Spätestens aus dem Gaza-Krieg wissen wir, wie gefährlich unterirdische Tunnelsysteme sein können und dass dort unten selten Gutes haust. Die Verschwörer um Heinrich XIII. Prinz Reuß jedenfalls waren überzeugt: Die ganze Welt ist Gaza. Die Welt wird regiert von einem „Deep State“, dessen Macht auf weit verzweigten „Deep Underground Military Bases“, kurz (DUMBS), beruht. Dort werden Kinder und Babys rituell ermordet, um aus ihrem Blut ein lebensverlängendes Elixier zu gewinnen.
Davon jedenfalls war die Truppe um den Prinzen überzeugt. Ganz neu ist die Theorie nicht; sie wird in den USA von den Anhängern der QAnon-Bewegung geteilt, und der Ritualmord ist eine uralte, antisemitische Greuelideologie. Die verhinderten Putschisten scheinen davon überzeugt, und der Generalbundesanwalt wertet es als ideologisches Narrativ, das die Truppe vereinte und angetrieben hat.
Untergang und Erlösung – alte Leier neu gesungen
Aber durch die Köpfe der Reichsbürger geistern nicht nur Untergangsszenarien. Es gibt auch die Mächte des Lichts, wie die Sagengestalt Kaiser Barbarossa, der im Kyfhäuser auf jenen Tag wartet, an dem er mit seinen Rittern und Knappen aus des Waldes Dunkel hervorbricht und die Mächte des Lichts ein für allemal siegen. Oder das Walserfeld bei Salzburg, wo der aus dem bayrisch-österreichischen Untersberg hervorbrechende Kaiser Karl in die letzte große Schlacht um einen Birnbaum zieht, wobei zu sagen ist: Nur ein Tal entfernt liegt der Obersalzberg, wo die Ruinen von Hitlers Berghof, gerne auch „Adlerhorst“ genannt, noch heute magisch Massen anziehen, weswegen ein Museum die bösen Geister bannen soll. Es sind die alten Legenden vom Untergang und der Erlösung aus der Not, vermischt mit Judenhass, Adelsromantik, den Leiden an der Moderne und den Widersprüchlichkeiten der Demokratie. Aber in der Stunde der Not naht Rettung.
Auf diese Mächte des Lichts setzten Reichsbürger. Denn die große Schlacht stand bevor, geführt von einer nicht näher beschriebenen „Allianz“. Bei ihr soll es sich nach ihrer Vorstellung um einen technisch überlegenen, militärischen Geheimbund aus Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten handeln, übrigens ziemlich deckungsgleich mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, die schon einmal den vom Berghof niederringen mussten.
Neben Donald Trump und Wladimir Putin werden auch China-Chef Xi Jinping und Saudi-Herrscher Mohammed bin Salman zur Allianz gezählt sowie weniger präzise benannte „galaktische Mächte“, die der Erdallianz mit überlegener Technologie zur Hilfe eilen würden. Wenn diese Stunde der Allianz und der Abrechnung kommt, dann wollten die Reichsbürger bereit stehen als deren deutsche Partner. Als Quelle für derlei Geraune wird das Bundesamt für Verfassungsschutz genannt: „Erkenntnismitteilung vom 13. September 2023“. Wahnsinn gerinnt zum Geheimdienst-Dossier. Haben die Beamten gelacht beim Abfassen dieser „Erkenntnisse“ oder sind sie dienstlich zur Ernsthaftigkeit angehalten, wenn es darum geht, die Verfassung zu schützen?
Wahnvorstellungen in Paragraphen transformiert
Es rauscht und dräut und wallt in den Köpfen voller Sehnsucht nach Erklärungen und Rettung, wenn die Welt als bedrückend empfunden und das Unrecht schier unerträglich wird. Die Frage ist nur, ab wann verlassen Sagen die Kinderzimmer und können die Erzähler der gruseligen Gute-Nacht-Geschichten zu Verbrechern und Hochverrätern werden? Oder übersetzt ins Juristendeutsch, wann sind gelebte Sagen und Märchen „Verbrechen und Vergehen, strafbar gemäß §§ 83 Abs.1, 89a Abs.1, Abs 2 Nr. 2, 129 Abs. 1, 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Abs.5 StGB, 52 Abs 1 Nr. 2 lit.b, Abs 3 Nr.1, Nr 2 lit a, lit. bWaffG, §§ 27 Abs. 2, 52 Abs. 1 StGB“, wie es in der Anklage heißt.
Für Nicht-Juristen im Ergebnis zusammengefasst: Das ist ziemlich harter Stoff, der für Haftstrafen reichen sollte, der die erwartbare Rest-Laufzeit der Angeklagten überschreiten dürfte. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich Leute, die bis dato gut funktionierten im Getriebe, sich radikalisieren und verirren. Wer die wirren, kruden Texte liest, mit denen Ulrike Meinhof die Ermordung durch die „Rote Armee Fraktion“ von 34 Bürgern in Deutschland begründet hat, stößt auf ähnliches Gedankenzeug. Und doch schlossen sich ihr viele aus den Unis an, bildeten sich breite Unterstützerkreise, bei denen die Killer untertauchen konnten. „Die RAF hat Euch lieb„, so beendete Mutter Meinhof ihren letzten Brief an ihre Töchter. Überliefert sind ähnlich liebevoll-sorgende Verhaltensweisen von Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß hinsichtlich seiner am Down-Syndrom leidenden Tochter.
Es ist derselbe Schoß, aus dem die „Reichsbürger“ kriechen. Aber wann beginnt das „unmittelbare Ansetzen zur Tat“ mit dafür geeigneten und ausreichend erscheinenden Mitteln, wie es die Rechtsprechung verlangt? Darüber werden Dutzende von Anwälten und Staatsanwälten vor den Gerichten in Stuttgart, München und Frankfurt streiten und Argumente zusammentragen für „Tat“ oder „Geschwätz“. Bei der RAF reagierte der Staat zu spät, sichtlich überrumpelt, unvorbereitet. Und beim Putsch der Reichsbürger?
Auf der Suche nach der Unterwelt
Schritte zur Tat wurden vollzogen. Die Angeklagten machten sich zunächst ernsthaft auf die Suche nach den „DUMBS“. Sie gerieten dabei an die Brüder Sandor und Claudio Ricci in der Schweiz, die vorgaben, die Tunneleinstiege gesehen zu haben und sich gegen eine kleine Entschädigung bereit erklärten, die Suche zu systematisieren. Insgesamt konnten Zahlungen von über 70.000 Euro festgestellt werden, die der heutige „Beklagte“ Maximilian Eder aus dem Fonds von insgesamt rund 500.000 Euro der Putschisten übermittelte. Eder war Berufssoldat gewesen, Gebirgs- wie Fallschirmjäger, beim Aufbau des „Kommandos Spezialkräfte“ beteiligt und im Einsatz im Kosovo. Zuletzt Oberst mit einem schönen Ruhegehalt von 5.100 Euro Er stammt aus Freilassing, jenseits der Saalach liegen das Walserfeld und Kaiser Karls legendäre Ruhestatt im durchaus real existierenden Untersberg.
Auch in Deutschland werden „DUMBS“ vermutet und ungeahnte Zusammenhänge festgestellt. So wurde die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal angeblich künstlich herbeigeführt, um alte Regierungsbunker zu fluten und Missbrauchsspuren zu verwischen, wobei trotzdem 600 Kinderleichen gefunden und weitere 700 in einem „Regierungsbunker“ entdeckt worden wären. Die Gebrüder Ricci scheinen immer näher an die Tunnelmündung zu geraten, berichteten von einem vermeintlichen Wächter, den sie gesehen haben wollten, und brachten eine Dame ins Spiel, die darüber aussagen sollte, dass ihre Tochter nur knapp den Tunnel-Killern entkommen konnte. Die frühere Bundestagskandidatin der Partei „Die Basis“, Johanna Elisabeth Findeisen-Juskowiak, führte in der Schweiz ein Interview mit einem vermeintlich aus einem DUMB befreiten Kind. Die Öffentlichkeit sollte aufgerüttelt, die Gruppe enger zusammengeschweißt werden, folgern die Ankläger aus dem Verhalten und werten es als Vorbereitung für spätere Taten.
Die fixen Ricci-Brothers sollten auch Waffen beschaffen. Was sie nicht taten. Aber die Absicht war erkennbar, sagt die Anklage. Tatsächlich legten die Verschwörer ein Waffenarsenal an. 382 Schusswaffen, 347 Hieb- und Stichwaffen, 499 weitere Waffenteile sowie mindestens 148.000 Munitionsteile wurden gefunden. Darunter handelt es sich allerdings zum allgrößten Teil um alte Flinten, Jagdwaffen, Uralt-Munition aus den fürstlichen Kellerräumen. Jeder ordentliche Terrorist von der RAF und Hamas würde weinend davonlaufen. Aber der Säbel des Uralt-Fürsten kann eben auch Schaden anrichten. Halbwegs einsatzbereit erscheinen einige moderne Pistolen, die von früheren Bundeswehrsoldaten geklaut worden waren, und natürlich besonders verräterisch gelten den Anklägern hochwertige Satelliten-Telefone, mit denen die Kommunikation aufrechterhalten werden sollte.
Sturm auf den Bundestag
Die Sprache lässt keinen Zweifel zu. Es ist viel von „Aufräumarbeiten“ und „Säuberungen“, Festnahmen und „Neutralisierung von konterrevolutionären Kräften aus dem linken und dem islamischen Milieu“, von „ausschalten“ und „auf Null bringen“, von einmarschieren und „Köpfe weg“ die Rede. Einer wird nach Überprüfung seiner astrologischen Daten als geeigneter „Lichtausschalter“ geführt, als Scharfschütze. Den braucht man, um den Deutschen Bundestag zu besetzen.
Immer radikaler wurden die Überlegungen und Pläne zur Besetzung des Reichstagsgebäudes und der Festsetzung von Abgeordneten und Politikern geschmiedet. Die frühere Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann der AfD führt mehrere Mitglieder der Gruppe durch den Bundestag. Wieder geht es um „Tunnel“, diesmal in den Unterlagen der Bundesstaatsanwaltschaft. Tatsächlich hat der Bundestag unterirdische Tunnel. Einer führt zur Müllabfuhr, auch der wird besichtigt und fotografiert. Leider stellt später die Kriminalpolizei fest, dass es sich dabei nicht um Gänge gehandelt habe, für die besondere Sicherheitsvorkehrungen gelten. Trotzdem wird der mögliche Angriff auf den Bundestag zum Kernstück der Beweisführung. Richtig ist, dass das Reichstagsgebäude mit Hilfe der Ex-MdB, „ausgespäht“ wurde, dass sogar Schießübungen auf einem Waffenstand durchgeführt wurden, um die Einsatzfähigkeit der Gruppe zu erhöhen.
Nun mag es so sein, dass so ein Putsch möglicherweise von den Saaldienern des Deutschen Bundestags mit Hilfe von Aktendeckeln niedergeschlagen worden wäre, aber man möchte lieber nicht dabei sein, wenn die Flinten des fürstlichen Putschgeschwaders losgehen. Da geht schnell ein Schrotkorn ins Auge oder Schlimmeres. Wann werden Spinnereien zum blutigen Ernst? Ohne die beschworene „Allianz“ haben nicht einmal die Verschwörer an einen Erfolg geglaubt. Aber frei herumlaufen lassen kann man immerhin im Nahkampf erprobte Militärs mit Schießprügeln wohl auch nicht. Immerhin gibt es Fälle schießwütiger Reichsbürger. 2016 wurde dabei ein Polizist ermordet.
Heimat-Schutz-Kompanien nach Bundeswehr-Muster
Gewollt hätten sie schon, wenn sie nur gekonnt hätten. Prinz Reuß wird mit der Lizenz zum Aussprechen von Todesurteilen ausgestattet. Spaß hört etwas früher auf. Aber konnten sie? Auch hier vermischt sich Realität mit Wunschdenken. Viel ist die Rede von „Heimat-Schutz-Kompanien (HSK)“. In den Chatgruppen „Adlerhorst“ und „Heimatschutz“ werden Pläne entwickelt, dass das „Militär“ „auf Abruf“ bereitstehen solle, um im Falle eines Einschreitens der „Allianz“ innerhalb weniger Stunden überall hinzukommen, um dort „ihr System zu etablieren“. Außerdem sollen die HSKs bereitstehen für die „Unterbindung von Partisanenaktivitäten in den durch die Nachbarländer zurückzugebenden Provinzen“ im wiederentstandenen Großdeutschland.
Insgesamt 286 HSKs sollen aufgebaut werden, erste Gespräche führte man für die HSK Nr. 221, die für die Region „Tübingen und Freudenstadt“ zuständig sein sollte, und die Nr. 148 für „Jena, Saale-Holzland-Kreis, Saale-Orle-Kreis“. Umfangreiche Besichtigungen von Bundeswehrstützpunkten folgten, wobei die 700 km lange Reiseroute anhand von Handy-Daten nachvollzogen werden kann, nicht aber, ob die Kundschafter auf das Kasernengelände vordrangen. Offensichtlich ist die Bundeswehr nicht in der Lage, erbetene wie ungebetene Besucher festzustellen, und neuerdings scheint jeder Weihnachtsmarkt besser geschützt als ein Flugfeld der Luftwaffe.
Das künftige Hauptquartier sollte schlussendlich in der Lechfeldkaserne südlich von Augsburg eingerichtet werden, weil dort auch gute Landemöglichkeiten für die Flugzeugflotte der „Allianz“ gegeben seien und von dort die Hubschrauber starten könnten, die die jeweiligen Kommandeure der „Heimat-Schutz-Kompanien“ zu ihren Einsatzorten flögen. Dieses „Militär“ früherer Bundeswehr-Soldaten ist der eigentliche Kern der Gruppe, die jetzt angeklagt wird. Geführt von Rüdiger von Pescatore, ehemaliger Bundeswehr-Bataillonskommandeur der Fallschirmjäger, nach Waffendiebstahl gefeuert und nach Brasilien ausgewandert.
Der „M-Stab“ des Rüdiger von Pescatore
Ausgangspunkt des Geschehens, so die Anklage, war im Juli 2021 ein Treffen ehemaliger Bundeswehrsoldaten. Der frühere Kommandeur des Fallschirmjägerbattalions 251, Vorläufereinheit des heutigen „Kommando Spezialkräfte (KSK)“, Rüdiger Wilfried Hans von Pescatore ist aus Brasilien per Video zugeschaltet. Angeblich habe man sich da zum Umsturz verabredet. Pescatore kommt im Oktober 2021 aus dem südamerikanischen Exil zurück nach Deutschland und macht sich mit seinen Kameraden mit Feuereifer an den Aufbau des neuen „Militärs“. Er gründet zunächst den „M-Stab“.
Man spürt sofort die Schule der Bundeswehr bei Pescatore und seinem Mitstreiter Eder und dem früheren Leutnant Wörner: Verwaltung ist alles, auch wenn sonst nichts da ist. An den „M-Stab“ müssen eventuelle Mitkämpfer Name, Geburtsdatum, den erlernten Berufs sowie die Konfektionsgröße, wahlweise in deutscher oder US-Größenangabe, melden sowie die Mützen- und Schuhgröße. Auf Befehl von Pescatore macht sich Wörner an das Design der neuen Uniformen für das „Militär“ und die Beschaffung von Musterstücken, wobei eine Rückkehr zu den Uniformen der Wehrmacht angestrebt wird. Bei einer Textildruckerei gibt er die Anfertigung von „einigen tausend Stück“ Kragenspiegel und Schulterklappen für verschiedene Dienstgrade in Auftrag und bestellt auch noch Stempel und Prototypen von Dienstausweisen für die „Neue Deutsche Armee“. Wörner erwirbt für 236,10 Euro militärische Hosen, notieren die amtlichen Strafverfolger penibel.
Viele Befehlshaber, aber keine Befohlenen – daran kranken diese, Bundeswehr, der „M-Stab“ wie auch die Anklage: Es gibt keine angeklagten Soldaten außer der Handvoll längst ausgeschiedener Offiziere. Trotzdem ist er, der „M-Stab“, der Kern der Verschwörung und ihr eigentlich gefährlicher Teil. Hier geht es um Männer mit französischer Nahkampfausbildung, Erfahrung beim Kommando, Spezialkräfte als Fallschirmjäger und Gebirgsjäger. Den Herren möchte man nicht so gerne nachts begegnen, auch wenn Männer und Waffen noch fehlen.
Es fehlt aber vor allem das Bindeglied zur „Allianz“. Denn dass das „Militär“ alleine wenig ausrichten kann, erkennt der „M-Stab“ selbst in den wohl eher seltenen Momenten der Klarsicht. Da stößt man im Oktober 2021 auf Prinz Reuß. Als Vertreter des „Weißen Adels“ erscheint er als der geeignete hohe Repräsentant, der von der „Allianz“ als deutscher Vertreter qua Geburt einfach akzeptiert werden wird. Der wertlose Adelstitel soll also von Russland über China bis in die USA genutzt werden. Reuß erhält das alleinige Mandat für entsprechende Verhandlungen mit der „Allianz“ von Washington, London, Paris bis Moskau und Peking.
Der geschmeichelte Prinz organisiert einen „Rat“ als provisorische Regierung, verteilt sofort Ministerämter und versucht beispielsweise ergebnislos, Markus Krall für den Job als „Finanzminister“ zu gewinnen. Der lehnt aber im Waldgasthof Oberschweinstiege glatt ab, was ihn für die Generalbundesanwaltschaft vom Verschwörer zum bloßen Zeugen degradiert.
Immer dabei: die Bundes-Schlapphüte
Was läuft, wussten die Behörden schon früh. Bei einem Anwerbeversuch für eine der Heimat-Schutz-Kompanien gerät man dummerweise an einen V-Mann des Bundesverfassungsschutzes. Und die führenden Militärs wandten sich zudem immer wieder vertrauensvoll an alte Kameraden in hohen Diensträngen bei der Bundeswehr. So wendet sich Eder zunächst an Generalleutnant Martin Schelleis. Er versucht, ein Abendessen der Gruppe mit Generalleutnant a.D. Frank Leidenberger zu arrangieren. Wörner wendet sich an Generalleutnant Markus Laubenthal, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr für „einen Gesprächsgegenstand von weit überregionalem Interesse“. Auch der gerade entlassene Inspektor der Marine Kay-Achim Schönbach wird angeschrieben. Die Betroffenen informieren unmittelbar den Militärischen Abschirmdienst, verweigern jede Antwort oder werden gar nicht erst erreicht. Vermutlich handelt es sich um den von den Schlapphüten der Geheimdienste am genauesten beobachteten Putsch der deutschen Geschichte.
Schnell kommt es zu Spannungen zwischen dem Militär und dem Prinzen. Die schneidigen Offiziere des „M-Stabs“ werfen dem verweichlichten Prinzen Partikularinteressen vor. Denn eigentlich will der Prinz nur, dass ihm die umfangreichen Latifundien seiner Familie rückerstattet werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg seiner Familie wie allen Adeligen von den Sowjets enteignet wurden. Sie blieben in fremder Hand – auch nach der Wiedervereinigung: eine der Entscheidungen von Bundeskanzler Helmut Kohl, der in deutschen Adelskreisen bis heute heftig kritisiert wird.
Michael Kohlhaas kauft Satellitentelefone
Jahrelang klagte der Prinz mit Millionenbeträgen mit Hilfe einer amerikanischen Anwaltskanzlei auf Wiedereinsetzung in alten Glanz und Gloria, nur um festzustellen, dass ebendiese Kanzlei auch mit der Formulierung jener Gesetze beauftragt war, die die Enteignung gerichtsfest machten. Beschäftigt man sich mit der Person von Prinz Reuß, fühlt man sich schnell an eine ganz besondere Figur der deutschen Literatur erinnert, beschrieben von Heinrich von Kleist in seiner Novelle „Michael Kohlhaas“.
Dessen zwei Pferde hat ein Fürst zu unrecht zu Schanden getrieben und dabei auch noch einen Knecht schwer verletzt. Auf der Suche nach Gerechtigkeit entfesselt Kohlhaas einen Aufstand, der den ganzen Landstrich verwüstet. Die Novelle gilt als Lehrstück für den Gegensatz von Recht und Gerechtigkeit. Ungerecht behandelt fühlen konnte sich wohl der Prinz wegen seiner thüringischen Landgüter. Auf der Suche nach Gerechtigkeit ist er dabei, nicht weniger als einen Staatsstreich zu organisieren. Der einst erfolgreiche Geschäftsmann mit einem Vermögen in 120 Kilogramm Gold wirkt wie ein verwirrt durch das Bühnenschauspiel stolpernder Handlanger der „Militärs“ auf der Suche nach seiner Krone, die sich als Nachtmütze herausstellt.
Auch er weiß, dass für den Putsch die Mittel fehlen. Also versucht er direkte Kontaktaufnahme mit der „Allianz“. Insbesondere die Russen haben es ihm angetan, zwar haben sie ihn enteignet, aber seine Geliebte ist Russin. Sie vermittelt Kontakte zu den Generalkonsulen in Leipzig und Frankfurt, Gespräche finden statt. Vermutlich wird er seither als einer der vielen russlandnahen Trolls in den Geheimdienstlisten geführt. Immerhin kauft Prinz Preuß teure, moderne Satellitentelefone.
Der Countdown läuft
Während der Konflikt zwischen dem fürstlichen „Rat“ und dem „Militär“ eskaliert, erleidet letzteres einen herben Rückschlag. Denn im September spitzt sich die Lage dramatisch zu. Der Tod von Königin Elisabeth II. am 8. September 2022 wird von der Hofastrologin Ruth-Hildegard L. als Zeitpunkt gewertet, an dem es der „Allianz“ endgültig reicht. Ihr Eingreifen stehe innerhalb von 48 Stunden bevor. Es kommt zu einem Treffen der führenden „Militärs“. In der gemeinsamen „Lagebewertung“ wird festgestellt, dass der Tod der Königin, untermauert durch weitere Anhaltspunkte, nunmehr als Signal für den Angriff der „Allianz“ zu werten sei. Prinz Reuß wird am 10. September über den laufenden 48-stündigen Countdown unterrichtet, der ruft seine Getreuen zum „Standby“ auf. Von Pescatore richtet sich einen provisorischen „Gefechtsstand“ in der Wohnung eines Mitverschwörers ein. Dort will er überwachen, wie Berlin „dicht gemacht“ wird, und warnt Angehörige, dass es „richtig heiß“ werde, ehe es zur endgültigen Befreiung der Menschheit komme.
Irgendwie passiert nichts. Enttäuscht treffen sich die Verschwörer zur Abklärung der Lage. Man stellt ungewöhnliche Flugbewegungen kanadischer und amerikanischer Einheiten auf alliierten Flughäfen fest und vermutet nach einer Beobachtung auf „flightradar 24“, dass es sich um Aktivitäten der Allianz handeln könnte, die gerade Kinder aus den DUMBs geholt habe und ausfliegen lasse. Die Staatsanwälte beim Bundesgerichtshofs notieren, dass die Verschwörer sich selbst unter Handlungsdruck setzen und immer weiter radikalisieren. Die Besetzung des Bundestags wird wieder erwogen.
Weitere Pläne scheitern. Am 7. Dezember werden die Beteiligten verhaftet.