Tichys Einblick
Rede in den Wind

Bundespräsident Steinmeier redet und kaum jemand hört noch zu

Es sollte eine große Rede werden. Mit ihr wollte sich Frank-Walter Steinmeier nach seiner gesichtslosen Präsidentschaft in die Geschichte einschreiben. Aber keiner möchte sein leeres Reden noch hören – nicht einmal mehr die Parteien, die ihn ins Amt getragen haben.

IMAGO/Marc John

Reden, und keiner hört zu: Was für ein grausames Schicksal. Im Hyde Park Corner ist es die Kiste, auf die einer steigt und sich versteigt, und keiner hört zu. In den Fußgängerzonen der Großstädte predigen Evangelisten und Zeugen für Allerlei, verzweifelte Anhänger von Falun Gong und andere, und keiner hört zu. Es ist das Schicksal vieler Ehemänner, die am Familientisch vortragen, und alle Anwesenden checken derweil ihre Smartphones.

Eine bittere Erfahrung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sie jetzt gerade vor aller Augen gemacht; natürlich auf viel höherem Niveau. ARD und ZDF haben ihn noch laufen lassen und sogar darüber berichtet. Die ARD zieht zur Bewertung den Polit-Clown Sascha Lobo heran, der mehr „Wumms“ einfordert. „Wumms“, das ist die neue Währung – Comic-Sprache statt Argument. Dass sich die Gebührenzahler vor den TV-Geräten versammelt hätten, haben sie doch nicht behauptet, bei aller Liebe zu Fake-News.

Zuhörer, die auch nicht gehört werden

„Alles stärken, was uns verbindet“, das ist die Überschrift dessen, was Steinmeier sagen will. Im Schloss Bellevue anwesend sind Steinmeiers Vorgänger Christian Wulff und Joachim Gauck, außerdem CDU-Chef Friedrich Merz; alles Männer, die am Küchentisch-Syndrom leiden. Es hört keiner zu, und deshalb haben sie Zeit zuzuhören.

Nicht zu den Zuhörern zählen dagegen Bundeskanzler Olaf Scholz und die Minister der Bundesregierung oder die Spitze des Deutschen Bundestags. Wie die genervte Ehefrau hören sie dem Mann nicht zu, den sie zu dem gemacht haben, der er ist. Bundespräsident. Aber er merkt es nicht. Steinmeier sagt Worte, die er wohl für mächtig hält. Und für bedeutend, so wie sich selbst. Ein paar schreiben dann doch noch artig mit.

„Am 24. Februar hat Putin nicht nur Spielregeln geändert, sondern das ganze Schachbrett umgeworfen“, sagt Steinmeier. Ach, das Schachbrett … Der russische Angriff auf die Ukraine sei „ein Angriff auf alle Lehren, die sich aus dem 20. Jahrhundert und den zwei Weltkriegen ergeben“, sagt der Bundespräsident. Es sei ein Angriff, „auf alles, für das auch wir in Deutschland stehen“. Wer frage, was die Menschen in Deutschland der Krieg angehe, der handele „geschichtsvergessen“. Es sind Sprachschablonen. Wofür „stehen“ wir auch so? Was ist dieses „alles“? Steinmeier merkt gar nicht mehr, wie leer sein Denken und Sprechen ist. Und so lässt er aus, was die Menschen außerhalb seines Amtssitzes im Schloss Bellevue so umtreibt: Warum geht es sie was an, was da passiert, warum muss die Wohnung kalt werden und der Job in Gefahr geraten? Es war die Chance der Überzeugung.

Präsidialer Totalausfall
Dank Merz und Merkel: Mit Steinmeier ist der falsche Mann im Amt
Doch Steinmeier proklamiert, reiht leere Sprechblasen aneinander, die nichts erklären. Warum genau ist es richtig, die Ukraine zu unterstützen? Daran zweifeln viele, der Verfasser dieser Zeilen übrigens nicht. Aber wissen warum, das möchten viele doch schon erklärt haben. Da hilft auch nicht, dass sich Steinmeier so ein klein wenig entschuldigt wie ein Schüler, der sich so nebenbei fürs Abschreiben rechtfertigt, aber nicht dafür, dass er die Aufgaben geklaut hat. „Die Bilder des 24. Februar markierten das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern.“

Also, er hat sich bemüht; das ist die Formulierung in Arbeitszeugnissen, die sagt: Er hat es nicht gepackt, gar nicht. Dafür sollen wir ihn loben? Er hat sich bemüht. Auf den Punkt gebracht hat es die ehemalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet […], was Putin wirklich abgeschreckt hätte. Aber es hat nicht gereicht.“ So weit traut sich Steinmeier nicht. Selbstkritik könnte der Beginn von Glaubwürdigkeit sein. Er hat den Punkt überfahren wie ein Betrunkener die Mittellinie.

Der Stolperer im Amt redet und redet

Und so stolpert er immer weiter durch sein Manuskript mit zur Wichtigkeit herabgezogenen Mundwinkeln und Eulenblick ins Nichts, wo er nichts sieht, was er nicht sehen will, weil er sich dann nicht mehr so sehr selbst gefallen könnte. Und dann ist es doch nicht Putin, der für das Böse in der Welt verantwortlich ist. Denn es sei der Umbau der gesamten Volkswirtschaft nötig und eines ökonomischen Modells, das Deutschland einst groß gemacht habe. „Wir treten ein in ein Zeitalter zunehmend ohne Kohle, Öl und Gas, in dem sich Deutschland neu beweisen muss und neu beweisen wird“, sagt er. „Darin liegen bei aller Herausforderung auch große Chancen für unser Land“, behauptet er allen Ernstes in einer Woche, in der der Chemiekonzern BASF erklärt, dass er sich dauerhaft wegen der Energiekosten aus Deutschland zurückziehen und zukünftig seine Arbeiter und Angestellten der Obhut der Sozialversicherung überlassen werde.

Und so proklamiert Steinmeier weiter mit dem Gestus des Sektenpredigers, dem die Wirklichkeit im Rausch des Redens nicht in die Quere kommen kann: „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu.“ Herr Steinmeier, sie haben Ihren Teil dazu beigetragen, dass es rau wird – natürlich nicht für sie, nur für uns Bürger. Aber diesen Zwischenruf kann der Präsident auf dem Gipfel seiner Weltferne natürlich nicht hören. Und so holpert er sich immer weiter und weiter von Schlagwort zu Schlagwort. 

Gemeinschaft ohne Gemeinsamkeit

Am Ende sei entscheidend, sich „nicht weiter auseinander treiben zu lassen“. Das Land müsse „alles stärken, was uns verbindet“.

Das klingt nun wirklich wie Hohn. Steinmeier merkt gar nicht, dass vor genau einem Jahr die G2- und G3-Regelungen in Kraft getreten sind. Es begann damit eine gesellschaftliche Hetzjagd auf Ungeimpfte – die mit dem eigentlichen Thema Gesundheitsvorsorge bald nichts mehr zu tun hat und Bürgern ohne Impfung das Weihnachtsfest (Malu Dreyer) ebenso versagt wie Job, Lohnfortzahlung und Krankenversicherung (Karl Lauterbach).

Schöne Aussichten
Steinmeiers Lehrstücke: Ein Präsident als Spalter
Und jetzt also alles stärken, was uns verbindet? Immer mehr Bürger, die für den leisesten Zweifel an der Politik der Bundesregierung verhöhnt, verfolgt und angegriffen wurden, wundern sich. Jetzt also sollen sie in Reih und Glied wieder antreten, sich unterhaken. Dabei war es doch Steinmeier, der die immer bedeutender werdende Ideologie des Globalismus gefeiert hat: die Steuerung der globalen Welt durch supranationale Organisationen, die der nationalen Politik übergeordnet werden.

Er ist der Vertreter jener, die ein „magisches Denken beschworen haben, wonach Kriege in Europa der Vergangenheit angehören“, wie der britische Soziologe Frank Furedi in seinem Buch „The Road to Ukraine“ es beschreibt. Den politischen und kulturellen Eliten des Westens wirft Furedi vor, dass sie dieses Denken kultiviert haben, während sie „Patriotismus“ und „nationale Souveränität als überholtes Vorurteil ansehen […] und abwerten“. Steinmeier fordert Gemeinschaft ohne Gemeinsamkeit. Wie das klappen soll, bleibt sein Geheimnis.

Und nun also die Beschwörung des Zusammenhalts. Weswegen genau? Zur Finanzierung seiner Pension? 

Die, die ihn bestellt haben, die Politiker von SPD, Grünen und CDU sowie FDP, und nun seiner Rede fern blieben, haben wohl instinktiv gespürt, dass da was gründlich schief gelaufen ist. Und deshalb predigt Steinmeier in seiner eigenen Kirche ins Leere. Was nicht so schlimm ist. Diese Kirche leert sich sowieso gerade für jeden sichtbar.

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