Das Enteignungsgespenstchen geht vorerst nur in Berlin um, und auch dort nur gegen „Großkonzerne“ im Wohnungsbereich. Großkonzerne, die lassen sich leicht entmenschlichen und als bösartiges Ungeziefer darstellen, wie es der „Spiegel“ vorgemacht hat; das Magazin hatte einen Immobilieneigentümer als eine auf einem Wohnhaus hockende Riesenheuschrecke mit Anzug, Krawatte und Smartphone abgebildet. Aber Vorsicht: Das Gespensterchen hat den Hang und Drang zur Größe. Sein Wachstums-Gen verlangt nach ständiger Expansion. Vorläufiger Höhepunkt: Die neue Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hält die Enteignung privater Wohnungsbaugesellschaften unter bestimmten Bedingungen für geboten.
Es gehe darum, Menschen zu helfen, „die dringend auf eine bezahlbare Wohnung angewiesen sind oder nicht wissen, ob sie sich ihre Wohnung inZukunft noch leisten können“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Das universelle Argument der Menschenrechte
Durch Enteignung wird zwar nicht eine Wohnung mehr gebaut, eher weniger. Dann war aber die Enteignung wirkungslos, weil sie sich bloß auf Großkonzerne bezogen hat — das ist die Logik sozialistischer Argumente: Wirkungslosigkeit einer Maßnahme verlangt nach Erhöhung der Dosis. Schon jetzt haben die Jusos in der Debatte den Grenzwert auf 20 Wohnungen gesenkt. „Mit welchem Recht hat jemand mehr als 20 Wohnungen?“ — So lautet die rhetorische Frage ihres Vorsitzenden Kevin Kühnert. Wer braucht schon mehrere Wohnungen, wenn er doch nur in einer wohnen kann? Wer kann Und der Vorsitzende der Grünen Robert Habeck hat den nächsten Schritt formuliert: Viele Alte würden in zu großen Wohnungen wohnen. Da muss doch etwas zu machen sein, oder? Die Linke redet von „solidarischer Verteilung von Wohnraum“.Das Gespenst wächst schnell. Es hockt jetzt in jeder Wohnung, nachdem Lambrecht das E-Wort zum Regierungsprogramm geadelt hat.
Damit ist der Weg in die Enteignung vorgezeichnet, und er ist gut gepflastert. Schließlich ist Wohnen ein Menschenrecht. Oder etwa nicht? Schon gegen die vagen Pläne der Privatisierung von Wasserwerken wurde dieses „Menschenrecht“ ins Feld geführt. Es ist ein sehr brauchbares, weil beliebig ausdehnbares Argument: Wieso darf ein Bäcker gegen das Menschenrecht auf Nahrung verstoßen, indem er einem Hungrigen kein Brot schenkt, sondern Geld dafür verlangt? Das Gespenst hat viele Geschwister.
Enteignung und Verstaatlichung — und auf nichts anderes zielen Enteignungen — gilt seltsamerweise in Deutschland vielfach als Allheilmittel. Die Polemik der Nazis gegen Kaufhäuser und Großbauern, die DDR und ihre verrotteten Wohnungsbestände, das Debakel um den Berliner Flughafen aus Staatshand, die unerträglichen Verspätungen der staatlichen Bundesbahn — Erfahrungen verblassen, allein der Glaube bleibt: Der Staat ist gerechter, Funktionäre sind menschenfreundlicher, Bürokratien arbeiten effizienter. So klingt der Glaube an das ewig Gute im Staate.
Die neue Liebe zur kaputten Stadt
Wie kommt es, dass staatliche Tristesse, bröckelnder Staatsputz und elende Wohnungsknappheit plötzlich als erstrebenswert gelten? Die Forderung nach Enteignung ist bei einem großen Teil der Wähler populär. Die neue Enteignungslust überspringt das Links-rechts-Schema; sie kommt von links und wird ganz rechts mit Beifall aufgenommen, wo man schon immer das jüdische Großkapital der Wallstreet misstrauisch beäugt hat. Das Gespenst der marktwirtschaftlichen Feindschaft in Deutschland steht auf einem rechten und auf einem linken Bein.
Der Staat erwirtschaftet nicht, er verteilt nur das um, was vorher andernorts erarbeitet wurde. Aber der Wohlstand für alle in Deutschland stagniert. Das Versprechen steigenden Wohlstands hat seinen Glanz verloren. Vielmehr geht es für immer mehr Bürger um die Verteidigung des Erreichten; das erscheint bedroht, und die Bedrohung ist real.
Die verfügbaren Einkommen steigen in Deutschland im Durchschnitt und für die meisten Einkommensklassen nur noch be scheiden: in den letzten 25 Jahren, und das umfasst eine Generation, nur um 15 Prozent. Bei 20 Prozent der Personen mit den niedrigsten Einkommen steigt es allerdings gar nicht, und das bei mittlerweile annähernder Vollbeschäftigung. Es fällt schwer, den Lebensstandard der Eltern zu halten; ihn zu über treffen ist noch weit schwerer. Das schafft Unzufriedenheit, auch vor dem Hintergrund einer langen wirtschaftlichen Wachstumsphase, in der die Erträge nicht bei den Menschen ankommen.
Die Folgen der Finanzialisierung
Es ist wachsendes Misstrauen gegenüber der Finanzialisierung von Gesellschaft und Wirtschaft — entstanden schon vor der Finanzkrise. Es ist das Unbehagen daran, dass die Banken und Finanzinstitute ihr Innovationspotenzial und ihre Macht für eigene Geschäfte nutzen, die sich lediglich im Geldbereich abspielen, während gleichzeitig der von den Finanzmärkten ausgeübte Renditedruck viele Arbeitsplätze kostet. Nach der Finanzkrise schien dieser Druck gebrochen: Die Staaten mussten Banken sowie letztlich Wirtschaft und Gesellschaft retten — was einen ungeheuren Verlust des Vertrauens in diese Bereiche der Marktwirtschaft zur Folge hatte. Die einfache Lehre, die daraus gezogen wurde: Am Ende muss es doch der Staat richten.Damit schien die Macht der Banken gebrochen. Aber seltsamer weise kehrte die Finanzialisierung in anderer Form zurück, als immer sichtbarere Folge der Nullzinspolitik der Notenbanken. Die Zentralbanken überschwemmen die Gesellschaft durch Anleiheankäufe mit billigem Geld, um einen Konjunktureinbruch zu verhindern, die überhöhten Staatsverschuldungen in vielen südeuropäischen Staaten finanzierbar zu halten und die Wirtschaft insgesamt zu stabilisieren. Es ist ein ehrenwerter Versuch, ins besondere in Europa, um die explosive Mischung aus Überschuldung mancher Staaten, notwendiger Anpassungsleistungen im gemeinsamen Währungsraum, Konjunkturschwäche und drohender Deflation mit den Mitteln der Geldpolitik ein zudämmen. Diese Zins und Geldmengen-Finanzialisierung stabilisiert. Sie hat aber, je länger sie anhält, schmerzhafte Nebenwirkungen. Die Nullzinsen gefährden, mit jedem Jahr dramatischer, die Altersversorgung der Deutschen, die zum großen Teil auf Lebensversicherungen und Zinspapieren beruht.
Es lohnt sich nicht mehr zu sparen — was auch erklärtes Ziel dieser Art von Geldpolitik ist. Aber statt zu entsparen, legen die Deutschen mehr Geld weg gegen die drohende Altersarmut. Es ist ein seltsamer Wettlauf: Es wird mehr gespart, weil die Europäische Zentralbank (EZB) das Sparen unattraktiv macht.
Künstlich aufgeblähte Kurse
Gewinner sind die Aktienbesitzer. Die freien Mittel strömen in die Aktienmärkte und treiben die Kurse. Aber auch die Unternehmen spielen beim Nullzinsspiel der EZB mit – allerdings anders als gedacht. Trotz niedriger Zinsen investieren sie kaum. Vielfach verschulden sie sich nur, um eigene Aktien zurückzukaufen. Das treibt wiederum die Kurse. Mit billigem Geld und entsprechenden Transaktionen werden also die Unternehmenswerte gesteigert als Folge der Finanzialisierung über steigende Aktienkurse, die vom Fluchtgeld immer weiter an gehoben werden. Nicht mehr Erfolge auf den Güter und Dienstleistungsmärkten sind entscheidend, sondern künstlich aufgeblähte Kurse.
Steigende Kurse wiederum erfreuen die Aktionäre — auch ohne Investitionen. Unternehmenswertsteigerung ohne Unternehmenswertwachstum ist die Folge. War um auch Risiken einer Investition eingehen, wenn mit demselben Eigenkapital oder sogar mithilfe von Nullzinskrediten Unternehmenswertsteigerung durch den einfach zu bewerkstelligenden Aktienrückkauf machbar ist? Dumm ist, wer investiert, klug, wer die freien Mittel finanzialisiert.
Es ist eigentlich nur ein inflationärer Prozess: Die Preise für Aktien steigen, weil in Ermangelung von Alternativen die Nachfrage nach Aktien steigt. Geld für diese Nachfrage stellt die Europäische Zentralbank in Hülle und Fülle praktisch unbegrenzt zur Verfügung — zwar für andere Zwecke gedacht, aber wie für steigende Kurse gemacht. Die Perversion der Geldpolitik vergiftet die Gesellschaft. Wie jede Inflation.
Steigende Immobilienpreise
Betongold gilt als sichere Anlage in einer unsicheren Finanzwelt. Es sind die anlagesuchenden Geldcontainer aus Italien und Skandinavien, die den Berliner Immobilienmarkt aus seinem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf erweckt und zunächst die Kaufpreise nach oben getrieben haben. Während viele Bürger „arm“ blieben, wurden die Immobilien plötzlich sexy, zumal sie im Preis immer noch unter dem Niveau vergleichbarer Städte wie Hamburg, München und Frankfurt liegen und meilenweit entfernt sind von anderen Metropolen wie London oder Paris. Und in einem europaweiten oder sogar globalen Vergleich kann der Beriner Immobilienmarkt keine Insel mit preiswerten Wohnungen bleiben. Die Mieten folgen den Kaufpreisen. Dabei nähren steigende Mieten weiter steigende Mieten: Nach einem jüngsten Urteil sind Vermieter verpflichtet, ihre Mieten zu erhöhen. Zu niedrige Mieten kämen einem Geschenk gleich, das entsprechend versteuert werden müsste.
Doppelte Preissteigerung
Hinzu kommt, dass der Immobilienmarkt in Deutschland höhere Preise erfordert, da die Nachfrage nach Wohnraum steigt. Derzeit beträgt der Wohnraumkonsum 48 Quadrat meter je Kopf, man wohnt gern groß zügig. Der Zuzug von Millionen aus Osteuropa im Zuge der europäischen Freizügigkeit für seine Bürger und als Folge der Fluchtbewegung aus Nordafrika erhöht ebenso die Nachfrage wie die innerdeutsche Binnenwanderung: Das Land und kleinere Orte gelten als langweilig; Stadtluft macht wieder frei. Selbst Vororte gelten neuerdings wieder als spießig; durch die gezielte und dramatische Verteuerung der individuellen Mobilität mit dem Auto ist es wieder preiswerter, zentral zu wohnen, da mit Anfahrts- und Versorgungswege zu verkürzen. Es ist nach wie vor keineswegs so, dass überall die Immobilien preise steigen würden. In der Eifel, der Oberpfalz, weiten Gegenden Niedersachsens, Nordostbayerns, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wie in Gemeinden außerhalb der industriellen Leuchttürme Ostdeutschlands sinken die Preise und Mieten für Immobilien. Niedrige Preise sind ein Argument, mit denen eine scheinbar unattraktive Mittelstadt in Nordhessen gegen die Metropolregion Frankfurt punkten könnte. Die Allokationswirkung der Preise könnte diesen Regionen helfen und gleichzeitig die Metropolen entlasten. Der Markt funktioniert. Wenn man ihn läßt.
Wie billig muss eine Wohnung sein?
Die Frage ist nur: Ist die Politik bereit, dies auszuhalten? Gibt es ein Gesetz, das billiges Wohnen im Zentrum der Hauptstadt erzwingt? Gibt es einen Anspruch auf ein billiges Studentenapartment in jeder Stadt, die einem gefällt? Oder sind niedrige Preise ein Standortvorteil für Städte, die sonst wenig attraktiv erscheinen? Diese Überlegungen werden weggewischt von Politik und Medien, deren Erfahrungshorizont von den nachholenden Immobilienpreisen in den Szenevierteln Berlins geprägt ist und die für die wirtschaftlichen und finanziellen Hintergründe wenig bis kein Verständnis haben.
All das ist kein deutsches Phänomen. Europaweit wird es für die Mittelschicht schwerer, in einer schnell deindustrialisierenden Wirtschaft ihr Auskommen zu finden. Auskömmliche Einkommen entstehen nicht mehr durch Arbeit, sondern dadurch, dass genügend freie Mittel eingesetzt werden, um bei der durch die Geldschwemme ausgelösten Finanzialisierung mitzuschwimmen. So meldet die OECD, dass Mitte der 1980er-Jahre knapp sieben Jahreseinkommen ausreichten, um sich eine 60-Quadratmeterwohnung in der jeweiligen Hauptstadt leisten zu können — mittlerweile werden dafür über zehn Jahreseinkommen fällig.
Damit kriecht das Gespenst der Enteignung aus den Gruften, in denen es hauste. Es müssen ja nicht gleich klassische Enteignungen sein; zuerst bastelte die Politik mit Mietpreisbremsen, Veränderungssperren oder dem Verbot des Überwälzens von Mietnebenkosten an einer schrittweisen Ertragsenteignung. Die offensichtlichen Probleme werden damit nicht gelöst, nur mit populistischem Aktionismus beantwortet.
Die eigentliche Lösung wäre eine Herausforderung: Nicht nur der Neubau müsste erleichtert – auch die Nullzinspolitik müsste beendet werden. Die Folge wären sinkende Immobilienpreise, vielleicht sogar ein Platzen der Immobilienblase. Anpassungsfolgen einer Zinserhöhung würden allerdings auf sämtliche Wirtschaftsbereiche und den Arbeitsmarkt übergreifen; das scheuen Politiker. Und so wächst das Gespenst. Es nährt sich auch von Null-Zinsen.
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