Die Euro-Krise ähnelt immer mehr der Finanzkrise: Diesmal geht es nicht um eine Bank wie Lehman Brothers – nur um Griechenland.
Jede elementare Krise hat ihre Besonderheiten – und doch gibt es Gemeinsamkeiten. So ähnelt die Stimmung heute auf eine fatale Weise etwa der im Spätsommer des Jahres 2008, kurz vor der Pleite der Bank Lehman Brothers: Damals wurde der breiten Öffentlichkeit das wahre Ausmaß der Krise im Bankensektor bewusst. Im Laufe zweier Jahre hatten immer neue Banken, deren Namen oder Bedeutung man vorher gar nicht kannte, von den Staaten gerettet werden müssen, und zwar mit immer höheren, schwindelerregenden Milliardenbeträgen. Diese Art von Retterei glich aber dem Herumkurieren an Symptomen; ungeheure Mengen von wertlos gewordenen Zockerpapieren mit ihren kryptischen Namen zogen die Bankbilanzen ins Rote Meer der Zahlen wie Mühlsteine. In der Realwirtschaft war direkt noch gar nichts spürbar, und doch verbreitete sich ein lähmendes Gefühl des Unbehagens: Statt Wachstum und Investition war für Konsumenten wie Unternehmen plötzlich Konsolidierung und Ausgabenbeschränkung das Gebot der Stunde. Eine Kettenreaktion sich selbst erfüllender Prophezeiungen kam in Gang; die nachlassende Konsumfreude bis hin zur Konsumverweigerung und das rigorose Kappen von Investitionsplänen in den USA und Westeuropa trafen den globalen Handel und übertrugen das Angst- und Rezessionsvirus auf die völlig intakten Produzentenländer wie China. Aus der Finanzkrise US-amerikanischen Ursprungs unter Beteiligung hauptsächlich englischer, deutscher und belgischer Banken erwuchs eine Weltwirtschaftskrise. In der Politik steigerte sich die Wut auf die Banken, die jeden Freitag neu eiskalt immer noch höhere Hilfen verlangten. Dieses Gefühl, einerseits von den Bankern missbraucht und ausgeplündert und andererseits von den Wählern genau dafür beschimpft zu werden, war der tiefere Grund, dass der damalige US-Finanzminister Henry Paulson bei Lehman Brothers den Stecker zog und statt neuer Hilfsmilliarden die Pleite auslöste. Es war eine Entscheidung, deren Folgewirkungen die Welt mehr erschütterte als sonst ein paar Bomben oder mörderische Kriege und Krisen am Rande der zivilisierten Welt. Das Herz der Weltwirtschaft stockte.
Seither treibt die Angst vor dieser Verantwortung die Entscheidungen der Politiker in der Euro-Krise. Es ist dieses Gefühl, das Griechenland und andere Schuldnerstaaten auszubeuten verstehen, weil sie wissen, dass für zunächst ein paar Dutzend Milliarden niemand den Henry Paulson gibt. Aber nach nunmehr zwei Jahren Griechen-Drama stehen wir punktgenau vor der Situation am Vorabend der Lehman-Pleite: Die dauernde Retterei hat nichts an der grundlegenden Problematik geändert, nur die Nullen wachsen von Tag zu Tag. In der Wirtschaft bremst eine lähmende Zukunftssorge alle Entscheidungen. Gleichzeitig steigt auch die Wut der Retter auf die feixenden Gesichter der Geretteten und die Wut der Steuerzahler auf die Rettungsaktionen. Und es sinkt die Angst vor den möglichen Folgen. Denn gelegentlich lernt man ja aus Krisen – etwa, dass nur noch mehr Kredit nicht gegen Überschuldung hilft. Während man sich lange einfach nicht vorstellen konnte, dass eine Bank wirklich pleitegeht, nähert man sich mittlerweile doch dem Gedanken, dass eine Staatspleite Griechenlands und/oder das Ausscheiden des Landes aus der Euro-Zone die Welt eben doch nicht zum Einsturz bringen wird. Ich kenne keinen Manager, der das nicht schon für sich durchgerechnet und für sein Unternehmen erträglich gestaltet hat.
Die Bundeskanzlerin taktiert wohl auf der Zeitachse. Zu einseitig wurde Deutschland die Verantwortung für das Scheitern Griechenlands zugeschoben. Nun wird von Berlin wie von Paris der Bericht der sogenannten Troika aus Vertretern der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank zum Lackmustest der Hilfegewährung stilisiert. Das klingt schön objektiv und ist doch nur Politik. Der Dolch wird herumgereicht – denn keiner will der Mörder sein.
(Erschienen auf Wiwo.de am 01.09.2012)