten wäre möglich gewesen. Nur eines hätte sich nicht verändert: die Zinszahlung. Die 4 Prozent für die Schulden des ursprünglichen Kapitals müssen pünktlich bezahlt werden. Die geschrumpften 50 Milliarden verringern sich damit weiter; in zwei Jahren um etwa 8 Milliarden. Während die Rentner leiden, gewinnen die Banken und jene Anleger, die dem Bund das Geld geliehen haben. Denn in ihre Taschen fließen die Zinsen – nicht in die Taschen der Rentner. Aber Börse geht auch wieder hoch, das ist die gute Nachricht.
Dann beginnt der gegenteilige Effekt: schwups, die Kurse steigen. Tatsächlich haben sie 2007 das ursprüngliche Niveau wieder erreicht. Allerdings ohne die jeweiligen 16 Milliarden, die in der vierjährigen Phase des Kurstiefs bis zum neuen Höchststand Jahr für Jahr abgedrückt werden müssen. Nun sind die in dieser Phase erzielten Kursgewinne keinesfalls sicher; sie können höher oder niedriger ausfallen, als der Dax es nahelegt. Bleiben wir erneut optimistisch: Die Aktien der Rentner fahren mit dem Aufzug nach oben. Nur leider waren da die Zinszahlungen. Der Aufstieg beginnt also aus dem Keller, in dem nach Kursverlusten und Zinszahlungen nur noch bescheidene 26 Milliarden von den ursprünglichen 100 Milliarden liegen.
Also müssten die Kurswerte sich vervierfachen – und dann wäre man wenigstens pi mal Daumen wieder da, wo man angefangen hat. Und kurze Zeit später beginnt der nächste Kursrutsch, diesmal nicht ganz so schlimm, aber immerhin. Disclaimer: Das ist eine vereinfachte Rechnung, die so angelegt ist, dass es wahrscheinlich schlimmer kommen würde, aber wahrscheinlich kaum besser.
Wunder geschehen auch an der Börse eher selten und meistens zu Gunsten anderer. Es bleibt das Zwischenfazit: Das Börsentief plus die Zinszahlungen haben das „Generationenkapital“ dramatisch reduziert; es zurück zu verdienen ist praktisch unmöglich, unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen. Börse eben. Wer sich verschuldet auf das Parkett begibt, rutscht aus.
Wann ist Höchst-, wann Tiefststand?
Nun kann man einwenden: Beim Höchststand einsteigen ist aber auch ziemlich dumm. Stimmt. Deshalb habe ich in meinem Beispiel bei der Talfahrt wie oben erwähnt nur die Halbierung der Werte angesetzt, nicht die Drittel vom Höchststand aus. Nur weiß man nie, wann Höchststand ist. Derzeit liegt der Dax bei 17.000 Punkten. Wann steigt Lindner ein? Wann aus? Das macht die Sache so spannend für die Rentner, denn davon hängt ab, ob es noch für die Butter aufs Brot reicht.
Lindners Pläne sind problematisch. Die Kursentwicklung der Wertpapiere kann so, aber auch ganz anders sein. Sicher ist nur: Die Schulden müssen bezahlt werden, ehe die Rentner etwas erhalten.
Deswegen raten Anlageberater dringend davon ab, sich Aktien auf Kredit zu kaufen. Denn da ist nur eines sicher: die Zinsen. Die Erträge dagegen sind unsicher. Und zusammen ergibt das eine giftige Mischung. Deshalb: Finger weg von kreditfinanzierten Aktienkäufen. Wer aus bestehendem Vermögen Aktien kauft, leidet ebenfalls unter den Kursverlusten – und muss eventuell Jahre warten, bis der Verlust aufgeholt ist. Wer lange warten kann – sagen wir: 20 Jahre –, freut sich über die aktuellen Höchstkurse und hätte sein Vermögen seit den Tiefständen der Nuller-Jahre verfünffacht oder sogar versiebenfacht, wenn man von absoluten Rekordständen mal abstrahiert. Hätte, hätte, Fahrradkette.
Aber wollen wir darauf die Rente aufbauen, von der Millionen ältere Mitbürger solide und dauerhaft leben müssen? Nun ist Börse etwas komplizierter als unser einfaches Modell. Es gibt verschiedenste, phantasievolle Konstruktionen; geniale Manager und gewissenlose Blender, Hasardeure und Könner gleichermaßen. Aber sicher ist nur: Die Zinslasten vermindern die Chancen auf einen dauerhaften Zuschuss für die Rentner dramatisch und erhöhen das Risiko, dass gewaltige Verluste eingefahren werden. Der richtige Weg wäre, aus den Beiträgen Gelder abzuzweigen und auf die hohe Kante zu legen. Aber um das zu ermöglichen, müssten die Beiträge heute und auf viele Jahre erstmal steigen, damit sie angespart, angelegt und irgendwann den Rentnern zufließen könnten.
Oder aber der Staat stattet den Fonds mit 100 oder besser 200 Milliarden auf, die er nicht als Kredit aufnimmt. Aber das kann und wird er nicht tun, und daher bleiben die Pläne bestenfalls bescheiden. Die Erfahrung zeigt: Der Staat hat noch nie gespart, und schon gar nicht für die Rentner. Wo immer Geld herumliegt, für welchen Zweck auch immer: Es wird ausgegeben. So ein Staatsfonds, auch wenn er für Rentner reserviert ist, macht begehrlich, früher oder später, aber spätestens in einer Legislaturperiode. Gründe dafür, dass der Staat in diese Kasse greift? Davon gibt es beliebig viele.
Zu der Unsicherheit der Kursentwicklung, dem Risiko von Timing und Anlageverhalten, kommt noch das politische Risiko obendrauf: die Verantwortungslosigkeit und Kurzsichtigkeit von Politikern, die eine volle Kasse zu Gesicht bekommen. Das ist die einzige Sicherheit, die in diesem System vorhanden ist. Sie glauben das nicht? Gerade gibt Schleswig-Holsteins schwarz-grüner Ministerpräsident Daniel Günther zu, dass er die Rücklage für Beamtenpensionen, die ähnliche Funktionen erfüllen soll wie der Lindner-Fonds, für laufende Ausgaben plündert. Es war eben noch nie eine gute Idee, einen Mops mit der Bewachung der Wurstvorräte zu betrauen….