Tichys Einblick
ZEIT, Welt, BILD

„Rechts?“ Deutsche Schriftsteller im „Gesinnungs-Check“ oder fünf Jahre Hass und Hetze

Gerade fünf Jahre ist es her, da veröffentlichten Blätter wie ZEIT rot umrahmte Bilder gesammelt kritischer Autoren und WELT einen „Schnell-Check“, um „rechte“ Schriftsteller an den Pranger zu stellen. Jetzt wollen sie nichts mehr gewusst haben. Woher kommt der Gedächtnisverlust in Sachen Migrationspolitik?

Die Zeit, Screenprint: Welt

Es war ein Bismarck-Hering an einer Fischbude auf dem Darß an der Ostsee. Die Tunke tropft, das Brötchen matschig, der Fisch hervorragend, die Luft salzig-duftend, der Wind frisch. Zum Fisch fiel mir die ZEIT ins Auge. Sie war aufgemacht wie ein Fahndungsplakat. Solche hat es seit Zeiten der Rote Armee Fraktion nicht mehr gegeben: Fotos wie auf Fahndungsplakaten. Ein weiterer Artikel bei Welt Online mit dem roten Stempel in fetten Lettern: „Rechts?“

Es waren ehrenvolle Gesichter, keine Kriminellen; große Namen, keine Killer, die vorgeführt wurden in einem „Schnell-Check“, der insinuierte, dass man diese Personen jagen, zumindest bespucken, aber keinesfalls mehr ihre Bücher kaufen oder gar in eine Talkshow einladen sollte. Was bekanntlich dann auch vielfach so geschah. Wir dokumentieren diese Artikel der Schande.

Uwe Tellkamp

Vorwurf: Im Herzen Pegidist.

Verteidigung: Kann nichts dafür: In „Der Turm“ beschreibt er schon sehr empathisch das nationalkonservative DDR-Bürgertum, dem er selbst auch entstammt. Sozialisierung! Jetzt steckt er fest im eigenen Gesinnungskorridor.

Umstrittenster Satz: „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern. Über 95 Prozent. Das ist eine offizielle Untersuchung. 95 Prozent der Migranten!“

Gefährlichkeitsgrad: Gerade schweigt er beleidigt und sieht sich außerstande, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Kein gutes Zeichen.

Monika Maron

Vorwurf: Sprach 2016 in Bezug auf die Flüchtlingspolitik von „kollektivem Selbstmord“. Schreibt mit ihrem neuen Buch „Munin oder Chaos im Kopf“ den Bürgerkrieg herbei. Lässt darin eine Krähe böse, aufklärungsfeindliche Dinge sagen. Verteidigt Uwe Tellkamp.

Verteidigung: Seit „Animal Triste“ (1996) eine der größten (ost)deutschen Schriftstellerinnen, darf fast alles. Die Krähengedanken sind Nachtgedanken.

Umstrittenster Satz: „Und was wäre das Richtige? Sterben lassen, was nicht leben kann.“ (Krähe Munin)

Gefährlichkeitsgrad: Wenn sie mit Tellkamp durchbrennt, kann alles passieren.

Martin Walser

Vorwurf: Beging bei seiner Friedenspreis-Rede 1998 „geistige Brandstiftung“ (Ignaz Bubis).

Verteidigung: Hat 2014 ein nettes Buch über den jiddischen Autor Sholem Yankev Abramovitsh geschrieben. Außerdem ist es um den letzten deutschen Großschriftsteller schon einsam genug geworden.

Umstrittenster Satz: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch solche Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität Lippengebet.“

Gefährlichkeitsgrad: Sinkt rapide bei einem Autor, der am 27. März 91 Jahre alt wird (Altersmilde).

Rüdiger Safranski

Vorwurf: Der große Gelehrte und Verfasser unzähliger Bücher (z. B. „Goethe & Schiller“) wird aufs Alter neurechts.

Verteidigung: Safranski ist konservativ.

Umstrittenster Satz: „Da haben Regierung und Medien fast einstimmig das schöne Lied der Willkommenskultur angestimmt. Es war kaum auszuhalten …“ – das war unser Wissensstand bei Redaktionsschluss. Jetzt sind einige neue umstrittene Sätze hinzugekommen. Suchen Sie sich einen schönen aus!

Gefährlichkeit: Völlig ungefährlich. Wir bleiben dabei. Nur nachts auf der Straße ansprechen würden wir ihn nicht.

Peter Sloterdijk

Vorwurf: Der größte deutsche Gegenwartsphilosoph sieht das kollektive Selbst durch Flüchtlingsfremdkörper bedroht und glaubt, Gesellschaften mit „schmalen Membranen“ zu erkennen.

Verteidigung: Kann er am besten selbst. Seine Kritiker zeiht er der „intentionalen Falschlektüre“, der „Beißwut“ und des „Abweichungshasses“.

Umstrittenster Satz: „Die deutsche Regierung hat sich in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben.“

Gefährlichkeitsgrad: Unbedenklich, sagt zumindest Slavoj Zizek; tief im Herzen sei Sloterdijk Kommunist.

Es reicht. 

Angefangen hat das mit der Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Sie hatte im März 2018 eine „Gemeinsame Erklärung“ formuliert, kurz, knapp. Zwei Sätze reichten, um eine in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie dagewesene Hexenjagd zu entfachen:

„Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederher­ gestellt wird.“ 

Zunächst war die Erklärung auf „Autoren, Publizisten, Künstler, Wis­senschaftler und andere Akademiker“ begrenzt. Da finden sich als Erstunter­zeichner um die Initiatorin Vera Lengs­feld Autoren wie Henryk M. Broder, Uwe Tellkamp, Matthias Matussek, Histo­riker wie Jörg Friedrich, Egon Flaig, Ökonomen wie Max Otte auf der Liste, 31 an der Zahl. Nur wenige Tage, nach­dem die Liste online ging, wurde sie geschlossen. Und eine neue geöffnet, „auf vielfachen Wunsch für alle“. 

Das Ziel der Aktion: „Wir haben vor, die Erklärung in eine Massenpetition an den deutschen Bundestag umzuwandeln.“ 

Schon die erste Liste irritierte die Wochenzeitung ZEIT, weil die eifrigen Rechercheure „395 Doktoren aller Fachbereiche, über 100 Ärzte, um die 50 Rechtsanwälte, Chemiker und Physiker sowie knapp 170 Schriftsteller“ gezählt hatten. Sollten da womöglich ZEIT-Leser dabei sein? Den einen oder anderen Unterzeichner kannte man in der Redaktion sogar genauer, etwa „Hans-Joachim Maaz, einst Chefarzt in Halle und einer der bekanntesten Seelenversteher des Nachwende-Ostens“. Oder „die Philosophin Caroline Sommerfeld-Lethen, Ehefrau des linken Intellektuellen Helmut Lethen“. Es ist dieser denunziatorische Ton der rotgrünen Haltungsjournalisten, der seither Deutschland verkrampft. Dabei war die Erklärung ein sofortiger Erfolg: Das Quorum von 50.000 Unterschriften für eine Petition an den Deutschen Bundestag war innerhalb von vier Wochen erfüllt. Noch hat die Cancel Culture, deren Vorreiter ZEIT und Welt waren, sich nicht voll entfaltet. 

Der Schriftsteller und Philosoph Rü­diger Safranski gibt dem Spiegel ein paar Lektionen mit auf den Weg. Die „islamische Masseneinwanderung“ sei die entscheidende Herausforderung der kom­menden Jahre, und es sei beileibe nicht klar, ob sich die liberale Gesellschaft „aufrechterhalten lässt“. Schon deswe­gen müsse das „inflationäre Geschwätz von Fremdenfeindlichkeit und Islamo­phobie“ aufhören. Auch wenn es viel leichter sei, „sich infantil aus so etwas herauszureden, als würde man jetzt zu den Bösen zählen, wenn man die Pro­bleme anspricht“. 

Safranskis Spiegel-Interview gipfelt in der Ansage: Es gebe keine „Pflicht zur Fremdenfreundlichkeit, sondern die Pflicht zur Hilfsbereitschaft und zur wechselseitigen Höflichkeit, vor al­lem aber die Pflicht, das Maß der Ver­träglichkeit zu bedenken“.

Gemessen an den linken Drucksachen ist sogar die Tagesschau damals noch halbwegs sachlich: Am 1. April lautet der Tenor der Sendung: „Offenbar hat die Lengsfeld-Petition einen Nerv getroffen. Stündlich wächst die Zahl der Unterzeichner.“ Vera Lengsfeld kommt zu Wort, darf daran erinnern, dass es immer noch kein Einwanderungsgesetz gibt, Matthias Matussek wird bei einer „Merkel muss weg“-Demo gezeigt und sachlich als „ehemaliger ,Spiegel‘-Redakteur“ vorgestellt. Natürlich schwingen sich linke Verschwörungstheorien von den bösen Rechten kurz ins Bild, aber der ganze Beitrag bleibt sachlich und ausgewogen.

Es sollte nicht lange so bleiben. Seither wurde der Meinungskorridor eingeengt, die Groß-Intellektuellen der „gemeinsamen Erklärung“ blieben groß nicht, sondern wurden geschrumpft und durch Klein-Intellektuelle ersetzt, die das Lied der Chefredakteure und der Merkel-Regierung eifrig und vielstimmig monoton sangen.

Die Folgen kennen wir: Ausgrenzung, Verschweigen, Verfolgen. Der S. Fischer-Verlag, der Holtzbrinckfamilie zugehörig (Handelsblatt, Zeit, Wirtschaftswoche, Tagesspiegel) beendet nach 40 Jahren die Zusammenarbeit mit Monika Maron. Uwe Tellkamp findet in den Feuilletons praktisch nicht mehr statt, muss um die Veröffentlichung seines neuen Romans „Der Schlaf in den Uhren“ im Suhrkamp-Roman bangen (sie erfolgt schließlich doch; manche lassen sich durch Zahlen die Haltung abkaufen). Anderen bleibt der Stempel „Rechts“. 

Noch in 2020 machte die WELT Stimmung gegen Uwe Tellkamp im Vorfeld zur Erscheinung seines Romans:

Und heute: Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, der auf Kritiker der Migration den Begriff „Dunkeldeutschland“ anwandte, spricht neuerdings von der eingewanderten „Unkultur“. Kanzler Olaf Scholz redet wenigstens von notwendiger Härte bei Abschiebungen und Begrenzung der grenzenlosen Zuwanderung, auch wenn konkrete Maßnahmen unterbleiben. Am weitesten geht der frühere Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel: „Wir haben leider nicht nur in der Frage versagt, die Zuwanderung nach Deutschland zu steuern und zu begrenzen, sondern auch in der Integration derjenigen, die zu uns gekommen sind.“ Dabei sei „doch klar“ gewesen, dass „Flüchtlinge nicht allein durch den Eintritt in das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland automatisch zu Verfassungspatrioten werden“. Nun sei eine deutlich stärkere Begrenzung der Migration ebenso geboten wie mehr Investition in Integration.

Der Chefredaktuer der Welt, Ulf Poschardt, gibt sich zerknirscht„Wir sehen in Deutschland Fans der Hamas-Barbaren auf den Straßen. Schulhöfe voller Judenhass. Ganze Viertel, die das Gewaltmonopol des Staates ablehnen. Wie kann das sein?“

Ja, wie kann das bloß sein? Die Antwort liegt in der Selbstblendung von Journalisten, die sonst zu den hellsten Köpfen zählen und doch nur blind der Parole „Wir schaffen das“ gefolgt sind. Jetzt wird wieder das „wir“ beschworen, als wäre es nicht die klare Verantwortung jedes Einzelnen – verbunden mit der Ausgrenzung jener, die noch wagen zu widersprechen. Und es geht weiter: „Das Migrationsproblematik (Grammatik-Fehler übernommen) sollte von Bürgerlichen, Konservativen und Liberalen gelöst werden. Und nicht von Leuten mit einem reaktionären Ressentiment“. Die Aus- und Abgrenzung geht weiter ebenso wie die mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik. Die CDU wie die SPD, die als Koalitionspartner 2015 die grenzenlose Migration in Gang gesetzt haben, gerieren sich jetzt als knallharte Reformer. „Entweder beenden die Parteien der demokratischen Mitte das Thema irreguläre Migration oder die irreguläre Migration beendet die demokratische Mitte,“ fällt Jens Spahn jetzt plötzlich ein. Das ist etwas zu spät.

Fünf Jahre seit dieser brutalen inneren Kriegserklärung sind vergangen, es ist eine lange Zeit. Eine ganze Generation kritischer Geister wurde seither ins Dunkle verschoben, Gefälligkeits-Intellektuelle beherrschen Diskurs und Talkshows. Es ist aber auch eine machtvolle Gegenöffentlichkeit entstanden. Monika Maron und Uwe Tellkamp schreiben und veröffentlichen weiter, werden in neu entstandenen Talkshows wie dem TE-Talk gefeiert, ihre Bücher werden gelesen und vom Publikum auch ohne Rezensionen in den Hof-Medien gerne gekauft. Die Auflagen der klassischen Medien schrumpfen kontinuierlich Jahr um Jahr, Monat um Monat weiter, inhaltlich entkernt und selbstgefällig der staatlichen Subventionen harrend. Sogar neue Journalistenpreise entstehen.

Aber eine Leerstelle bleibt. Die Zusammenführung einer Gesellschaft, die seit 2015 von Angela Merkel und ihren Büchsenspannern in Politik und Medien durch Hass und Hetze zerstört wurde.

Es grenzt ans Absurde, wenn jetzt BILD daherkommt mit „Deutschland, wir haben ein Problem“ und folgenden Aufruf verbreitet;

„Unsere Welt in Unordnung und wir mittendrin. Seit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel erleben wir in unserem Land eine neue Dimension des Hasses – auf unsere Werte, die Demokratie, auf Deutschland.

Die vergangenen­ ­Tage offenbaren, was in unserer Gesellschaft schon lange­ gärt und brodelt: In unserem Land gibt es viele Menschen­, die unsere Art zu leben bekämpfen­.“

War es nicht BILD die monatelang trommelte „Refugees Welcome“ und mithalf, jeden Warner zum Verstummen zu bringen? Aber auch dem Boulevard ist das Gedächtnis so kurz wie seither die Auflage.

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