Angefangen hatte es mit „versagensbereit“, einer Neuschöpfung der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, um einem Opfer die Verantwortung zuzuschieben und die Täter zu entlasten. Nicht die Tritte der Täter gegen den Kopf eine längst zu Boden Gegangenen sind zu bestrafen – denn die Ursache des Todes liege in der „Versagensbereitschaft“ des Opfers, das mit einem Herzschrittmacher ausgestattet nicht im Vollbesitz der Gesundheit ist.
Das ruft nach Erweiterung der Möglichkeiten, wie die Täter-Opfer-Beziehung umgekehrt werden kann: Wie kann das Opfer verantwortlich gemacht werden, um eine strenge Bestrafung der Täter zu verhindern? Folgende Idee:
Mein Lieblingsspruch zum victim blaming wäre „Zur falschen Zeit am falschen Ort“. Das Opfer hat also gleich zweimal ein Fehlverhalten an den Tag gelegt, gewissermaßen die schuldhafte Umkehr der Heisenberg’schen Unschärferelation.
Oder ist nur ein „sanfter Rechtsbruch“, womit Heribert Prantl vom gleichnamigen Prantlhausener Anzeiger aus Süddeutschland eine neue Rechtskategorie einführt, um Vergehen im Zusammenhang mit dem Asylrecht zu verharmlosen?
„Wie die Staatsanwaltschaft wohl geurteilt hätte, wenn ein Deutscher die Türkei beschimpft hätte?
Aus Bonn Bad Godesberg erreicht uns dazu ein Tadel von Armin Reichert, der sich auf unsere nicht-vollständige Recherche bezieht. Denn nicht nur in Köthen, sondern früher schon im Rheinland wurde einem Opfer angelastet, nicht hinreichend auf seine Gesundheit geachtet zu haben, was einen der Täter in ein schiefes Licht brachte und weshalb ein Freispruch nur mit Mühe erzeugt werden konnte. Und auch das nur vorübergehend.
„Walid S., der wegen des gewaltsamen Todes des Bad Godesbergers Niklas Pöhler vor Gericht stand und am Ende freigesprochen wurde, steht erneut im Fokus der Ermittler: Der 23-Jährige steht im Verdacht, zusammen mit vier weiteren teils polizeibekannten jungen Männern aus Bad Godesberg einen 23-Jährigen krankenhausreif geschlagen zu haben.“ (General Anzeiger Bonn, 09.10.2018)
Im Einzelfall nimmt die Begegnungsqualität ab
Einmal richtig hinlangen reicht halt nicht für eine Strafe für traumatisierte Täter mit ausgeprägter Haftempfindlichkeit. Kein Wunder bei dieser Art von Strafverfolgung, dass die „Begegnungsqualität“ mit manchen der neuen Mitbürger rauer wird, fürchtet eine Leserin wohl nicht ganz zu Unrecht.
Aber selbstverständlich ist das nur ein „Einzelfall“, ein Begriff, den viele Leser als Unwort prämiert sehen möchten und der die polizeiliche Aufklärungsarbeit sicherlich erleichtert; „Profiling“ von Tätern nach übereinstimmenden Merkmalen ist im offiziellen deutschen Verständnis ein Auswuchs an angelsächsischem Rassismus.
Auf den „Einzelfall“ folgen Begriffe wie
1. Ängste schüren
2. Generalverdacht
3. Beziehungstat
4. Wasser auf die Mühlen der Rechten
5. nur von regionaler Bedeutung, Vorschläge, die von Klaus Kabel stammen und schnell ergänzt waren.
Es ist eine Fortsetzung von „victim blaming“: Nicht mehr der Opfer wird gedacht – und verdächtig macht sich, wer gegen die Tat protestiert. Mittlerweile gehört es zum Ritual, unmittelbar nach Mord oder Angriffen auf die einheimische Bevölkerung Demonstrationen durchzuführen, die sich nicht gegen die Täter richten, sondern gegen „Hetzer“, für die die Tat „Wasser auf die Mühlen der Rechten“ ist, die jeden einzelnen Zuwanderer unter „Generalverdacht“ stellen. So war es nach den Morden in Freiburg, Kandel, Chemnitz und jüngst im oberpfälzischen Amberg, wo vier Asylbewerber ein Dutzend Einheimische zum Teil krankenhausreif prügelten: „Unzählige Menschen machen bei einer Demonstration deutlich“, meldete die Mittelbayerische Zeitung, „dass sie für eine soziale und tolerante Gesellschaft stehen.“ Und Oberbürgermeister Cerny von der CSU erklärte, man wollen „einen inhaltlichen Gegenpol setzen gegen alle Bestrebungen, Menschen herabzuwürdigen, einen Spalt in unsere Gesellschaft zu treiben und die Gleichheit aller Menschen in Frage zu stellen.“ Die Frage ist: Was ist mit den Opfern – wurden die nicht herabgewürdigt, und zwar sehr handfest? Haben die Opfer einen Anwalt in ihrem OB oder stellt der sich an die Seite der Täter? So wird Verantwortung verschoben – von den Gewalttaten, die konkret das Leben bedrohen, hin zu einem fiktiven Gegner, der die Demokratie gefährdet.
Das laute Schweigen der Medien
Medien berichten gerne über solche Demonstrationen für Gerechtigkeit und gegen Rechts, weswegen eine besondere Variante von großer manipulativem Einfallsreichtum steht. Es geht bei Gefährdern, Mördern, Vergewaltigern und Totschlägern um „sicherheitsgefährdende Schutzsuchende“ (in der Anwendung hier: Welt 26.09.2018), vor denen die Bevölkerung wenigstens halbwegs geschützt werden sollte.
Ganz aktuell nach Amberg gelang mehreren Leitmedien eine besonders originelle Verharmlosung, die es wert ist, in die Liste der Unworte aufgenommen zu werden: In Amberg habe es sich nur um eine „Prügeltour“ gehandelt.
Eine Prügeltour ist semantisch so etwas harmloses wie eine Fahrradtour, oder eine Wandertour zu Vatertag – also kein besonderes Vorkommnis. Allerdings wendet sich die Sprache sofort, wenn es um Demonstranten, geht, die gegen solche Vorkommnisse auf die Straße gehen.
Auch für Holger Türm waren die „Zusammenrottungen und Hetzjagden“ von Regierungssprecher Seibert zum Mord in Chemnitz ein trauriges Highlight. In der zur Zeit angesagten politisch korrekten Ausdrucksweise ist das schon „wahrheitsoriginell“.
Wahrheitsorginell – eine gute Variante für eine Medienlandschaft, in der es längst nicht mehr um Fakten geht, sondern um Haltungsjournalismus.
Dazu passt wie ein weiteres Puzzlestück einer wahrheitsverfremdenden Sprache der Begriff „erweiterter Suizid“, oder der Versuch eines solchen. „Es ist die mediale Beschönigung für ein Selbstmord-Attentat. So wurde zuletzt die Fahrt eines (muslimischen?) Bosniers durch eine gut gefüllte Bushaltestelle in Recklinghausen bezeichnet,“ so der Einreicher.
Wider den Neutralitätswahn – was zählen Fakten, wenn man meint?
Der Fall des SPIEGELS befördert weitere Unwörter zu Tage – etwa den „Neutralitätwahn“, den der WDR-Redaktionsleiter Georg Restle an jeder Ecke wahrzunehmen meint und der bewirkt, dass immer noch Reste von Nicht-Haltungsjournalismus mit seinen lästigen Fakten in Konflikt mit den Vertretern des unwahren, aber schönen Scheinjournalismus geraten: Die Haltung des SPIEGEL, der zu gern komplett erfundene Geschichten akzeptierte, wenn sie nur zu den Vorurteilen seiner Journalisten passt, wird mit einem Wort erfasst, das wir gerne im kommenden Jahr prämieren wollen, weil es in wenigen Buchstaben die Haltung des SPIEGELS und seiner Epigonen umfasst:
„Illusionsbereit“ lautet dieses Wort, das zum „Relotius-Journalismus“ der deutschen Leitmedien paßt. Weitere Vorschläge sind „Demokratieerziehung“ oder „Demokratieunterricht“. „Benutzt unter anderem von der SPD-Ministerin Franziska Giffey aus Berlin-Neukölln, um sächsische Schüler nach den „Hetzjagden von Chemnitz“ in ihrem Sinne „umzuerziehen“ und um alternative Wahrheiten zu schaffen, weil die Realität auf unseren Strassen sich leider so gar nicht an den Plot im neusten GEZ – „Tatort“ halten will“, spottet ein Leser.
Vorgeschlagen wird wegen seiner offenkundigen Unstimmigkeit auch NGO/Nicht-Regierungsorganisation:
„Insgesamt hat die Europäische Kommission im Zeitraum 2014-2017 somit rund 11,3 Milliarden Euro an NGOs verteilt,“ so die Fakten für den Hintergrund.
Der EU-Rechnungshof fragt: Was ist eigentlich eine NGO?
NGOs sind also oft faktisch das genaue Gegenteil einer Nicht-Regierungsorganisation, denn sie werden von Regierungen dafür bezahlt, für die Ziele der Regierung in einer Art und Weise zu kämpfen, die mit Rechtsstaat und Demokratie wenig zu tun haben.
Auch Fachkräftemangel ist nur noch ein New Speak-Element.
„Denn nachdem was uns die Politik, Wirtschaft und auch Medien ab 2015 eintrichtern wollte, dürfte es diese (Un)Worte nach heute mittlerweile 2 Mill ins Land zugereisten Fachkräfte gar nicht mehr geben.“
Wie lange lassen sich die Deutschen die Zerstörung und Umwertung von Sprache und Begriffen und damit der Politik gefallen? Die Verleugnung von Fakten, die Verdrehung von Zusammenhängen, das Leugnen von Verantwortung?
Ein Leser schickt uns folgenden Text:
„I have a sheep farmer friend in Devon. He told me about how difficult it is to keep sheep alive: they jump into lakes, fall off cliffs, run under vehicles, eat poisonous stuff… My mind have immediately made the association with Germans, who are for the last century or so inventing ever more ingenious ways to finish themselves off, and evidently they will not stop until they have succeeded.“
Zur Übersetzung des Textes reicht ein Wort, das uns ebenfalls eingesandt wurde:
Die Deutschen sind eben „erschlagensbereit“.
PS.: Weitere Vorschläge werden gerne entgegengenommen. Nicht alle Vorschläge konnten berücksichtig werden – aus Gründen der Überlänge. Wird bitten dafür um Nachsicht und Verständnis.
PPS.: Da es sich bei dem Täter der Anschläge in Bottrop und Essen um einen Deutschen handelt, werden die Tatbestände und vermutlichen Motive ohne Umschweife beim Namen genannt. So soll es sein. In jedem Fall. Täter gehören gefasst und bestraft. Auf eine solche rechtsstaatliche Beurteilung darf hier wohl gesetzt werden. Selbst die mögliche psychische Störung wird nicht zur Verharmlosung benutzt. Dieser normale Umgang mit Fakten unterstreicht den unnormalen bei nichtdeutschen Tätern.