Der Millionen-Zustrom an „Flüchtlingen“ und Glücksrittern, wie ihn Merkel 2015 ausgelöst hat, soll sich nicht wiederholen. So jedenfalls lautet Merkels Versprechen auf ihre leichtfertige und bedingungslose Grenzöffnung. Aber einige arbeiten schon darauf hin, genau diesen Mechanismus in Gang zu setzen: Grünen-Chefin Annalena Baerbock will die „Kapazitäten an Flüchtingsunterkünften wieder aktivieren“.
Aber so einfach wie die eher schlichte Grünen-Chefin es sich so vorstellt, wird es diesmal nicht abgehen. Deutschland hat die Folgen der Massen-Immigration von 2015 und den Folgejahren noch nicht bewältigt. Damals wollte Merkel „hässliche Bilder“ vermeiden, die ihrem Ansehen schaden könnten. Jetzt sind sie da die Bilder, an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland. Aber zumindest vorübergehend ist die konservative griechische Regierung bereit, sie auszuhalten. Die griechische Polizei drängt die Flüchtlinge am Grenzübergang Pazarkule mit Tränengas zurück, die daraufhin mit Steinen warfen.
Griechenland reagiert so hart, weil die Geduld vor allem vieler Insel-Griechen erschöpft ist. Auf der griechischen Insel Lesbos ließen wütende Inselbewohner am Sonntag rund 50 Migranten in einem Schlauchboot im Hafen von Thermi nicht an Land, wie AFP-Fotografen berichteten. Sie schrieen: „Geht zurück in die Türkei“, beschimpften einen Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), einige griffen Journalisten und Fotografen an. Nahe des Strands von Skala Sykamineas beobachtete ein AFP-Fotograf, wie Griechen ein nicht mehr genutztes UN-Begrüßungszentrum für Flüchtlinge in Brand setzten. Eine weitere Gruppe Griechen versuchte unterdessen, einem Polizeibus mit Migranten mit Ketten und Steinen den Weg in das heillos überfüllte Lager Moria zu versperren, wie die griechische Nachrichtenagentur ANA berichtete.
In Griechenland wird Merkel für die Zuwanderung verantwortlich gemacht. Durch ihre Bereitschaft, jedem Migranten wenn schon nicht Asyl, aber nach einigen Jahren doch ein dauerndes Aufenthaltsrecht zu gewähren und damit lebenslangen Zugang zu deutschen Sozialleistungen, Krankenversorgung und Rente sowie häufig Familiennachzug würde sie die Fluchtbewegung erst in Gang setzen – die dann vorläufig in Griechenland endet. Denn die anderen europäischen Länder drängen entschieden darauf, den Flüchtlingszuzug zu stoppen. Griechenland wird damit zum Massenlager für Migranten, die den Versprechungen aus Deutschland folgen.
Merkel steht damit vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik: „Nun sind sie halt da“ – so lapidar soll sie schon im September 2015 auf Kritik aus der CDU reagiert haben. Aber die Migranten sind nicht einfach nur da. Diesmal werden sie ganz gezielt vom türkischen Präsidenten geschickt, dem sie bekanntlich sechs Milliarden und eine Reihe politischer Zugeständnisse wie Visa-Freiheit und Wiederaufnahme der Beitritts-Verhandlungen zur EU dafür gezahlt und zugesagt hat, dass er genau das verhindern soll.
Nicht nur um schiere Zahlen geht es. Nicht bestätigen lassen sich Behauptungen, dass Erdogan auch seine Gefängnisse leert, die er für seine Kritiker braucht. Es geht aber auch um islamistische Gewalttäter und Söldner, die nach dem Ende der IS-Herrschaft in Syrien ihre Haut nach Deutschland retten wollen.
Und letztlich steckt Merkel in der Klemme zwischen Erdogan und Russlands Putin.
Erdogan ist Eckpfeiler ihrer Politik, den Flüchtlingszustrom nach Deutschland zu begrenzen – er ist ihr Grenzpolizist, zuständig für die Vermeidung hässlicher Bilder.
Durch den Einmarsch türkischer Truppen nach Syrien aber steht Erdogan in der direkten militärischen Konfrontation mit russischen und syrischen Truppen, die Erdogan zum Rückzug zwingen wollen.
Dieser Rückzug bedeutet für Erdogan nicht nur einen Prestigeverlust – offensichtlich ist Syrien bereit, an der Grenze zur Türkei einen teilautonomen Kurdischen Staat zu ermöglichen. Davon allerdings ginge ein ungeheurer Anreiz auch auf Kurden in der Türkei aus, sich dem anzuschließen, um endlich in der Vorform eines eigenen Nationalstaats leben zu können.
Erdogan will nun die NATO zur Unterstützung für seine militärische Abenteuer gegen die Türkei nötigen; nicht mit Truppen, die die Nato ohne Hilfe der USA gar nicht entsenden könnte, aber mit der Waffe Cash. Die vertragliche Beistandsverpflichtung der Nato für ein militärisches Abenteuer der Türkei auszulösen ist aber keine Politik, die vermittelbar ist – oder Erfolg haben könnte: Längst hat sich Deutschland von Putins Gaslieferungen abhängig gemacht. Merkels Energiewende basiert darauf, dass Kohle- und Kernkraftwerke durch russisches Erdgas für Strom- und Wärmeproduktion ersetzt werden.
Merkels Regierung schlingert. Noch im Herbst vergangenen Jahres war Berlins Haltung eindeutig:
Bundesaußenminister Heiko Maas nannte den türkischen Einmarsch in Syrien für „nicht im Einklang mit dem Völkerrecht“ stehend. Unter dem Druck von Erdogans Flüchtlingswaffe knickt Maas schon ein, und solche Erklärungen werden nicht ohne Zustimmung des Kanzleramts abgegeben:
„Wir verurteilen die fortgesetzten Angriffe des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten im Norden Syriens. Unser Mitgefühl gilt unseren türkischen Partnern.“
Merkel steht damit am Ende ihrer populistischen Politik, deren Muster immer wieder dasselbe ist: Sie wartet ab, wohin sich die öffentliche Meinung bewegt, die sie an den Überschriften einiger Mainstream-Medien abliest. Dann trifft sie eine populistische Entscheidung, deren Lasten die Bevölkerung zu tragen hat. Dies war bei der überstürzten Energiewende nach dem Tsunami vor Japan der Fall und so hat sie die massenhafte Asyleinwanderung ausgelöst. Doch mittlerweile ist der Widerstand in der Bevölkerung so massiv, dass diese Art der Politik nicht mehr vermittelbar ist. Und in ihrer eigenen Partei laufen sich Bewerber für ihre Nachfolge gerade warm. Auch deren Chancen verändern sich mit der politischen Lage: Armin Laschet gibt sich als Bewahrer der Merkel-Politik; Herausforderer Norbert Röttgen läuft sich als Kritiker ihrer Syrien-Politik warm. Friedrich Merz zögert noch. Vermutlich hat er noch nicht erkannt, woher der Wind weht und dementiert sich vorerst lieber selbst.