Tichys Einblick

Nicolas der Große

Bekanntlich kann man aus einem Aquarium eine leckere Fischsuppe herstellen – aber aus der Fischsuppe kein buntes Aquarium beleben. Mit dem Euro ist es nicht viel anders: Aus der Einheitssuppe gibt es kein Zurück mehr zu nationalen Währungen.

Die derzeitige Währungsverbunds- Fischsuppe ist verkommen zu Uneinigkeit und Handlungsunfähigkeit. Die ökonomische Trittbrettfahrerei Griechenlands und Italiens hat Europa zudem in einen fiskalischen Erschöpfungszustand getrieben: Gegen den italienischen Schuldenstand von 1900 Milliarden Euro ist auch der gehebelte Rettungsschirm von 1000 Milliarden Euro schutzlos. Das Gerede von einem europäischen Finanzminister oder einer Wirtschaftsregierung ist eher ein Wunschkonzert denn Realpolitik: In der Euro-Krise haben sich die europäischen Institutionen als handlungsunfähig bewiesen; das Geschehen wurde von den Regierungen in Paris und Berlin vorangetrieben, während Brüssel bestenfalls die Verhandlungssäle beheizt und Häppchen verteilt hat, eben weil sich diese Union überdehnt und damit erschöpft hat.

Es mag ein kühner Gedanke sein, aber er drängt sich in dieser Situation auf: Frankreich und Deutschland müssen sich uneingeschränkt zu ihrer europäischen Führungsrolle bekennen. Nur eine gemeinsame deutsch-französische Wirtschafts- und Finanzregierung kann die anstehenden Probleme lösen. Diese Union muss dann auch auf andere Politikfelder wie Außen- und Verteidigungspolitik übertragen werden und letztlich zu einer politischen Union der früheren Erbfeinde führen, in der der Rhein der gemeinsame Strom, nicht die Grenze ist. Nur so werden wir verhindern, dass die Euro-Krise zum Europa-Aus wird. Es ist letztlich das Kerneuropa der Montanunion mit den Niederlanden und Belgien, allerdings ohne Italien. Rom muss in diesen Tagen die Frage beantworten, ob es dazugehören will oder auf ewig Reformen vertagt und verschleppt und damit endgültig den Anschluss verliert. Diese Union wird in Europa ein Gewicht entfalten, das für den gesamten Halbkontinent bestimmend ist. Und dieses Europa wird klug genug sein, sich nicht abzuschotten, sondern sich auch für andere Partner zu öffnen – aber zu seinen Bedingungen. Es ist letztlich der Traum vom Großen Reich der Franken in der Mitte Europas und seiner von dort ausgehenden Pax Romana für den Kontinent. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben gezeigt, dass sie gemeinsam handeln und die vorhandenen Interessenunterschiede ausgleichen können, so wie sie ihre extrem unterschiedlichen Persönlichkeiten beherrschen. Wenn sie nicht zufrieden sein wollen, auf dem Weg zu immer neuen Gipfeltreffen nur ihr politisches Meilenkonto zu maximieren, müssen sie aus dem Krisenmodus zu einem konstruktiven Vorgehen finden, das Europa eint.

Deutschland wird dabei viel aufgeben, aber der gelegentlich wieder erwachenden Großmannssucht und Rechthaberei sollte man am besten gleich entgegenhalten, dass dieses Land immer zu klein war und zukünftig zu alt sein wird, um wirklich eine bestimmende und gleichzeitig in sich ruhende Kraft zu sein. Es stünde Deutschland gut an, sich vor der Trikolore zu verneigen – so bestimmte Helmut Kohl seine erfolgreiche Europapolitik –, und es könnte doch in wirtschaftlichen Fragen sein Gewicht und Interesse verfolgen. Diese uneitle Art sollte Pate stehen, im europäischen Dreamteam darf sich Nicolas der Große nennen, und die Kasse wird von der neo-schwäbischen Hausfrau geführt. In den vergangenen Monaten hat sich Nicolas Sarkozy gewandelt: Er besinnt sich auf die Kraft und industrielle Energie Nordfrankreichs, die der deutschen in keiner Weise unterlegen ist.

Das große Bild ist vorgezeichnet: Auf den Stufen der Kathedrale von Reims haben 1962 Konrad Adenauer und Charles de Gaulle den Grundstein der deutsch-französischen Freundschaft und des heutigen Europas gelegt. Vollenden wir den Bau.

(Erschienen auf Wiwo.de am 05.11.2011)

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