Der Begriff „Rasse“ soll aus dem Grundgesetz gestrichen werden. „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, heißt es in Artikel 3.
Die Grünen haben damit angefangen, die FDP stimmt sofort ein, die SPD ist dabei, die CDU zögert. Aber: „Die Kanzlerin hat die Debatte freigegeben“, meldete das heute-journal. So ist eben Deutschland: Es darf also debattiert werden; die Kanzlerin hat es erlaubt – und die CDU wird nach kurzem Getue den Grünen folgen. So geht Demokratie. In Deutschland.
Ohne Kontext und Geschichte
Es ist eine Debatte ohne geschichtlichen Hintergrund und Kontext. Immerhin war der Nationalsozialismus geprägt von Rassengesetzen, Rassenvorstellungen und in der Konsequenz von massenhaftem, millionenfachen Mord an Menschen der in den Augen der Nationalsozialisten „falschen“ Rassen. Dieser Rassenwahn hat unendliches Unglück und Leid mit sich gebracht und ist durch Europa gerast mit mörderischer Wucht.
Dass es sich bei der Rassentheorie der Nazis um pseudowissenschaftlichen Humbug handelt – daran hat niemand gezweifelt, und das in das Grundgesetz mit 75 Jahren Verspätung hineinzulesen ist kindisch. Verfassungen entstehen nicht aus wissenschaftlichen Definitionen, sondern aus der Lebenserfahrung, der Notwendigkeit, dem Willen zur Veränderung. Und damit wurde in klaren und einfachen Worten der Ungleichheit des NS-Regimes die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz entgegengesetzt. Es sind Worte in erhabener Schönheit. Wer da etwas hineinformuliert und fummelt, macht den Text nicht besser. Er schwächt ihn, denn er verweist auf die großen Verbrechen, die mit dem Rassenwahn begangen wurden. Wer dies auslöscht, streicht auch den Holocaust aus dem Grundgesetz, die Morde an Juden, Sinti und Roma und anderen Gruppen. Das ist der Fels, auf dem dieses Land gebaut ist. Wir sollten nicht am Fundament des Anti-Rassismus herumbasteln, es wird nicht besser mit neuen Formulierungshilfen. Jetzt soll also auch die im Grundgesetz angelegte Mahnung an den Holocaust sprachlich zerzaust werden.
Sprachreiniger wollen festlegen, wie wir reden
Es liegt im Trend, einzelne Wörter oder Begriffe aufzuspießen und damit Politik zu machen; sie auszuflaggen mit „Freund“ oder „Feind“. Das geht derzeit ziemlich locker. Das ZDF hat dieser Tage eine Sprachtabelle veröffentlicht unter der Überschrift: „Diese Begriffe kannst Du sagen“. Was wir also sagen können – dürfen war wohl gemeint – lautet „Schwarz“, „Weiß“ „People of Color“. Was wir nicht sagen können, oder sollen, ist „farbig, dunkelhäutig, Rasse“.
Und es geht weiter. Denn der besagte Grundgesetzartikel 3 hat ja nicht nur den 3. Absatz mit der „Rasse“. In Absatz 2 steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ In den Startlöchern steht da schon das nächste Drama: Was ist mit Transgender? Mit LGBT-Menschen, also der aus dem englischen Sprachraum kommenden Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender? Sind sie nicht gemeint? Steckt da schon wieder eine Diskrimierung dahinter? Und wie es es mit „Volk“, mit „Deutschen“? Leichtsinnigerweise steht in Artikel 1, Absatz 2: „Das Deutsche Volk …“ Streichen, alles streichen? Ergänzen, verklausulieren, und bald wieder umändern? Je nach Zeitgeist? Eine Verfassung zeichnet sich dadurch aus, dass sie Bestand hat. Sie ist kein Schaufenster eines Trödelladens, das je nach Mehrheit im Bundestag umdekoriert wird. Das Grundgesetz allerdings wird ohne jede Achtung als Trödel verstanden, der jederzeit auf den Müll kann.
Sprachreiniger beim Bücherverbrennen
Die ZDF-Sprachreiniger haben jedenfalls viel Arbeit, und man weiß ja was kommt: Kinderbücher, Romane, Filme, Texte aller Art sollen dann durchkämmt und gereinigt werden. Geschichte wird entsorgt wie ein Schundroman. Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, früher als „Völkerkundemuseum“ leichter erkennbar, hat man das längst durchexerziert: In der Wiedergabe historischer Texte der Kolonialzeit steht dann da „N….“ statt „Neger“ in den Orginaldokumenten. Es ist der etwas verzweifelt anmutende Versuch, Geschichte rückwirkend durch Sprachmanipulation, ja, was – umzuschreiben? Zu verbessern? Zu verändern? Machen wir uns nichts vor – es ist schlicht der untaugliche Versuch, die Vorstellungen der Gegenwart in die Vergangenheit zu projizieren; die Vergangenheit aus der Gegenwart zu erklären, statt umgekehrt.
Und jetzt also das Grundgesetz.
Immer neue Umdeutungen
Die Umdeutung durch neue Begriffe ist der Versuch, Geschichte neu zu schreiben. Für den 8. Mai, den Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht, soll „Tag der Befreiung“ durchgesetzt werden; wieder von den Grünen, Linken und der, man braucht nicht zu raten, der FDP. Klingt gut und stimmt: Millionen von KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und Nazi-Gegnern wurden befreit. Die meisten Deutschen fühlten sich aber nicht befreit; die Wehrmacht hatte bis zuletzt erbittert Widerstand gegen die Befreiung geleistet, die „Heimatfront“ der Nazis stand. Der Historiker Hubertus Knabe: „In Wirklichkeit dachte vor 75 Jahren niemand daran, die Deutschen zu befreien. Die Alliierten wollten sie vielmehr militärisch schlagen – und zwar so nachhaltig, dass sie bedingungslos kapitulierten. Selbst die Amerikaner, die den größten Anteil daran hatten, dass die Bundesrepublik zu einem demokratischen Staatswesen wurde, sahen sich keineswegs als Befreier. In der Direktive 1067, die der amerikanische Präsident Harry S. Truman am 10. Mai 1945 billigte, wurde dem Vereinigten Generalstab der USA vielmehr ausdrücklich vorgeschrieben, dass Deutschland „nicht besetzt [wird] zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat“. Der Tag der Befreiung ist eine DDR-Erfindung, um sich von der Seite der Täter auf die Seite der Opfer zu schummeln; gerade so, als ob nicht viel zu viele Deutsche fanatische Anhänger Hitlers gewesen wären. So verschönert man seinen Platz in der Geschichte.
Mehr noch: Der DDR-Kampfbegriff, mit dem man den Opferstaat DDR vom Täterstaat BRD abgrenzen wollte, wird jetzt dem wiedervereinigten Deutschland als Nachfolgestaat der DDR übergestülpt. Und jetzt also soll auch noch jener Begriff gestrichen werden, der den Kontrapunkt zum NS-Rassenwahn bildet. Geschichte soll umgedeutet werden: historische Tatortreinigung. Die neuen Wortgerechten sind keine Nazi-Verherrlicher oder Holocaust-Leugner, auch wenn die letzten der Unbelehrbaren sich darüber freuen dürften. Sie sind nur gedankenlos und verfolgen eine Absicht: Mit der leidvoll erfahrenen Geschichte soll auch der Staat zerstört werden, der auf diesen Ruinen gebaut wurde. Sie operieren mit dem Instrument der Sprachkorrektur, um Geschichte, Nachdenken und das Benennen-Können zu zerstören.
Es wird also nicht besser, wenn „Rasse“ gestrichen wird. Allerdings mehr Arbeit und Legitimation für die Sprachreiniger wird so erzeugt, und diese Sprachreiniger sollen genau dadurch noch wirksamer werden: Als Angriff auf jeden, der sich der jeweils aktuell gewünschten Sprachformelei entzieht; wer etwa, statt „Radfahrende“ zu radebrechen, beim „Radfahrer“ bleiben will, soll in die Reihe mit dem Rassisten gestellt werden. Der historische Begriff wird entsorgt und neu, breit angelegt als Rassismus, der sich gegen die eigene Bevölkerung richtet. Es geht um den Versuch, uns die Sprache zu nehmen, um unsere Ausdrucksmöglichkeit zu zerstören. Nicht um den Schutz von Menschen vor Verfolgung – sondern umgekehrt: um die aktive Verfolgung Anderssprechender.
Deren Schutz fordere ich.