Tichys Einblick
Nachruf auf eine überlebte Einrichtung

Missionare und Spürhunde und die Bundespressekonferenz

Die Bundespressekonferenz war nie besonders kritisch. Aber ihr Verfall spiegelt den Niedergang des deutschen Journalismus wider. Sie hat sich überlebt.

IMAGO / photothek

Das ist jetzt so etwas, wie wenn man „vom Krieg“ erzählt. Heute allerdings vom geschriebenen Krieg, von der Buchstabenschlacht. Vom Verhältnis zwischen Journalisten und Regierung. Ich bin seit den 80er Jahren Mitglied (mit Unterbrechungen) der Bundespressekonferenz. Wie doch die Zeit vergeht.

Die Peitsche der Ironie statt Glaubenssätzen

In ihren guten Tagen damals war die Bundespressekonferenz e.V. als Verein der Journalisten ein Übungsfeld. Mit unseren Fragen haben wir die Sprecher der Ministerien umkreist. Angebellt, angekläfft, gelegentlich angesprungen. Damals war das Sprecher-Gewerbe eines der großen Könner. Peter Boenisch beherrschte souverän den Saal der Bundespressekonferenz. Wenn er mit schneidendem Spott antwortete, dann jaulte so ein junger, getroffener Hund wie ich schon auf. Die Kollegen lachten und setzten das Frage-Jagd-Spiel fort. Es ging um Fakten, nicht um Glaubenssätze. So muss es sein. Die Journalisten versuchen, die Sprecher mit ihren Fragen zu zerlegen. Die Sprecher winden sich oder schlagen zurück – mit Herrschaftswissen, das den Fragenden dumm dastehen lässt, mit der Peitsche von Spott, mit verletzender Ironie. So sind die Regeln in diesem Spiel. Nach der Konferenz ging man an die Bar, in der es mittags schon so finster und verraucht war wie nach einem Blackout mit Feuersbrunst. Meistens saßen ein paar altgediente Minister schon beim Pils und kommentierten fachkundig die Fragenden wie die Befragten. Es war keine Idylle. Man musste sich seinen Platz am Tresen mühsam erfragen und Erfolge feierte man mit ein paar Runden.

Das Spiel ist nicht immer fair. Mein persönlicher Triumph war es, als ich den Sprecher des Innenministeriums filettieren konnte. Das seinem Ministerium unterstellte Zivilschutzamt hatte buchstäblich Menschenversuche in der Psychiatrie durchgeführt; der leitende Arzt war noch aus der Mengele-Generation und war an KZ-Versuchen beteiligt. Die Information hatte ich von einem leitenden Beamten aus dem Innenministerium. Solche Beamte fühlten sich zur Loyalität verpflichtet – dem Grundgesetz gegenüber. Nicht ihrem gerade aktuellen Brotherren. Journalisten fühlten sich verpflichtet, den Frage-Grill anzuheizen. Dass man versucht, sich gegenseitig zu manipulieren, gehört zum Spiel. Einmal stand Heinz Riesenhuber neben mir, legte mir den Arm auf die Schultern. Er war damals der sehr angesehene Forschungsminister; den Namen seiner derzeitigen Nachfolgerin muss ich erst  nachschlagen. Riesenhuber also sagte zu mir, dem sehr jungen Kollegen: „Ich sehe Sie jetzt fast täglich. Haben Sie was vor? Lassen Sie uns erst mal ein Bier trinken“. Natürlich hatte ich eine Story vor. Wir nannten es „Mann-Deckung“ – den Beobachungsgegenstand nicht aus den Augen zu lassen. Riesenhuber wollte Nähe herstellen, Vertrauen, Sympathie. Das Spiel wird auch mit Psychologie gespielt, das ist in Ordnung, wenn man seine Rolle kennt. Ich glaube, Riesenhuber und ich schätzen uns immer noch, auch wenn mein Text ihn dann wütend gemacht hat.

Vom Frontbomber zum Binnen-I

Einmal haben zwei Kollegen aus der DDR die Aufnahme beantragt. Es war die Zeit, in der die DDR ihre Frontbomber und MiG-17-Begleitjäger auf dem Fliegerhorst Brand in den Sheltern startklar hielt; im Alarmfall wären sie in drei Minuten über Berlin gewesen und ein paar Minuten später hätte sie Fulda, Göttingen, Hannover ausgeknipst, während die Bundeswehr noch in den Betten gelegen wäre. DDR-Kollegen waren Feinde. Wir haben sie trotzdem aufgenommen. Demokratie hält auch Feinde aus, das wollten wir demonstrieren. Auf dem ehemaligen Flugplatz steht jetzt das Spaßbad Tropical Islands. Die Lage hat sich entspannt.

Auch die so gefürchteten Kollegen des russischen Staatsfernsehens sind heute zahm und gesittet. Die Konflikte sind harmlos, aber die heutigen Kollegen und  Kolleg*innen ängstlich darauf bedacht, dass man das Sternchen mitspricht. Schöne Sorgen, gewaltige Konflikte in der Buddelkiste. Große Probleme werden längst außerhalb der Bundespressekonferenz verhandelt, rund um die Uhr. Es ist ein überholtes Ritual, das tägliche Treffen, auf dem Informationen präsentiert werden, die längst überholt sind. Es passte in eine Zeit, in der Zeitungen über das Geschehen von gestern berichteten, nicht aber ins Internet-Zeitalter mit Real-Time-Reporting. Es ist Opas Heldengedenken. Damals musste ich einmal amerikanische Kollegen als Gäste führen. Sie waren erstaunt, wie zahm wir gefragt haben. Aus dem Press Room des Weißen Hauses kommend fanden sie uns harmlos. Dort geht es härter zu. Beinhart. US-Journalisten sind Wölfe. Der Präsident und seine Sprecher sind ihnen gewachsen. Ihre Antworten sind wie Peitschenknallen; damit halten sie sich die Meute vom Leib – oder gehen unter. So ist es gut. Jeder muss seine Rolle ausfüllen.

In Berlin ist die Bundespressekonferenz notorisch langweilig. Aus zahm wurde lammfromm. Die Sprecher sind meist unerfahren, das reicht ja auch, um ihre Sprechzettel abzulesen. Regierungssprecher Seibert ist wie sein ZDF: langweilig. Man hat geradezu Mitleid mit ihm. Die Kanzlerin nimmt ihn nicht ernst, und als Journalist kann man ihn auch nicht ernst nehmen. Die Kollegen sitzen vor Bildschirmen im Büro statt im Saal. So kann Treibjagd nicht funktionieren. Denn dazu gehört der Korps-Geist eines Rudels, das nicht einsam eine Geschichte schreibt, sondern gemeinsam auf Jagd geht. Gegen die Regierung. Sie ist das Beutestück, aus dem sich jeder einen Fetzen Wahrheit herausreißen will. Freiwillig geben ihn die Regierenden nicht her.

Übernahme durch Wiedervereinigung

Was ist passiert? Renate Köcher hat schon 1985 eine Arbeit vorgelegt mit dem Titel „Spürhund und Missionar“. „Spürhund“ ist ihre Metapher für investigativen Journalismus. Der „Missionar“ bekehrt, trägt die Botschaft der Regierung in das Volk. Schon damals wunderte sich Köcher, die seit vielen Jahren Chefin des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts ist, dass westdeutsche Journalisten in vielen Feldern nicht die Sicht der angelsächsischen Kollegen teilten. Die verstehen sich als Spürhunde. Westdeutsche Kollegen ähneln in ihrer Berufsauffassung eher den ostdeutschen und sowjetischen Kollegen: Lenin hat ihnen die Aufgabe zugeschrieben, sie seien der „Transmissionsriemen“, der die Erkenntnisse der Partei unter die Leute bringt. Seit der Wiedervereinigung hat die DDR-Auffassung langsam die Herrschaft ganz übernommen. Die Kollegen sind brav, zahm, sie zeigen Haltung. Das zeigt sich zuletzt in der Corona-Krise. TE enthüllte, dass in einer Analyse des Bundesinnenministers die Folgen der Corona-Politik als verheerender eingeschätzt wurden als die Pandemie selbst. Die Frage an Innenminister Horst Seehofer lautete: „Was sagen Sie zu dem ominösen Papier, das rechte Portale verbreiten?“ Da musste selbst Seehofer lächeln, seine Antwort ist bekannt. So fragen Missionare, nicht Spürhunde.

Ähnlich folgenlos blieb die Enthüllung der Welt am Sonntag, dass das Innenministerium ein Forschungsinstitut mit Rang und Namen dazu gebracht hat, die Folgen der Pandemie weit überzogen darzustellen, um so die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Damit sie noch manipulierbarer wird. Die Bundespressekonferenz hat vor sich hin gedöst. Das ZDF hat zehn Tage später kurz darüber berichtet. Journalismus ist zahm geworden, lässt sich mit den Informationsbröckchen abspeisen, die die Regierung verteilt wie Leckerli an ihren Schoßhund.

Mundschutz oder kein Mundschutz?

Derzeit versucht dort Boris Reitschuster, die ermattete Veranstaltung zum Leben zu erwecken. Dass er Mundschutz tragen muss, die Sprecher aber nicht, ist keine Stilfrage, sondern Machtdemonstration. Dass ihn eine Kollegin ermahnt, den Mundschutz aufzusetzen, ist die Bankrotterklärung eines Berufsstands. Die Regierungssprecher sitzen nicht mehr nur vorne, sondern auch unter den Journalisten. Reitschuster führt gekonnt eine Institution vor, die innerlich vergreist ist. Zum Abschied von einer überlebten Einrichtung gewissermaßen. Denn wiederbeleben lässt sie sich nicht. Was Reitschuster natürlich weiß.

Dass jetzt „Kolleg*innen” Jagd auf ihn machen, kenne ich. Sie suchen einen Anlass; bei mir war es eine bewusst missverstandene Satire, die 350 Tageszeitungen und die großen Nachrichtensendungen zum Halali genutzt haben. Die gute Nachricht ist: Diese Art von medialem Donnerwetter überlebt man, es sind zuckende Blitze ohne Energie, wenn Stilfragen zu Grundsatzfragen aufgeblasen werden. Missionare stören sich an Fragen anderer, die sie selbst nicht stellen wollen, weil Fragen das ihnen Allerheiligste beschmutzen könnten: die mysteriöse Weisheit der Regierung, der sie sich verpflichtet fühlen und die sie verteidigen bis zum letzten Exemplar ihrer sinkenden Auflagen. Neid und Existenzangst kommt dazu.

Neid, dass eine Medienlandschaft außerhalb ihres Schutzraums entstanden ist und wächst – und wie. Dort werden die Fragen gestellt. Die Bundespressekonferenz e.V. ist eher ein Schutzraum geworden, ein Safe-Space der Herrschenden. Missionare fürchten sich vor bissigen Spürhunden.

Mit der wirklichen Welt des heutigen Geschehens, nicht Tag für Tag, sondern Stunde für Stunde, oft Minute für Minute kommen die missionierenden Medienleute von gestern nicht mehr mit. Die Leute von heute durchschauen das abgekartete Geschehen in der Bundespresskonferenz, dieses ergraute Schauspiel von ausgedienten Darstellern ganz von selbst. Was ihnen dann noch fehlt an Hintergrund und Zusammenhang, liefern echte Internetmedien, nicht die Online-Ableger der Medien von gestern.

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