Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kannten die Montagnais-Indianer keine Jagdbeschränkungen, jeder konnte so viel jagen, wie er wollte. Wegen des großen Wildbestands führte dies nicht zu Problemen, es gab Biber für Alle. Als jedoch die Kolonialisten von den Indianern Biberpelze nachfragten, stieg der Wert der Biber so stark an, dass die einsetzende Intensivierung der Jagd zu einem Sinken der Population führte und die Biber fast ausstarben. Die Biber waren ein „freies“ Gut, jeder durfte sie der Natur gratis entnehmen – bis zum bitteren Ende.
Die Tragik der Allmende
Auf diese Story gründet der US-Ökonom Harold Demsetz die Theorie von Eigentums- oder Verfügungsrechten, die in der Volkswirtschaftslehre immer breiteren Raum einnehmen („Property-rights“ ist vermutlich treffender als „Verfügungsrechte“ übersetzt). In Europa ist es als Tragik der Allmende bekannt: Auf die Allmende, die gemeinschaftlich genutzt Weidefläche, werden zu viele grasende Tiere gesetzt, bis die Weide zu Ödland wird. Das schöne sozialistische Modell der gemeinschaftlich genutzten Ressource schlägt in Mangel und Verelendung um – ein Vorgang, der sich weltweit auch bei Wasservorräten und anderen knappen Ressourcen beobachten lässt.
Fehlende Eigentumsrechte führen zu Verschwendung und Umweltverschmutzung: Wenn Wasser und saubere Luft niemandem gehören und nichts kosten, werden sie verschwendet. Klar definierte Verfügungsrechte führen zu wirtschaftlicher Nutzung. Diese Theorie hat große praktische Bedeutung; Umweltzertifikate sollen saubere Lust mit einem Preisschild versehen und zum sparsamen Gebrauch veranlassen.
Das Ende der Allmende und der Organhandel
Verfügungsrechte können geändert werden. Erst kürzlich wurden die persönlichen Daten als Eigentum der Personen im Zuge der Datenschutzgrundverordnung sehr streng festgelegt; wer meine Adresse für einen simplen Newsletter verwenden will, braucht meine explizite Einverständniserklärung. Meine Daten gehören mir, mein Bauch auch. Diese Unbedingtheit zeigt, wie vorsichtig man mit Verfügungsrechten umgehen muss: Wem der Bauch gehört, der kann darüber frei verfügen. Wenn darin ein Mensch heranwächst – sein Pech. Ihm gehört das Leben nicht. Der Übergang zur schieren Ideologie liegt nahe: Die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling hat vorgeschlagen, Embryonen daher nur noch als „Zellhaufen“ zu bezeichnen. Die gelegentlich brutalen Folgen der ideologischen Veränderung von Verfügungsrechten muss semantisch beschönigt werden.
Mein Körper gehört mir – wie lange noch?
Demnächst soll das Verfügungsrecht über den Körper erneut geregelt werden. Ich darf mich gesund ernähren oder ungesund, gefährliche Sportarten betreiben oder andere Schädigungen riskieren. Ich darf darüber bestimmen, ob nach meinem Tod Organe entnommen werden.
Man kann moralische Überlegungen anstellen ethische Grundsätze diskutieren und argumentieren, dass so lebensspendende Organe sonst vom Tode Bedrohten zur Verfügung gestellt werden können. Derzeit herrscht Knappheit an dem, was kalt Transplantationsmaterial genannt wird. Sicherlich hängt die Einstellung zu dieser Regelung davon ab, ob man gesund ist – oder händeringend auf einen Spender warten muss. Wem es darum geht, der müsste allerdings anerkennen, dass mein Körper mir gehört – und ich ihn, zumindest nach dem Hirntod und noch körperwarm, zum Verkauf freigeben kann. Daran anschließend haben Ökonomen schon vor Jahren ein Modell entwickelt: Danach wird bei Transplantationswünschen der derjenige bevorzugt, der sich seinerseits zur Spende bereiterklärt hat. Das würde dem Grundsatz folgen: Ich helfe Dir, wenn Du bereit bist mir zu helfen. Es ist eine Art Versicherungslösung: Spendenbereitschaft gegen bevorzugte Behandlung. Das klingt fair, wäre ein Tausch von Verfügungsrechten.
Aber all das wie auch Verkauf der eigenen Organe allerdings gelten als unmoralisch. Die Sozialisierung, also die freie Verfügbarkeit für das halbstaatliche Gesundheitssystem ohne jeden persönlichen Einfluß des Spenders, soll trickreich herbeigeführt werden. Das gilt dann nicht als unmoralisch.
Organe sollen billigst verfügbar sein
Die Überlegungen der Ökonomen bei der Analyse von Eigentumsrechten aber gehen weiter – es geht um Folgen und Anreize, die mit einer Veränderung der Verfügungsrechte neu gesetzt werden. Kosten Organe nichts mehr und stehen sie praktisch unbegrenzt zur Verfügung, dann steigt die Nachfrage. Was billig ist, verdrängt andere Lösungen. Statt teurer Medikamente oder künstlicher Prothesen ist es günstiger, Organe einzusetzen. Es geht in der vorliegenden „Reform“ um möglichst viele und möglichst preiswerte Organe. Es darf kein Preisschild daran hängen. Sie sollen billigst entnommen werden. Natürlich mit Blick auf Schwerkranke. Aber man sollte über die kurzfristige Perspektive hinausdenken.
Wenn das so kommt, wird die medizinische Forschung eine andere Richtung einschlagen. Organe kosten wenig – Forschung dagegen ist teuer.
Wird der Markt mit billigen Organen überschwemmt, wird es schnell zum Missbrauch kommen; die bestehenden strengen Regeln angesichts der Flut von Angeboten schnell wirkungslos werden. Diese Veränderung der Verfügungsrechte kann auch positive Wirkungen haben: Transplantationen werden billiger, das spart Kassenbeiträge. Der Anreiz, schnell den Hirntod festzustellen, um an ein gewünschtes, knappes Organ zu kommen, entfällt, weil Organe ohnehin im Überfluss zur Verfügung stehen. Das wäre positiv. Man mag Gesetze gegen eine zu flotte Entnahme anführen. Allein – der ökonomische Anreiz ist ein starkes Motiv.
Der Mensch wird zur Handelsware
Wurde das alles überlegt? Wenn man wirklich glaubt, unbedingt auf Organe angewiesen zu sein – warum erlaubt man nicht den „Verkauf“? Was spricht dagegen, dass ein armer Teufel so wenigstens seine Beerdigung finanziert oder dem Hinterbliebenen wenigstens etwas Geld hinterlässt? Persönlich darf man nicht verdienen – aber sozialisiert werden darf es schon? Das alles ist wenig durchdacht. Vor allem aber wird ein Grundprinzip eingerissen: Dass mein Körper mir gehört – auch über den Tod hinaus. Das ist der eigentliche Schutz vor Geschäftemacherei mit Leben und Tod. Wer diese Schranke einreißt, eröffnet den Organhandel, macht den Körper des Menschen zur Handelsware, die in Konkurrenz steht zu Medikamenten, künstlichen Organen und anderen Gegenständen der unbelebten Welt. Auch wer offiziell kein Preisschild dran klebt, verschiebt die Preisrelationen.
Sozialismus kämpft gegen Eigentum
Konservative gehen vorsichtig mit der Veränderung von Verfügungsrechten um. Es gelten Grenzen – mein Körper gehört mir. Das Recht auf Leben ist nicht verhandelbar. Eigentum wird geschützt.
Verfügungsrechte werden zum Gegenstand von Lobby-Interessen. Man kann diesen Kampf um Eigentum auf vielen Ebenen beobachten: In Brüssel wird um Urheberrechte gekämpft. Gehört den Zeitungen auch jeder Link im Internet? Muss, wer verlinkt, dafür bezahlen oder ist die Information über Wissen (nicht das Wissen selbst) frei teilbar? Darf ich auf einen Artikel noch hinweisen oder muss ich demnächst dafür bezahlen?
Ich habe ein Auto erworben, nach geltenden Gesetzen und Vorschriften. Jetzt werden Fahrverbote ausgesprochen, einfach so. Das Auto wird enteignet. Entschädigungslos. Einfach so. Heute mein Diesel, morgen mein Haus? Die neue Mietenpolitik entzieht den Eigentümer die Verfügungsrechte.
Die Transplantationszentren sind an vielen billigen Organen interessiert. Meine Daten werden geschützt, sie gehören mir. Mein Körper – mein Heiligstes: Nicht mehr.
Wer so Eigentumsrechte auf den Tisch der Lobbys legt, zerstört die Fundamente der Gesellschaft – Freiheit, Moral und Recht.