„Das Private ist politisch“ – diese Forderung der Studentenbewegung hat sich mittlerweile tief in die Gesellschaft eingefressen. Es gibt keinen Schutzraum mehr. Bislang getrennte Sphären des Privatlebens, der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens durchdringen sich. Nach der politisch korrekten Sprache kommt jetzt der politisierte Konsum. Der Boykott, die schärfste wirtschaftliche Waffe, wird zur politischen Waffe. Der wirtschaftliche Boykott zerfrisst die politische Freiheit.
Am Anfang stand eine ebenso simple wie einleuchtende Idee: Die Konsumenten bestimmen mit ihrer Kaufkraft, was produziert wird und zu welchen Bedingungen. Klingt vernünftig, bekanntlich ist der Kunde König und der soll auch bestimmen oder zumindest darüber informiert werden, wie Produkte entstehen. Der Kunde wird zur Gewerbeaufsicht in eigener Sache. Er erzwingt mit seiner Kaufentscheidung, was Behörden nicht vermögen oder global nicht durchsetzbar erscheint. Der ethische Konsum war geboren, der die Nutzenentscheidung überhöht. Normative Werte werden in das Produkt gewissermaßen eingeschweißt.
Schnell wurde es zu weltanschaulichen Frage, ethischer Konsum zur neuen Norm. Es wurde schick, „fair“ gehandelten Kaffee zu brühen statt fein duftenden. Nicht mehr die Bohne stand im Zentrum, sondern der ausgebeutete Bauer. Jedenfalls im Modell. Was beim Kaffee funktionierte und dann bei Schokolade, verbreitete sich schnell. Wer „grünen Strom“ verbrauchen will, ist dazu herzlich eingeladen; gleichgültigen Stromkonsumenten darf gern der graue geliefert werden. Noch. Noch ist die Stromrechnung kein Ausweis für korrektes Verhalten. Die Grenzen beginnen zu verfließen – und die neue Konsumentscheidung wurde aus dem Dritte-Welt-Laden in das allgemeine Leben und politische Entscheidungen exportiert.
Politisch korrekter Konsum
Denn seit einiger Zeit beginnt eine neue Phase: Aus dem ökologisch korrekten Einkauf wird der politische korrekte Konsum. Es wird boykottiert, was das Zeug hält. Zeitungskioske werden von Aktivisten bedroht, wenn sie „falsche“ Medien führen. Meinungsfreiheit gilt neuerdings nur für die eigene, und Aktivisten entscheiden darüber. Hotels sollen die politisch korrekte Grundhaltung ihrer Gäste aufdecken, ehe die sich zudecken dürfen.
Nicht mehr Meinungsfreiheit zählt, sondern Konformität. Der neue Zwang allerdings beginnt, seine Kinder zu fressen und nimmt längst lächerliche Züge an. „Glatzen“, also „Rechte“ sollen in der früher für ihre Weltoffenheit bekannten Stadt Köln kein Bier mehr an der Theke trinken dürfen; wird vor die Bestellung ein Treueid zu einem Parteibuch gestellt? Die Botschaft ist eine andere: Wanderer, kommst du nach Köln, trink dein Bier lieber anderswo, nicht in der Stadt der Spießer.
Noch in den 70er-Jahren schüttelte jeder „Fortschrittliche“ den Kopf über Willy Brandts Radikalenerlass, der für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, und nur für die, das nachweisbare Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung einforderte. Von Gesinnungsschnüffelei bei Lehrern war ständig die Rede. Heute ist es die neue Norm: Nur wer müffelt wie der abgestandene „rot-grüne“ Mainstream darf Bier trinken?
Wehe, wer der falschen Mode folgt: neue Codes des Äußerlichen entscheiden über das genehme Durstlöschen. Immer neue Gruppen und Konsumentscheidungen werden politisiert, gerade wie die Aktivisten und ihre diensteifrigen Medien es sich wünschen: Darf man noch guten Gewissens den Diesel fahren, der noch vor wenigen Jahren wegen seines niedrigen Klimagasausstoßes empfohlen wurde – damals war Feinstaub noch nicht so in Mode, auch „Nudging“, das neue Wort für Verhaltenslenkung, war unbekannt.
Selbst Buchverlage haben sich aus der Spannung des offenen Diskurses verabschiedet. Random-House, der globale Großverlag aus Gütersloh, verlegt Katzenromane „Felidae“ von Akif Pirinçci nicht mehr. „Von ihm kann man halten, was man will, aber er hat ein Recht auf seine Meinung. Die großen Medienhäuser mussten vor Gericht zugeben, dass sie ihn falsch zitiert haben. Boykottiert wird er immer noch. Random House hat den Vertrag mit ihm aufgelöst, selbst seine Katzenromane kann man nicht mehr kaufen“, formuliert Tuvia Tenenbom ausgerechnet in Spiegel-Online. Aber es hilft ihm nichts mehr. Auch seine sensiblen, liebenswerten, harmlosen Romane aus vergangenen Tagen müssen vom Büchertisch verschwinden, seine schriftstellerische Existenz muss vernichtet werden. Besonders bedrückend: In der DDR brauchte man dafür einen gelenkten Schriftstellerverband und Zensurbehörden; in Gütersloh folgt man vorauseilend dem, was man für die Mehrheitsmeinung hält. Aber klar ist auch: Ein Verlag steht nicht mehr für Denkfreiheit, sondern für Gefälligkeitsentscheidungen und Konformismus. Bücher können auch andere verlegen. Der Journalist und Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton, schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts: „Wir brauchen keine Zensur der Presse. Wir haben eine Zensur DURCH die Presse.“ Er hat die neuen global-konformen Buchverlage noch nicht gekannt.
Jedem Boykott folgt Gegenboykott
So geht es immer weiter. Ich halte nichts von Boykott, die Politik soll in der politischen Sphäre bleiben und der Konsum in der Wirtschaft. Das ist gesellschaftlich friedensstiftend und spaltet nicht entlang der Frage, ob wir es schaffen oder nicht, was wir denken, welcher Partei wir angehören, welchem Glauben und welcher Überzeugung wir folgen.
Eine Hotel-Kette erfährt das gerade: Kunden meiden Maritim-Hotels, weil sie ihre politische Meinung nicht offenbaren wollen, wenn sie ein Zimmer für die Nacht suchen; Veranstalter meiden die Konferenzräume. Boykott kann auch zurück schlagen. Und tut es regelmäßig.
Aber es geht nicht nur um den schnöden Mammon. Waren wir nicht gerade dabei, Diskriminierung zu bekämpfen und führen sie hinterrücks wieder ein?
Leider erhält die „linke“ Konsumlenkung gerade Unterstützung von „rechts“. Auch der neue US-Präsident Donald Trump fordert politisch korrekten Konsum: Autos, die in den USA zusammengeschraubt werden, sind gute Autos; solche aus Mexiko scheitern am neuen Zollzaun. BMW und Siemens rechnen flugs vor, wie viele Jobs sie in den USA geschaffen haben und künftig schaffen wollen. Mittelständler berichten, dass sie ihre Produktionsstätten in den USA ausbauen.
Das ist keine gute Entwicklung. Unternehmen sollten strikt Politik und Wirtschaft trennen können und dürfen. Das ist eine kulturelle Errungenschaft demokratischer Gesellschaften. Den Rückfall in die Barbarei des Sozialismus in der DDR, der Schulbesuch, Wohnung und Karriere an das Parteibuch knüpfte, genau das sollten wir vermeiden. Und Freihandel ist nicht nur dazu da, alle Beteiligten über globale Arbeitsteilung wohlhabender zu machen – es ist auch der Versuch, die Welt für Alle offen zuhalten, die Konsumenten entscheiden zu lassen und nicht irgendwelche Politiker nach Tages-Opportunität. „My Home is my Castle“ – das war lange die Zauberformel, mit der sich die Bürger gegen die Allmacht des Staates wehrten.
„Ich konsumiere, wie ich will“, steht gegen die neue politische Bevormundung. Wenn fair gehandelt für unfair handeln steht, kommt mir dieser Kaffee nicht mehr ins Haus.
Erscheint gekürzt im PR-Magazin.