Wenn ich mit Bankern rede, komme ich mir vor wie der kleine Mogli, der Junge aus der Disney-Verfilmung „Das Dschungelbuch“: Du sitzt auf einem dünnen Ast, unten schnappt Tiger Shir Khan nach deinem Bein, und vor dir lockt die Schlange Kaa mit diesem betörenden Blick und ihrem Singsang: „Vertraue mir!“ Wird alles wieder gut mit der Finanzkrise, soll ich den Banken wieder vertrauen? Kann man auf unser Geld noch vertrauen?
Schon Aristoteles wusste: Geld verdankt sein Dasein nicht der Natur, sondern weil die Menschen es als „geltend gesetzt“ haben. Ohne Vertrauen verliert „Nomos“, das Gesetzte, seine Funktion und wird ersetzt. Im Nachkriegsdeutschland galten Zigaretten mehr als die Reichsmark. In einsamen Tälern des Balkans wird immer noch die gute, alte Deutsche Mark als Zahlungsmittel akzeptiert.
In Ländern mit hoher Inflation wie Peru tauschen Sparer den einheimischen Sol auf dem Schwarzmarkt in Dollar um, die in Plastik verschweißt im Keller vergraben werden: ohne Zinsertrag, aber sicher vor galoppierender Inflation, Bankenpleiten und dem Zugriff des Staates auf Sparkonten. In Indien gibt es für eine 100-Dollar-Note 20 Prozent mehr Rupien als für Hundert Ein-Dollar-Noten. Der Grund: Die Dollar werden eingerollt und in einer Körperöffnung, die von unserem Schöpfer dafür eigentlich nicht vorgesehen ist, nach Dubai geschmuggelt und dort in Gold getauscht. Hundert Dollar im Stück haben einen höheren Tragekomfort und rechtfertigen damit einen höheren Kurs. Der Erfindungsreichtum der Menschen ist unbegrenzt, wenn es um den Schutz und die Bewahrung ihres kleinen oder großen Vermögens geht.
Lange haben wir über solche Verzweiflungsaktionen vermeintlich unterentwickelter Völker gelacht. Aber seit der Finanzkrise schwinden die Unterschiede: Banker waren die Ersten, die ihr Bankguthaben in Gold umgetauscht haben. Andere horten Scheine im Tresor zu Hause, weil sie wissen, dass die Bargeldautomaten nichts mehr hergeben, wenn die Bank doch noch pleitegeht. Ich kenne einen Banker, der spekuliert mit einem Rohöltanker auf steigende Ölpreise. Einen richtigen Tanker, der vor Rotterdam dümpelt inklusive philippinischer Mannschaft, nicht irgendein Rohöl-Zertifikat oder Derivat – so was ist nur für Bankkunden da. Einer kauft Garagen („Lassen sich immer vermieten“), andere Holzstapel („Energiekrise“) und Schnapsflaschen („Schnaps geht immer“). Beliebt sind Immobilien und Ackerland.
Gold wird als Rettungsanker erlebt; eine seriöse deutsche Bank empfiehlt, 20 Prozent des Vermögens im mystischen Metall anzulegen, und zwar anfassbar, bar gekauft und damit unsichtbar für Peer Steinbrücks Späher. Das alles sind Symptome für einen schleichenden Vertrauensverlust: Geld gilt als wacklig, die modernen Instrumente der Finanzwelt als brandgefährlich, da hilft es auch nicht, auf den Dollar andere Bilder zu drucken. (Lesen Sie dazu Seite 18.) Es lebe der Sachwert – welcher auch immer.
Die Folge? Wir werden alle ärmer. Kapital wird knapp, wenn es versteckt, verbuddelt, als Goldstück oder Barren im Keller gebunkert oder verschoben wird, jedenfalls nicht investiert werden kann. Wenn das Vertrauen ins Geld schwindet, schrumpft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Gesellschaft; das ist ein ehernes Gesetz.
Und die Banken, die Verursacher des Debakels? Ihre Vertreter raten uns, weiterzumachen wie zuvor. Investmentbanken wie Goldman Sachs und die Deutsche Bank erwarten Milliardengewinne. Das Kasino hat wieder geöffnet, und gezockt wird toller denn je mit unbegrenztem Kredit, denn jetzt stehen mit den Billionen aus den Rettungspaketen mehr Mittel zur Verfügung als je zuvor.
Übrigens: Mogli wurde von Kaa betört und umschlungen – aber befreit von Baghira, dem schwarzen Panther. Heute würde er Gold kaufen.
(Erschienen am 20.06.2009 auf Wiwo.de)